Georgien und Russland: „Im selben Zug“ mit der Besatzungsmacht

Analyse

Auch Georgien spricht der Kreml die Souveränität und territoriale Integrität ab. Doch im Unterschied zur Ukraine handelt die Regierungspartei Georgischer Traum nach dem russischen Lehrbuch und nutzt die russische Bedrohung zum autoritären Machterhalt. 

Ein roter und silberner Zug, der über Bahngleise fährt.

Donald Trump verhandelt mit Wladimir Putin über die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine – und ignoriert deren Interessen demonstrativ. Die Konsequenzen eines möglichen Diktatfriedens reichen bis weit über die Ukraine hinaus, stellen sie doch die Idee einer regelbasierten Weltordnung, die ohnehin nur eine Teilordnung und von doppelten Standards geprägt war, erheblich in Frage. 

Laut einer aktuellen Umfrage der Nichtregierungsorganisation Caucasus Research Resource Center Georgia glaubt die Mehrheit der Georgier:innen, dass sich ein Kriegsende zugunsten Russlands negativ auf die georgisch-abchasischen/-ossetischen Beziehungen auswirken wird. Abchasien und Südossetien sind faktisch von Russland besetzt, das die völkerrechtlich zu Georgien gehörenden Gebiete nach dem russisch-georgischen Krieg 2008 als unabhängige Staaten anerkannt hat. Allgemein befürchten viele Georgier:innen, dass westliches Appeasement gegenüber Russland die Bedrohungslage für ihr Land noch weiter verschärfen wird.

Mangelnde westliche Sicherheitsgarantien

Auf traurige Weise bestätigen die globalen Entwicklungen in Teilen die Propaganda des Georgischen Traums, der 2012 durch den Oligarchen Bidsina Iwanischwili, der sein Vermögen in Russland gemacht hat, gegründet wurde. Die Regierungspartei, die sich insbesondere seit Russlands Vollinvasion in die Ukraine mithilfe der Verschwörungstheorie einer „Globalen Kriegspartei“, die Georgien in den Krieg ziehen wolle, als Friedensgarantin darstellt, legt immer wieder den Finger in die Wunde. Der Westen habe Georgien einen NATO-Aktionsplan zur Mitgliedschaft verwehrt, und er habe nach Russlands Krieg gegen Georgien 2008 und seiner Anerkennung Abchasiens und Südossetiens als „unabhängige Staaten“ keine Sanktionen gegen Russland verhängt. In ihrer Wahlkampagne zu den manipulierten Parlamentswahlen 2024 stellte die Partei zerstörte ukrainische Städte blühenden georgischen Landschaften gegenüber. 

Der drohende Diktatfrieden in der Ukraine scheint dem Georgischen Traum recht zu geben. Es stimmt, dass westliche Staaten nicht bereit waren und sind, Sicherheitsgarantien für Georgien zu gewähren. Ob die westliche militärische Unterstützung ausreicht, um das Land vor einem zwar aktuell unwahrscheinlichen, aber nicht unmöglichen weiteren russischen Einmarsch zu schützen, ist fraglich. Daher wären Argumente für den Versuch einer umsichtigen georgischen Politik gegenüber Russland nicht ganz von der Hand zu weisen.

Georgien sitzt im russischen Zug

Wer die Politik des Georgischen Traums als „umsichtig“ bezeichnet, tappt jedoch in die Propagandafalle, denn es ist nicht in erster Linie eine umsichtige Politik, die der Georgische Traum verfolgt. In der Tat sitzt Georgien nicht „im selben Zug“ zusammen mit der Ukraine, was Außenministerin Maka Botschorischwili jüngst als Erfolg darstellte. In einem Fernsehinterview erklärte sie, Georgien sei unter Druck gesetzt worden, doch nun sehe man klar, „wie vorteilhaft es gewesen wäre, wenn Georgien sich in den Zug gesetzt hätte, in dem zum Beispiel die aktuelle ukrainische Regierung sitzt.“ Nein, Georgien hat sich in den russischen Zug gesetzt. Dahinter stecken knallharte wirtschaftliche und andere machtbezogene Interessen.

