Vorwort: Das Leben der Annemarie Böll - Eine Würdigung

Vorwort

Zum 115. Geburtstag von Annemarie Böll erinnert Tanja Dückers in einem einfühlsamen Porträt an eine starke Frau im Schatten des Literaturnobelpreisträgers – und rückt ihr Leben, ihre Rolle und ihr politisches Denken in den Fokus.

Ältere Frau mit hellem Haar sitzt auf Bank vor Blattwerk. Links Text: „Das Leben der Annemarie Böll – Eine Würdigung“ (The Life of Annemarie Böll – A Tribute).

Das Leben der Annemarie Böll - Eine Würdigung
Von Tanja Dückers

Herausgegeben von der Heinrich-Böll-Stiftung

kostenfrei, ISBN 978-3-86928-276-3

Ab 15. Juli in unserem Bookshop erhältlich. Jetzt vorbestellen!


Dies ist ein Buch über eine besondere Frau: Annemarie Böll. Viele, die ihren Mann kennen, den Literaturnobelpreisträger und Namensgeber unserer Stiftung, Heinrich Böll, werden auch sie kennen – aber sie werden kaum etwas über sie wissen. Denn Annemarie Böll hat die Öffentlichkeit nie gesucht, sie hat die Scheinwerfer aber auch nicht gescheut; ebenso trifft hier nicht das Klischee zu, nach der ein großer Künstler alles um sich herum in den Schatten stellt, vor allem seine Frau. Heinrich und Annemarie Böll sind oft, vor allem in den späteren Lebensjahren, zusammen aufgetreten; und der Schriftsteller hat nie einen Hehl daraus gemacht, welch große Bedeutung seine Frau für seine Arbeit hatte, schließlich war sie seine erste Lektorin: Nichts ging an den Verlag und die Öffentlichkeit, ohne dass das meiste mit kritischem Blick von Annemarie Böll vorher geprüft wurde. Der Autor kannte den Wert eines Lektors, dem man bedingungslos vertrauen kann. Und in diesem Fall war es seine Frau. Nebenbei war sie in den ersten Jahren nach dem Krieg und zu Beginn der Schriftstellerkarriere ihres Mannes diejenige, die mit ihrem Gehalt als Lehrerin die Familie über die Runden brachte und sich um den Haushalt kümmerte. Gut möglich, dass Heinrich Böll das Wagnis einer unsicheren Künstlerlaufbahn nie eingegangen wäre ohne die imposante Unterstützung, Kraft und Klugheit seiner Frau.

Was aber wirklich zu entdecken bleibt, das ist Annemarie Böll als Übersetzerin. Sie, die studierte Anglistin, übertrug seit den fünfziger Jahren englischsprachige Literatur ins Deutsche - anfangs zusammen mit ihrem Mann, später dann alleine. Beide teilten die Neugier für fremde Kulturen, und das Übersetzen kam dem Wunsch entgegen, das durch die Nazi-Diktatur kulturell verarmte und seelisch beschädigte Deutschland für Gedanken aus anderen Welten zu öffnen. Dieser Aufgabe stellte sich Annemarie Böll im besonderen Maße: hochprofessionell, selbstbewusst und doch bescheiden. Sie hätte für ihre Arbeit mehr Anerkennung erhalten müssen – dass sie sie nicht bekam, lag nicht an dem vielleicht erdrückenden Erfolg ihres Mannes, sondern an der Geringschätzung, die das Verlagswesen und die Feuilletons den literarischen Übersetzern entgegenbrachten. Denn der Ruf von Übersetzern war früher meist der einer bloßen Magd der Autoren, oftmals nicht einmal erwähnenswert; dabei sind sie doch die Vermittler eines künstlerischen Stils und einer speziellen Poetik. Diese Geringschätzung hat erst viel später eine Korrektur erfahren – zu spät für Annemarie Böll. Leider.

Wir freuen uns sehr, dass wir die Berliner Schriftstellerin Tanja Dückers dafür gewinnen konnten, eine kurze Biographie über Annemarie Böll zu verfassen. Es ist ihr eine engagierte und einfühlsame Erzählung gelungen, der man die erfrischende Neugier an dem Leben von Annemarie Böll jederzeit anmerkt. An einer Stelle formuliert sie die schöne und wahre Feststellung, dass man Annemarie und Heinrich Böll eigentlich nur zusammen denken könne. Wenn man auf ihr gemeinsames Leben schaut, entwickelt sich zwangsläufig größte Bewunderung für dieses Paar: wie sie die schwierigen Zeitläufte meisterten und ebenso die persönlichen Schicksalsschläge, wie sie den Ruhm verkrafteten und auch den vielen Anfeindungen Stand hielten – und dabei immer glaubwürdig und integer blieben und die Fähigkeit bewahrten, die eigenen Talente zu entwickeln. Davon handelt dieses Buch. Es ist eine Geschichte, die Ihre Lektüre verdient.

Berlin, im Juni 2025

Jan Philipp Albrecht
Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

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