Mit „Khartoum“ ist ein faszinierendes filmisches Werk gelungen, das durch die Kraft der Phantasie über die Grenzen des Dokumentarfilms hinaus geht. Auf beeindruckende Weise zeigt er Themen wie Kindheit in Armut, von Geschlecht und Hautfarbe geprägte Diskriminierung, aber auch Gemeinschaft, Hoffnung und den unbeugsamen Willen zu überleben und Geschichten auch dann zu erzählen, wenn die Umstände eigentlich unmöglich scheinen. Den Filmschaffenden ist es gelungen eine Form zu finden, die ebenso kreativ und mutig ist, wie die Menschen, die der Film porträtiert.

Mit großer Nähe und Sensibilität begleiten fünf Filmteams zunächst fünf Bewohner*innen Khartums. Die beiden Straßenjungen Lokain und Wilson auf ihrer Suche nach Plastikflaschen, sowie die Teeverkäuferin Khadmallah, die eine Straßenecke in einen Raum für regen Austausch unter Student*innen verwandelt. Wir sehen den Aktivisten Jawad, der für eine bessere Zukunft des Sudans kämpft und bei Demonstrationen erste Hilfe leistet, und wir lernen den Beamten Majdi kennen, der mit seinem Sohn an Taubenrennen teilnimmt. Es sind wertvolle Momente des Alltags in einer Gesellschaft, die sich nach langer Zeit der Diktatur in demokratischen Formen des Zusammenlebens versucht und die der Idealisierung von militärischer Macht freiheitliche Entwürfe entgegenhält.
Doch als im April 2023 ein militärischer Konflikt ausbricht, müssen plötzlich Filmschaffende wie Protagonist*innen um ihr Leben fürchten. Die finanziellen Mittel, die eigentlich für den Film gedacht waren, werden eingesetzt, um allen Beteiligten zur Flucht aus dem Sudan zu verhelfen.
Im Exil in Ostafrika finden alle wieder zusammen und leben unter einem Dach. Doch nicht nur das. Dort finden sie auch neue Wege des Erzählens. Mithilfe von Green-Screen-Rekonstruktionen, lassen sie vertraute und nun vom Krieg zerstörte Orte wieder entstehen.
Gemeinsam re-inszenieren sie persönlich erlebte, tief erschütternde Momente der Kriegstage. So können berührende Momente Raum greifen, in denen sich die Protagonist*innen mit ihrer Hilflosigkeit angesichts von Gewalt, Zerstörung und Todesangst konfrontieren. Es entsteht ein Dialog der Erfahrungen, in dem auch die Filmteams ihre beobachtende Position hinter der Kamera verlassen und zu Mitschöpfern eines Heilungsprozesses werden.
Der Film „Khartoum“ wird selbst zum Medium und Akt der Aufarbeitung – er erzählt nicht nur die Geschichten der Flucht, sondern gibt dem Unerhörten eine Bühne, auf der die Sprachlosigkeit gemeinsam überwunden werden kann. Und darüber hinaus lässt er Raum für Träume und die Gestaltung der Zukunft.
Mit einfachsten Mitteln sind beeindruckende Szenen gestaltet, wie ein Flug über die verlorene Heimatstadt, getragen von einem Vogel, ein Motorradflug oder der Ritt auf dem Rücken eines Löwen. Magische Momente voller Humor, Poesie und Zuversicht.
Diese Zuversicht nehmen die Protagonist*Innen mit in ihr neues Leben und sie nutzen die Migration als Chance für einen Neuanfang: Khadmalla eröffnet eine neue Teestube, Lokain und Wilson besuchen eine Schule , Jawad verkauft sudanesisches Streetfood, und Majdi lässt wieder Tauben fliegen. Ihre Heimat lebt in ihnen weiter und transformiert sich.
„Khartoum“ ist also quasi eine filmische Überlebensstrategie. Anas Saeed, Rawia Alhag, Ibrahim Snoopy, Timeea M Ahmed und Phil Cox haben mit ihrem Team ein Werk geschaffen, das Traumata sichtbar macht, aber zugleich den heilsamen Umgang mit ihnen darstellt. Es zeigt die große verbindende Kraft, die entsteht, wenn Geschichten in Gemeinschaft und Solidarität und mit Empathie und Menschlichkeit erzählt werden.
Der Film ist damit nicht nur ein politisches Dokument, welches einen fragilen Moment in der afrikanischen Geschichte zeigt, sondern ein universelles Werk der Selbstermächtigung, des Widerstandes gegen Diktaturen und er macht Hoffnung auf ein friedliches Miteinander der Menschen. Vielen Dank dafür.