Anfang November ging die Weltnaturkonferenz COP16 im kolumbianischen Cali mit wichtigen Beschlüssen zu Ende. In der zentralen Frage, zur Finanzierung des Artenschutzes, gab es jedoch keine Einigung.
Nach zwei Wochen Verhandlungsmarathon inklusive einer Verlängerung ging am Samstag den 02. November 2024 die Weltnaturkonferenz COP16 in Cali zu Ende. Sie hatte die Aufgabe, wichtige Beschlüsse für das vor zwei Jahren von 196 Ländern in Montreal unterzeichnete Abkommen zu treffen, um die biologische Vielfalt zu schützen. Es geht um den drohenden Verlust von einer Million Arten - mehr als zu jedem anderen Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit. Landnutzungsänderungen, Klimawandel, Umweltverschmutzung und invasive Arten sind nur einige der Faktoren, die die biologische Vielfalt und somit auch das Leben von Milliarden Menschen bedrohen. Die COP16 sollte auch den Folgerahmen weiterentwickeln und weiter Ressourcen für den globalen Biodiversitätsrahmen mobilisieren. Ein weiteres Ziel war, den multilateralen Mechanismus zur fairen und gerechten Aufteilung von Gewinnen, die sich aus der Nutzung digitaler genetischer Informationen ergeben, fertig zu stellen und in die Praxis umzusetzen.
Die Welt ist weit davon entfernt, ihre Umweltziele für 2030 zu erreichen
Ein Hauptziel des Kunming-Montreal-Abkommens von 2022 ist, 30 Prozent der Land- und Meeresflächen bis 2030 zu schützen. Ein vom World Conservation Monitoring Centre des UN-Umweltprogramms zur COP16 veröffentlichter Bericht bestätigt, dass der Planet weit davon entfernt ist, das Ziel zu erreichen. Aus dem Protected Planet Report 2024 geht hervor, dass 17,6 Prozent der Landesfläche und Binnengewässer und 8,4 Prozent der Meeres- und Küstengebiete weltweit unter Naturschutz stehen. Auf der COP16 sollten auch die 196 Vertragsstaaten die Übereinstimmung ihrer Strategien und Aktionspläne mit dem Globalen Biodiversitätsrahmen von Kunming-Montreal abgleichen. Allerdings haben nur 17,3 Prozent der Länder ihre Pläne vorgelegt.
UN-Generalsekretär António Guterres rief während der Konferenz dazu auf, aus der „existenziellen Krise“ auszubrechen, die zur Zerstörung der Natur führe. Er bezeichnete die globale Umweltkrise als einen „Krieg gegen die Natur“, bei dem es „keine Gewinner“ geben könne. Guterres wies darauf hin, dass „die Triebkräfte dieser Zerstörung in veralteten Wirtschaftsmodellen verwurzelt sind, die nicht nachhaltige Produktions- und Konsummuster hervorbringen. Und sie werden durch Ungleichheiten - in Bezug auf Reichtum und Macht - noch verstärkt. Mit jedem Tag, der verstreicht, nähern wir uns einem Kipppunkt, der zu mehr Hunger, Vertreibung und bewaffneten Konflikten führen könnte. Er forderte die Länder auf, klare Pläne für die Anpassung an die globalen Biodiversitätsschutzziele vorzulegen und die Mobilisierung von Finanzmitteln nicht nur aus öffentlichen Quellen, sondern auch aus dem Privatsektor zu fördern. „Die biologische Vielfalt ist unser Verbündeter; wir müssen dazu übergehen, sie nicht zu opfern, sondern zu bewahren“, sagte er.
Biodiversitätsfonds abgeblockt
Ein zentrales Thema der COP16 waren die Verhandlungen über die Finanzierung der Biodiversitätsziele und einen entsprechenden Mechanismus. Der Vorschlag der kolumbianischen Umweltministerin Susana Muhamad, einen globalen Finanzierungsmechanismus für die biologische Vielfalt unter der Autorität der Vertragsstaatenkonferenz der CBD (COP CBD) zu schaffen, der für Entwicklungsländer mehr Mitsprache bei der Verteilung der Gelder vorsah, wurde von den sogenannten Industrieländern - u.a. der EU, Schweiz und Japan - abgelehnt. Die Weltnaturkonferenz COP16 im kolumbianischen Cali ging somit ohne Einigung zur zentralen Frage der Finanzierung des Artenschutzes zu Ende. Beobachter*innen stellten einmal mehr das Verhandlungssystem der COP in Frage. Der Vertrauensverlust des globalen Südens gegenüber den Industrieländern dürfte erheblich sein. Ein Vorgeschmack auf die Konfrontationen, die auf der UN- Klimakonferenz (COP29) Mitte November in Baku zu erwarten sind.