Auch wenn der Georgische Traum noch keiner Wiederherstellung der diplomatischen Beziehungen zu Russland zugestimmt und sich auf internationaler Bühne regelmäßig kritisch gegenüber Russland positioniert hat, verfolgt die Partei schon seit Regierungsübernahme im Jahr 2012 eine Politik der Normalisierung der Beziehungen zu Russland. Laut einer repräsentativen Umfrage des International Republican Institute vom November 2012 sprachen sich damals 94 Prozent der Bevölkerung für einen Dialog mit Russland aus. 2013 hob der Kreml im Gegenzug das Handelsembargo gegen wichtige georgische Exportprodukte auf, das Russland 2006 verhängt hatte. Seitdem florieren die Handelsbeziehungen. Der Anteil Russlands an den georgischen Exporten stieg von 2 Prozent im Jahr 2012 auf 10,8 Prozent 2023 (und lag zwischenzeitlich sogar bei 14,5 Prozent), bei den georgischen Weinexporten liegt der russische Markt mit 65 Prozent weit vorn. Georgiens Wirtschaft hat profitiert, sie ist durch diese Annäherung aber wieder verwundbar geworden.

Neben dem Handel florierten seit 2012 antiwestliche und zunehmend offen pro-russische Gruppen in Georgien, teils mit Unterstützung aus und Verbindungen nach Russland. 

Seit Russlands Vollinvasion in die Ukraine wurden die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen weiter ausgebaut. So besteht seit 2023, nach der Aufhebung einer weiteren russischen Restriktion, die 2019 im Kontext russlandkritischer Proteste in Georgien verhängt wurde, wieder reger Flugverkehr zwischen Georgien und Russland. Dies geschah, obwohl eigentlich vorgesehen ist, dass sich Georgien als EU-Kandidatenland an die außenpolitischen Positionen der EU annähert, die den Flugverkehr mit Russland seit der Vollinvasion sanktioniert hat. Den europäischen Sanktionen gegen Russland hat Georgien sich auch ansonsten nicht angeschlossen. Wie zum Dank besteht seit 2023, und umfassender seit 2024, auch wieder ein erleichtertes Visaregime für Georgier:innen, die nach Russland reisen oder dort arbeiten möchten. 

Neben dem Handel florierten seit 2012 antiwestliche und zunehmend offen pro-russische Gruppen in Georgien, teils mit Unterstützung aus und Verbindungen nach Russland. Diese Gruppen brachten in der georgischen Gesellschaft und im Parlament wiederholt illiberale Diskurse und Gesetzentwürfe nach russischem Vorbild ein, die der Georgische Traum damals dem Anschein nach nicht unterstützte. Seit Russlands Vollinvasion in die Ukraine und der Entscheidung der EU, Georgien die Beitrittsperspektive zu erteilen, ist jedoch nicht mehr zu leugnen, dass der Georgische Traum inzwischen selbst eine illiberale und zunehmend autoritäre Politik verfolgt, die für die Interessen des Kremls zumindest förderlich ist oder sogar dort in Auftrag gegeben wurde.

Eine Innenpolitik wie von Putin erträumt

Auch in innenpolitischen Fragen scheint sich der Georgische Traum auf dem russischen Markt zu bedienen. Georgien geht dabei ganz nach russischem Muster vor: 2024 verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Brandmarkung der Zivilgesellschaft und unabhängiger Medien als „ausländische Agenten“, bzw. nach einer semantischen Abänderung als „Organisationen, die die Interessen einer ausländischen Macht vertreten“. Außerdem schränkte die Regierung massiv die Rechte von LGBTQI-Personen ein und nutzte dazu das russische diskursive Repertoire in Bezug auf den Schutz von „Familienwerten“ und Kindern. Hier hilft es dem Georgischen Traum als Ausrede wenig, dass europäische Staaten wie Ungarn ebenfalls das russische Lehrbuch übernommen und weiterentwickelt haben. 

