Darya Afanasyeva ist eine feministische Aktivistin aus Belarus, Bloggerin, Lesbe, und ehemalige politische Gefangene. Passend findet sie die Formulierung "ehemalige" in diesem Zusammenhang nicht – denn diese Erfahrung bleibe für immer in einem Menschen.

Dafna nennen sie ihre Freund*innen. Ich darf das auch tun. Bevor ich mit ihr spreche, stöbere ich in ihrem Instagram-Blog und stoße zufällig auf ein Foto von uns beiden. Im Jahr 2020 habe ich in Minsk ein Transparent gemalt und bin damit zu Protesten gegangen. Dafna, der damals das feministisch-freundliche Statement gefiel, machte ein Foto. Später wurde sie wegen politischem und feministischem Aktivismus angeklagt, wobei dieses Foto eine der sogenannten "Episoden" sein sollte. Die Anklage setzt sich aus der Anzahl der aufgezeichneten "Episoden" zusammen – Demonstrieren, Fotografieren, Kommentieren in den sozialen Medien. Während ich mit ihr spreche, denke ich darüber nach, wie willkürlich es ist, dass sie und nicht ich zweieinhalb Jahre im Gefängnis saß, und freue mich, dass Darya seit acht Monaten frei und sicher ist.
In Zellen wird den Frauen ihre Würde genommen.
Darya war früher in der IT-Branche als HR-Managerin tätig, aber irgendwann beschloss sie, eine Pause einzulegen. Heute vertritt sie keine andere Organisation oder Firma als sich selbst. Die Aufklärungs- und Sensibilisierungsarbeit geht weiter – jetzt gibt Dafna Interviews nicht nur als Feministin, sondern auch als Frau mit Hafterfahrung. Sie sagt, sie habe sich auf diese Arbeit vorbereitet und Belarus genau aus diesem Grund verlassen. Sie lehnt nie ein Interview ab und nutzt jede Gelegenheit, um der Welt von den Zuständen in den Gefängnissen und Straflager in Belarus zu berichten:
Frauen werden nicht nur ihrer Freiheit beraubt, sondern auch ihrer Gesundheit und ihrer Würde. […] Es ist ihnen verboten zu kommunizieren, sich gegenseitig zu unterstützen, zu teilen, zu lieben.
Besonders betroffen ist sie vom Thema häusliche Gewalt, das viele Frauen als vermeintliche Aggressorinnen ins Gefängnis bringt. Darya sagt, dass anstelle von möglichen Strafrechtsartikeln mit kürzerer Laufzeit (etwa "Überschreitung der Notwehr", "Zufügung schwerer Körperverletzung mit Todesfolge") alle unter dem Artikel "Mord" verurteilt werden: "Selbst wenn sie also aus Notwehr gehandelt haben, wird das nirgendwo angerechnet! Selbst wenn sie sich die Schläge ertragen haben."
Keine Freundschaft, keine Liebe
Darya vergisst ihre Freund*innen im Gefängnis nicht – sowohl diejenigen, die wegen politischer Aktivitäten verurteilt wurden, als auch diejenigen, die als Mörder*innen abgestempelt wurden. Sie hält den Kontakt zu ihnen über Verwandte aufrecht und hofft, dass sie sich eines Tages alle wieder treffen können, wenn sie frei sind.
Darya erzählt, dass sie sich immer offen für die Rechte der LGBTQ+ Gemeinschaft eingesetzt hat, aber lange Zeit ihr eigenes Lesbischsein nicht öffentlich gemacht hat – dafür gab es keine Notwendigkeit. Im Gefängnis sah sie sich mit starker Homophobie konfrontiert und erkannte, dass sie offen leben und ihre romantischen Beziehungen zu Frauen nicht verstecken wollte: "Ich war zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt, und andere Frauen leben dort für 10 bis15 Jahre. Keine Wärme, keine Unterstützung, keine Freundschaft und keine Liebe zu erfahren, ist sehr schwer, vor allem, wenn du queer bist". Darya sagt, dass es den Frauen in den Zellen verboten ist, sich zu lieben, und wenn die Gefängnisaufsicht davon erfährt, drohen den Frauen schwere Strafen.