Ein weiteres Thema, zu dem es während der COP16 zu keinem Beschluss kam, war die Einrichtung eines Monitoringsystems für den auf der COP15 in Montreal angenommenen Globalen Rahmen für die biologische Vielfalt, bei dem 23 Ziele für den Naturschutz festlegt wurden. Damit fehlt ein klarer Fahrplan für die Folgemaßnahmen und Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne, die von den Unterzeichnerstaaten zur Konferenz in Cali vorgelegt werden sollten.
Wichtige Beschlüsse
Als einem historischen Moment feierten die Konferenz-Teilnehmenden (u.a. Ambiente y Sociedad) den Beschluss zur Einrichtung eines permanenten Ausschusses und den Arbeitsplan 2030 für Artikel 8J der Konvention, der das traditionelle Wissen indigener Völker und lokaler Gemeinschaften zukünftig stärker berücksichtigt und ihre Schutz- und Wiederherstellungspraktiken für die biologische Vielfalt unterstützt. Begrüßt wurde auch der Beschluss, der die Rolle afrikanischer Gemeinschaften bei der Umsetzung des Übereinkommens stärkt.
Fortschritte gab es auch bei der Verzahnung des Biodiversitäts- und Klimaschutzes. Die Zusammenarbeit auf Politik-, Planungs- und Umsetzungsebene zwischen dem UN-Biodiversitätsrat (Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services - IPBES) und dem UN-Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change - IPCC) soll vertieft und Synergien zwischen der Umsetzung der nationalen Biodiversitätsstrategien, den Aktionsplänen (National Biodiversity Strategies and Action Plans - NBSAPs) und den nationalen Klimabeiträgen (Nationally Determined Contributions - NDCs) sollen zukünftig besser genutzt werden.
Außerdem wurde die Operationalisierung des multilateralen Mechanismus für den Vorteilsausgleich (benefit sharing) durch die Nutzung von digitalen genetischen Informationen (DSI) und die Einrichtung des Cali-Fonds beschlossen. Dieser Fonds soll einen Teil der Finanzierungslücke im Bereich der biologischen Vielfalt schließen und den Ländern mit hoher Biodiversität - auch indigenen und lokalen Gemeinschaften - zugutekommen.
Zu den weiteren Beschlüssen, die auf der COP16 gefällt wurden, gehört die Einigung auf ein besseres Verfahren, um biologisch wertvolle Meeresgebiete zu identifizieren und unter Schutz zu stellen.
Mitten auf der Konferenz gründeten außerdem Organisationen aus den Ländern des Amazonasgebiet die G9 der indigenen Völker Amazoniens. Die Gruppe setzt sich für direkte Finanzierungsmechanismen für die indigenen Völker des Amazonasgebiets, die Stärkung der Rechtssicherheit ihrer Gebiete und die Beteiligung an internationalen Verhandlungen ein.
Die COP der Menschen
Die „COP der Menschen“ (COP de la Gente) - mit diesem Slogan warb Susana Muhamad über Monate unermüdlich für eine breite Beteiligung der Bevölkerung und zivilgesellschaftlicher Akteure an der COP und im Vorfeld des Gipfels. Tatsächlich brach das Land Rekorde: In die Blaue Zone – wo die formellen Verhandlungen stattfanden - kamen mehr als 12.000 Menschen und in der Grünen Zone – die für ein breiteres Publikum, vor allem für die Zivilgesellschaft, zugänglich war - nahmen mehr als 900.000 Besucher*innen an Hunderten von Foren, Seminaren und kulturellen Veranstaltungen teil.
Die massive nationale Mobilisierung schuf einerseits ein größeres Umweltbewusstsein in der kolumbianischen Gesellschaft und bot andererseits nationalen und internationalen sozialen und Umweltakteuren sowie ethnischen Gruppen einen zuvor nie dagewesenen Raum zur Positionierung und Vernetzung. Auch bei den zahlreichen Veranstaltungen einer Allianz aus zivilgesellschaftlichen Partner*innen des Heinrich-Böll-Stiftungsbüros Bogotá in der Grünen Zone bildeten sich lange Schlangen und nicht alle Besucher*innen fanden in den Räumen Platz.
Eine von der Stiftung unterstützte, zivilgesellschaftliche Allianz hat Empfehlungen zum kolumbianischen Biodiversitätsplan sowie einen Forderungskatalog zum gemeindebasierten nachhaltigem Management von Gemeingütern zum Schutz der Biodiversität und des Klimas an das Umweltministerium übergeben. Bei ihren Forderungen spielt das Recht auf Selbstbestimmung der lokalen Gemeinschaften sowie indigenen und afrokolumbianischen Völkern eine zentrale Rolle.
Susana Muhamad betonte, dass sie in dieser #COPDeLaGente mehr als 30 Erklärungen, Manifeste und Strategiepapiere aus verschiedenen Bereichen erhalten habe, die als Zeugnis der globalen Mobilisierung und des Engagements veröffentlicht werden. „Dies ist erst der Anfang einer Post-COP-Agenda, die uns alle zum Handeln auffordern wird,“ sagte sie.
