Marginalisierung der Marginalisierten

Kommentar

Die Klimakrise betrifft marginalisierte Gruppen unverhältnismäßig stärker als andere, obwohl sie am wenigsten dafür verantwortlich sind. Das sollte Grund genug sein, ihnen bei den Klimaverhandlungen Raum zu geben, ihre Perspektive einzubringen und sie in Entscheidungen einzubeziehen. Aber die aktuelle Tendenz geht genau in die entgegengesetzte Richtung.

Junge Menschen beim Klimaprotest, eine Person hält ein Schild mit der Aufschrift "There is no planet b" hoch.

COPs sind und bleiben notorisch exklusiv

UNFCCC-Klimakonferenzen (COPs) sind seit langem ausgrenzende Veranstaltungen, wobei es durchaus Anzeichen für einen Fortschritt gab, denn in den vergangenen Jahren hatte sich die Zahl der Teilnehmenden an der Klimakonferenz exponentiell erhöht. Sowohl die Länderdelegationen als auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen erhielten immer mehr Plätze und letztes Jahr wurde die größte COP aller Zeiten abgehalten: 97.000 Teilnehmende erhielten Ausweise (badges), um an der Konferenz in Dubai teilzunehmen. Das sind fast doppelt so viele wie auf der COP27 in Sharm-el-Sheikh, die bis dahin als größte COP der Geschichte galt. Die Hälfte der Teilnehmenden in Dubai (51.695, um genau zu sein) war als Teil der Länderdelegationen registriert - die zumeist aus Regierungsbeamt*innen bestehen - und ein kleinerer Anteil als Akteur*innen aus Industrie und Zivilgesellschaft, die eng mit den Regierungen verbunden sind. Rund 14.338 Delegierte von Nichtregierungsorganisationen (NRO) nahmen teil. Obwohl dies die höchste Zahl an Ausweisen war, die jemals an NRO vergeben wurde, liegt ihre Zahl immer noch weit hinter der der offiziellen Länderdelegierten. Vor diesem Hintergrund erscheint die Reduzierung der Teilnahme-Badges für NRO für die COP29 in Baku unethisch und ungerecht.

Tatsächlich war die COP28 die erste, bei der jede*r einzelne Delegierte auf einer von der UNFCCC veröffentlichten offiziellen Liste genannt wurde. Das war wiederum ein Ergebnis des langjährigen Drucks der Zivilgesellschaft, die Namen und organisatorischen Verbindungen der Delegierten offenzulegen, um die Transparenz bei der Konferenz zu gewährleisten. Sie hat uns vor allem geholfen, die schiere Anzahl der Lobbyist*innen für fossile Brennstoffe auf der COP zu verstehen, die in ihrer Zahl oft sogar die Delegationen der größten Länder übertreffen, und wirft die Frage auf, wie ehrgeizig die Vereinbarungen angesichts dieses offensichtlichen Einflusses sein können.

Finanzielle Ausgrenzung

Für zivilgesellschaftliche Organisationen gibt es zudem weitere Hindernisse, die die Teilnahme an den COPs und die Möglichkeit, einen sinnvollen Beitrag zu leisten, erschweren. Jedes Jahr, wenn die COP näher rückt, schießen die Flug- und Hotelpreise in der austragenden Stadt in die Höhe. Auf der COP26 in Glasgow sahen sich Aktivist*innen aus der ganzen Welt und insbesondere aus dem Globalen Süden mit zusätzlichen Herausforderungen durch den ungleichen Zugang zu Impfstoffen und durch Pandemiebeschränkungen, Visabestimmungen und fehlende Finanzmitteln konfrontiert. Recherchen der BBC ergaben, dass ein Hotelzimmer, das sonst 42 Pfund pro Nacht kostet, für 1.400 Pfund pro Nacht angeboten wurde. Die exorbitanten Preise führen jedes Jahr dazu, dass kleinere NRO, Aktivist*innen und nichtstaatliche Akteur*innen aus dem Globalen Süden effektiv ausgeschlossen werden. Das zwingt Teilnehmer*innen dazu, entweder nach Finanzmitteln zu suchen oder irrsinnige Summen von den eigenen Ersparnissen abzuzwacken, nur um überhaupt an einer COP teilnehmen zu können – ganz zu schweigen von Visumsverweigerungen und möglichen gesundheitsbedingten Einschränkungen, selbst wenn man einen der raren Ausweise ergattern konnte. 

Der Klimaaktivismus junger Menschen bringt das Klimathema seit Jahren weltweit auf die Tagesordnung und doch werden sie aus den Verhandlungsräumen ausgeschlossen.