Früher oder später wird mein Blog als extremistisch eingestuft werden.
Darya startete irgendwann einen Block – zuerst als Buchblog. Sie schrieb Rezensionen über Bücher, die sie selbst fand oder die ihr von Verlagen zugeschickt wurden. Dann begann sie sich mehr und mehr für Feminismus allgemein zu interessieren – nicht nur im Zusammenhang mit Büchern. Es gab einen Scherz unter ihren Follower*innen: "Dafna versucht immer noch, uns davon zu überzeugen, dass dies ein Buchblog ist, aber das ist er schon lange nicht mehr." Also ging Dafna zu einem Lifestyle-Format über und begann mehr über ihre Erfahrungen zu sprechen – was sie in ihrer Freizeit macht, wo sie lebt, welche Veranstaltungen sie besucht. Jeden Freitag veröffentlichte sie eine Kolumne mit Fragen und Antworten, und diese Fragen waren oft nicht beruflicher, sondern persönlicher Natur. Bis heute hat sie keine Angst offen zu sein. Darin liegt ihre Verletzlichkeit – und ihre Stärke.
Eine Zeit lang war Daryas Seite gelöscht, um den Staatsanwält*innen nicht noch mehr Material zur Untermauerung des Strafverfahrens gegen sie zu liefern. Später wurde die Seite wiederhergestellt. In diesem Moment weinte Darya: "Es war, als ob mein Kind, das ich viele Jahre lang aufgezogen hatte, zu mir zurückgekehrt wäre. Ich habe sehr viel Mühe und Herzblut in diesen Blog gesteckt!"
Daryas Publikum bestand früher aus etwa 10.000 Menschen. Jetzt sind es 1.000 weniger, was Darya auf ihre aktivistischen Aktivitäten zurückführt. In Belarus gibt es ein Extremismusgesetz, demzufolge jeder behördenkritische Inhalt extremistisch ist. Das bedeutet, dass die Interaktion mit diesem Inhalt (Likes, Kommentare, Shares) sowie die Tatsache, dass man ihn abonniert, strafbar ist. Darya ging davon aus, die Hälfte ihres Publikums zu verlieren, da sich die politische Situation im Land während ihrer Inhaftierung weiter verschlechtert hatte. Außerdem ist sie auf Instagram nicht mehr so aktiv wie früher: "Früher konnte ich 100 Beiträge am Tag veröffentlichen und 150 Privatnachrichten beantworten. Jetzt habe ich nicht mehr die Ressourcen dafür. Es braucht Zeit, um sich von der Inhaftierung zu erholen, sowohl emotional als auch körperlich".
Humor als Überlebensstrategie
"Vor Gericht wurde mir auch gesagt, dass ich die Nation mit meinen Regenbogensocken korrumpiere", erzählt Darya. Für Menschen, die mit der Realität in Belarus nicht so vertraut sind, erscheinen diese Anschuldigungen absurd und man möchte darüber lachen. Trotz der schwierigen Hafterfahrung, durch die sie eine Posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression erlitten hat, macht Darya ununterbrochen Witze. Humor ist nicht nur ein fester Bestandteil ihrer Persönlichkeit, sondern auch eine elementare Fähigkeit, um mit Schwierigkeiten fertig zu werden, bei denen andere längst aufgegeben hätten.
Darya erzählt mir, dass die Abonnent*innen ihres Blogs ihr oft persönliche Nachrichten mit Geschichten aus ihrem Leben schicken – zum Beispiel über sexualisierte Gewalt oder das Verlassen gewalttätiger Partner*innen. Darya ist empathisch und nimmt sich diese Geschichten zu Herzen. Gleichzeitig kommentiert sie ironisch: "Ja, die Bloggerin Darya aus Belarus wird dir bestimmt in deinem Leben helfen.” Aber es hilft, Kontakte zu Frauenhäusern und Rechtsdiensten zu haben oder Gewaltdynamiken in Beziehungen zu erkennen.