Viele Organisationen verwiesen auch auf die Dringlichkeit, Kinder und Jugendliche sowie Frauen an den Konferenzen verbindlich zu beteiligen und bei ihrem Engagement zum Schutz der biologischen Vielfalt zu unterstützen. Davon würde es abhängen, ob die Umweltbedingungen, von denen die menschlichen Zivilisationen über Jahrtausende profitiert haben, über dieses Jahrhundert hinaus bestehen bleiben. Allerdings fehlt es auch hier an speziellen Fonds, die ihr Engagement unterstützen.
Schuldenschnitt für Klimaschutz
Während der Eröffnungszeremonie des Weltgipfels für biologische Vielfalt hatte der kolumbianische Präsident Gustavo Petro seinen Vorschlag hervorgehoben, Schulden gegen Klimaschutzmaßnahmen zu tauschen. „Die Verringerung des Risikos bei den Schulden der Dritten Welt ist heute erheblich. Wenn die Kapital- und Pensionsfonds der reichen Länder ihre Rentabilität auf die Wirtschaft der armen Länder stützen, lassen sie die Menschheit ohne die Instrumente zur Bewältigung der Klimakrise zurück“, sagte der Regierungschef in seiner Rede.
Wenig später, auf einer Pressekonferenz in der zweiten Konferenzwoche, erklärte dann der kolumbianische Außenminister Luis Gilberto Murillo, dass man bei einem Treffen mit dem deutschen Staatssekretär im Entwicklungsministerium (BMZ) Jochen Flasbarth mit Deutschland einen Schuldenerlass für Investitionen in Klimaschutz vereinbart habe. Außerdem habe man vereinbart, dass man zwischen den beiden Ländern und zusammen mit Frankreich und Ghana eine Expertengruppe bilden werde, die innovative Mechanismen für den Tausch von Schulden gegen Klimaschutzmaßnahmen prüfen solle, um einen Schuldenerlass zu erreichen, der mehr Raum für Investitionen, den Schutz der biologischen Vielfalt und die Krisenbewältigung lässt. Diese Entscheidung ginge auf die Empfehlungen der Expertengruppe für Schulden, Klima und Natur zurück, die während der COP28 in Dubai im Dezember 2023 abgegeben wurden.
Für den Naturschutz in den artenreichen Ländern des Südens hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke im Deutschlandfunk erklärt, dass Deutschland bisher 1,36 Milliarden US-Dollar bereitgestellt hat. Sie hofft, dass die zugesagten 1,5 Milliarden US-Dollar noch erreicht werden. Ob sich das angesichts der schwierigen Haushaltsverhandlungen durchsetzen lässt, ist fraglich. Weltweit wollten die Geberländer ab 2025 mindestens 20 Milliarden US-Dollar pro Jahr zur Verfügung stellen, bisher liegen aber erst 15 Milliarden auf dem Tisch.
Was kommt - Auf dem Weg zur Klima-COP29
Ein Vermächtnis Kolumbiens und allen voran der Umweltministerin Susana Muhamad ist, dass sie die COP16 auf das Niveau einer Klima-COP gehoben hat. Nie zuvor hatte eine Biodiversitätskonferenz einen solchen Zulauf gehabt. Kolumbien konnte unter Beweis stellen, den logistischen und sicherheitstechnischen Herausforderungen eines Mega-Events gewachsen zu sein. Allen Befürchtungen zum Trotz blieben größere Pannen aus und es kam zu keinen gravierenden Sicherheitsvorfällen oder Attentaten, wie sie im Vorfeld von Gewaltakteuren angekündigt wurden: Cali zeigte sich von seiner besten Seite. Kolumbien rückte für zwei Wochen ins Zentrum der Weltöffentlichkeit und konnte seine regionale und internationale Führungsrolle im Umweltbereich festigen.
Wie bei vielen anderen COPs wurden auch hier dringende Beschlüsse vertagt und die Finanzierungsfrage blieb offen. Der Frust ist groß, trotz vieler Teilerfolge. Das Instrument der COP scheint aus der Zeit gefallen, der Multilateralismus ein vergebliches Unterfangen, die Länder zum gemeinsamen Handeln zu bewegen. Der Kampf gegen das Artensterben und die Klimakrise kann aber nicht im Alleingang gewonnen werden. Dafür braucht es multilaterale Treffen und die uneingeschränkte Bereitschaft der Industrienationen ihren Verpflichtungen nachzukommen. In wenigen Tagen trifft sich die Weltgemeinschaft zur Klima-COP29 in Baku, Aserbaidschan (UN Climate Change Conference Baku - November 2024). Dort werden Ergebnisse zu einem neuen kollektiven quantifizierten Ziel für die Klimafinanzierung sowie Leitlinien für die Einrichtung des neuen Fonds für Verluste und Schäden erwartet. Erneut hängt viel davon ab, wie sich die reichen Staaten verhalten. Klar ist, die Zeit drängt, Frieden mit der Natur und dem Klima zu schließen!
Mehr zu «Biodiversität» finden Sie in unserem Dossier hier.