Vor allem für junge Menschen, die häufig noch studieren oder ihre Karriere gerade erst mit unbezahlten Praktika oder schlecht bezahlten Einstiegsjobs beginnen, ist dies eine große Hürde, die ihre Teilnahme oft verhindert. Dabei geht es auf den Klimakonferenzen um ihre Zukunft, um ihre Möglichkeit, auf einem lebenswerten Planeten zu (über)leben. Der Klimaaktivismus junger Menschen bringt das Klimathema seit Jahren weltweit auf die Tagesordnung und doch werden sie aus den Verhandlungsräumen ausgeschlossen.

Die Belastung wird für diejenigen, die ohnehin schon an den Rand gedrängt wurden, nur noch größer: Migrant*innen, die aufgrund ihres legalen Status nicht zu den Konferenzen reisen können; Arbeiter*innen mit niedrigem Einkommen ohne die Möglichkeit, ihre Reise zu finanzieren oder sich die benötigte Auszeit von der Arbeit zu nehmen; Vertreter*innen aus dem Globalen Süden, die darüber hinaus auch noch zeit- und kostenintensive Reisen in Kauf nehmen müssen und von problematischen Visabeschränkungen und ungünstigen Wechselkursen betroffen sind; indigene Menschen, die oft immer noch darum kämpfen müssen, in ihren eigenen Ländern anerkannt zu werden, ganz zu schweigen von den globalen Klimaverhandlungen.

Marginalisierung durch Agenda-Setting

Aber es gibt noch mehr Hürden: Klima-COPs haben in der Regel verschiedene Thementage, die bestimmte Themen in den Fokus rücken und den Organisator*innen von Veranstaltungen (side events) und Pavillons einen Anreiz geben sollen, das Bewusstsein für das Thema zu schärfen und die jeweilige Bedeutung für die Klimaagenda zu diskutieren. In diesem Jahr hat sich die Verteilung ein wenig geändert: Seit der COP26 gibt es einen ausgewiesenen „Jugendtag“, der den herausragenden Beitrag junger Aktivist*innen und Expert*innen zur Sensibilisierung für die Klimakrise und zur Suche nach gerechten und ehrgeizigen Lösungen würdigt. Es ist auch ein Tag, der Jugendvertreter*innen den nötigen Raum bietet, ihre Ansichten zu präsentieren, ihre Interessen voranzutreiben und ihnen überhaupt erst eine Stimme zu geben.

Auf der COP29 werden „Kinder und Jugendliche“ nun den Themen “Entwicklung”, “Gesundheit” und “Bildung” zugeordnet. Alles sehr wichtige Themen, aber es ist ein Rückschlag in der Anerkennung der Bedeutung der Jugend in den Klimaverhandlungen und birgt die große Gefahr, dass ihre Forderungen nun von anderen an diesem Tag diskutierten Fragen überschattet werden.

Ähnliches geschah mit anderen marginalisierten Gruppen: Sowohl Vertreter*innen Indigener Völker als auch Frauen hatten in der Vergangenheit ihre eigenen Thementage, um auf die Intersektionalität von Diskriminierung hinzuweisen, da sie von den Auswirkungen der Klimakrise stärker betroffen sind als andere. Darüber hinaus sind Indigene Völker Hüter*innen von 80% der biologischen Vielfalt weltweit und besitzen traditionelles Wissen, das für die Bewältigung der Klimakrise von entscheidender Bedeutung ist und bei den Verhandlungen gehört werden sollte.

Nun werden auch sie nicht nur miteinander, sondern zusätzlich in die Themen “Natur und Biodiversität” sowie “ Meere und Küsten” gruppiert. Gerade in Anbetracht der Forderungen, die Klima- und die Biodiversitätskrise enger miteinander zu verknüpfen, ihre Auswirkungen und ihre Bekämpfung gemeinsam zu diskutieren und Synergien zu schaffen, ist es höchst fraglich, dass die Rechte Indigener Völker und die Gleichstellung der Geschlechter keinen angemessenen Raum in den Diskussionen erhalten. Dies unterstreicht deutlich, dass die am stärksten betroffenen und marginalisierten Gruppen nicht mehr einbezogen werden und nicht einmal daran gedacht wird, sie bei der Aushandlung dauerhafter, gerechter und ambitionierter Lösungen in den Vordergrund zu stellen.

Gebt den Betroffenen eine Stimme!

Diese Entwicklungen sind zutiefst besorgniserregend, da die Klimakrise ganzheitlich angegangen werden muss und die Verhandlungen insbesondere diejenigen einbeziehen sollten, die am stärksten betroffen sind. Wir brauchen solide Strukturen für die Vertretung marginalisierter Gruppen in den UN-Prozessen, um sie vor individuellen Entscheidungen der jeweiligen Präsidentschaften zu schützen und sicherzustellen, dass sowohl ihre Stimmen gehört und verstärkt als auch ihre Forderungen erfüllt werden. Die Umsetzung solcher Strukturen muss nicht nur Aufgabe des UNFCCC-Sekretariats, sondern aller Verhandlungsparteien sein.