Während ihrer Zeit im Gefängnis erstellten Dafna und ihre Zellengenossinnen Listen mit all dem, was sie in ihrem Leben nach der Entlassung tun wollten. Auf Daryas Liste stand unter anderem: in einer feministischen Stand-up-Show auftreten. Sie fügt jedoch sofort hinzu, dass sie mehr "Haftmädchen" in den Saal setzen müsse, da ihre Witze besodners und für das durchschnittliche Stand-up-Publikum nicht ganz verständlich seien. So erzählt sie mir zum Beispiel einen Witz über die Süßigkeiten, die sie in Unterwäsche und Socken in die Gefängnisfabrik geschmuggelt hatte, damit die Wärter*innen es nicht bemerken. Ich habe den Witz nicht verstanden – selbst nach Daryas großzügigem Versuch, ihn mir zu erklären. Gefängnis-Humor ist eben so. Er ist auch manchmal hart und unkorrekt, aber im Gefängnis kann man keine anderen Witze machen.
Über das neue Leben in Polen
Ich frage Darya, ob ich öffentlich machen kann, dass sie jetzt in Polen ist: "Ich habe Selfies für meinem Polizeiinspektor vor dem Hintergrund der Wolkenkratzer gemacht und ihm gesagt, dass er nicht in Chizhovka auf mich warten soll." Das war ihre ironische Antwort.
Darya ist derzeit nicht in der Lage, Polen zu verlassen, da sie auf den internationalen Schutzstatus und ein Reisedokument von den polnischen Behörden wartet. Das Verfahren läuft seit sechs Monaten und Darya hofft, dass sie sich mit den neuen Papieren bald sicherer fühlt und wieder reisen und ihre Abenteuer mit dem Publikum ihres Blogs teilen kann. Sie schließt auch nicht aus, die polnische Politik, insbesondere das Thema Abtreibung, in naher Zukunft auf ihrer Seite zu behandeln.
Das Gefängnis verändert den Menschen
Darya hat eine feste Partnerin – Ksenia. Sie haben sich in Polen kennengelernt und leben zusammen: "Ich bin also nach Europa gefahren und dachte, ich würde eine europäische Frau kennenlernen, aber ich habe eine belarusische Frau bekommen, die auch im Gefängnis war", lacht sie. Seit der Inhaftierung hat Darya Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten. Ihre Polnischkenntnisse reichen nicht für eine umfassende Kommunikation aus. Ksenia unterstützt Darya – sie managt ihren Terminkalender, vereinbart Arzttermine, übersetzt, wenn nötig. Das macht mir klar, wie wichtig es ist, Gefängniserfahrungen von beiden Seiten zu betrachten. Nicht nur von aus der Perspektive der Person, die im Gefängnis ist, sondern auch derer, die für sie da sind (Briefe schreiben, Pakete schicken oder einfach nur warten) und die ihr später helfen, mit den Folgen fertig zu werden – so wie Ksenia es jetzt tut.
Darya hat sich verändert. Sie dachte, dass sie nach ihrer Entlassung sofort in schräge Clubs gehen und das Leben feiern würde. Aber das geschah nicht sofort, nicht nach einem Monat und auch nicht bis heute, acht Monate später. Ihr fehlt die Energie. Früher war sie sehr extrovertiert, hat ständig neue Leute kennengelernt und ist gerne in Bars gegangen. Jetzt zieht sie es vor, zu Hause zu sein. Ihre Freund*innen laden sie ein, aber Darya ignoriert das meistens. Es fällt ihr nicht leicht zu akzeptieren, dass sie jetzt ein anderer Mensch ist. Sie wartet darauf, in ihren "alten" Zustand zurückzukehren, aber sie ist darauf vorbereitet, dass dies vielleicht nie geschehen wird. Das Gefängnis verändert den Menschen.