Nach einer neuen Gesetzesinitiative sollen sich georgische zivilgesellschaftliche Organisationen bald um staatliche Gelder bewerben können. Dieses Verfahren, das Parallelen zur russischen „Stiftung zur Vergabe von Fördermitteln des Präsidenten“ (Fond presidentskich grantow) aufweist, lässt befürchten, dass auch in Georgien ein System von zahmen, ausschließlich im Interesse der autoritären Regierung handelnden Organisationen geschaffen werden soll. Weitere repressive Gesetze, die unter anderem die Einschränkung der Medienfreiheit, politische Kontrolle der staatlichen Theater und eine Verschärfung des Agentengesetzes beinhalten, sind bereits im parlamentarischen Prozess. Die fortlaufenden demokratischen Proteste in Georgien wurden zunächst durch die Polizei brutal niedergeschlagen, inzwischen gehen auch die Gerichte hart gegen die Protestierenden vor.

Der Kreml lacht sich dabei ins Fäustchen: Russische Propagandist:innen und der Auslandsgeheimdienst verbreiten laufend Desinformation über angebliche ausländische Drahtzieher hinter den georgischen Protesten gegen das Agentengesetz, die manipulierten Wahlen, und die anti-europäische Politik des Georgischen Traums. Konstantin Kosatschow, stellvertretender Vorsitzender der Staatsduma, kommentierte Anfang Februar den Abzug der georgischen Delegation aus der parlamentarischen Versammlung des Europarats lapidar, dass die Entscheidung „Verständnis und Respekt“ verdiene. Georgien habe einen „souveränen Entwicklungspfad gewählt, der in erster Linie seinen nationalen Interessen entspricht“. Der stellvertretende Außenminister Michail Galusin erklärte, Russland sei bereit bei der Normalisierung der Beziehungen zu Georgien „so weit zu gehen, wie die georgische Seite bereit ist zu gehen“.

Der Kreml hat alle Ziele erreicht – vorerst

Mit Hilfe des Georgischen Traums hat der Kreml in Georgien seine Ziele scheinbar erreicht. Die EU hat den georgischen Beitrittsprozess aufgrund der illiberalen, autoritären Politik der Regierungspartei eingefroren. Eine Eröffnung der Beitrittsverhandlungen soll nur bei einer Rücknahme des Agentengesetzes und der Anti-LGBTQI-Gesetze stattfinden. Eine NATO-Mitgliedschaft verfolgt der Georgische Traum schon länger nicht proaktiv und steht derzeit auch aus westlicher Sicht nicht zur Debatte. Demokratische Entwicklungen in Georgien wurden rückgängig gemacht. 

Die Interessen des Kremls und des Georgischen Traums scheinen also prächtig miteinander zu harmonieren. Schon 2006 schrieb der aktuelle georgische Premierminister Irakli Kobachidse in seiner Doktorarbeit, dass westliche Geldgeber anstatt einer gesamtgeorgischen Zivilgesellschaft eine „civil society der Nationalen“1 produziert hätten und dass die „Gefahr der ausländischen Intervention in die Politik bzw. der Beeinträchtigung der Staatssouveränität...nicht zu übersehen“ gewesen wäre.

Doch der Kreml sollte sich nicht zu früh freuen. Umfragen zufolge wird Russland von der georgischen Bevölkerung nicht zunehmend positiv betrachtet, sondern vielmehr als Hauptfeind wahrgenommen. Die diverse Bevölkerungs- und Berufsgruppen sowie Regionen umfassenden Proteste in Georgien der letzten Monate – die größten seit der Wiederherstellung der Unabhängigkeit des Landes 1991 – haben gezeigt, dass der Georgische Traum demokratische Praktiken nicht ohne Weiteres zerstören und die europäische Zukunft des Landes nicht einfach verweigern kann. Denn Eines ist sicher: Der nächste demokratische Frühling in Georgien kommt bestimmt – und irgendwann auch der Fall des Putin-Regimes.


Der Artikel wurde ursprünglich für die Russland-Analysen verfasst und erscheint dort in Kürze.

Fußnoten
  • 1

    Gemeint ist hier die „Vereinte Nationalbewegung“ Micheil Saakaschwilis.