Wie kann die Zukunft des öffentlich-rechtlichen Fernsehens im Netz aussehen? Auf unserer Veranstaltung "Öffentlich-rechtliche Medien im (digitalen) Wandel" sprach Volker Grassmuck über die Notwendigkeit einer eigenen Internet-Plattform der Öffentlich-Rechtlichen.
Der Mitschnitt ist eine Folge in unserem Podcast Böll.Mitschnitt für das Dossier "Öffentlich-rechtliche Medien im Wandel". Im Folgenden können Sie den leicht gekürzten und bearbeiteten Vortrag nachlesen.
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Open external content on original siteDer Science-Fiction Autor Bruce Sterling hat 1995 ein Projekt zur Dead Media gestartet. Dabei haben wir gelernt, dass es auch Untote gibt, also Medien, die mal gestorben sind, dann aber wiederkommen: Vinyl-Schallplatten, Audio-Cassetten, Polaroid. Jetzt gerade auf der re:publica habe ich ein Polaroid bekommen, allerdings hergestellt von Fujifilm. Da war eine Fan Community hinterher, dieses Medium wiederzubeleben.
Aber es gibt auch Medien, die sterben und dann richtig tot sind. Im Augenblick erleben wir gerade den Tod von DVB-T und den Übergang zu DVB-T2. 2016 ist die Zahl der Fernsehhaushalte, die terrestrisch über DVB-T Fernsehen schauen, gegenüber dem Vorjahr nochmal um fast ein Prozent zurückgegangen, auf nur mehr neun Prozent.
Wir haben noch keine Informationen darüber, wie das jetzt mit der Umstellung auf DVB-T2 aussehen wird, aber meine Vermutung ist, dass es deutlich weniger als neun Prozent der Haushalte in Deutschland sein werden. Damit wird fragwürdig, ob diese höchst wertvollen öffentlichen Ressourcen im 700 Megaherzbereich noch für diesen Zweck reserviert bleiben können. Die Mobilfunker stehen natürlich schon in den Startlöchern, um auch diese Frequenzen zu ersteigern.
Und dann stellt sich in der Tat die Frage: Können wir noch von Rundfunk sprechen, wenn es kein terrestrisches Fernsehen mehr gibt? Wie gesagt, wir haben noch keine Daten über den aktuellen Wechsel, aber meine These ist: Es geht ins Netz. Ich finde es ein bisschen übertrieben, gleich von einem insgesamt öffentlich-rechtlichen Internet zu sprechen, aber dass die Öffentlich-Rechtlichen ins Internet gehen müssen, scheint mir offensichtlich.
Das Fernsehen geht ins Netz
Meine persönliche Strategie, nachdem ich jetzt nicht mehr DVB-T schauen kann: zum Zappen durchs lineare – seit der Fernbedienung genauer: multilineare – Programm, vor allem für Serendipity-Effekte, also für Dinge die ich nicht gezielt gesucht hätte, sondern über die ich beim Durchzappen stolpere, nutze ich Quellen wie Zattoo wenn immer möglich im freien Mediacenter Kodi.
Auf Giniko kommen die internationalen Fernsehstationen hinzu: BBC World, BBC News, BBC 2, Al-Jazeera und so weiter. Wer mal afghanisches, iranisches oder nigerianisches Fernsehen schauen möchte, hat hier eine Quelle.
Meine eigentliche Fernsehumgebung ist Mediathek View. Wenn ich etwas finde, was mir so wichtig erscheint, dass ich es in mein eigenes Archiv aufnehmen möchte, wechsle ich hierhin. Hier werden die jeweils verfügbaren Inhalte deutschsprachiger Mediatheken aus der Schweiz, Österreich und Deutschland in einer einheitlichen Umgebung erfasst, zur Zeit etwa 200.000 Beiträge.
Je nach den Verweildauern kommen und verschwinden die Sachen natürlich. Man kann die Beiträge durchsuchen und filtern, die Live-Kanäle anschauen und direkt aus dieser Umgebung abspielen. Zusätzlich hat man die Möglichkeit, Beiträge inklusive Info-Dateien und Untertitel-Dateien, runterzuladen.
Das wäre eine Minimalfunktion für öffentlich-rechtliche Medien im Internet: Dass sie einen Überblick über alles aktuell Verfügbare in den Mediatheken anbieten.
Brauchen die Öffentlich-Rechtlichen eine eigene Plattform?
Die Idee, auf eine Plattform im Internet zu gehen, ist mal wieder souffliert worden von der BBC. In der letzten Charter-Erneuerung hat sie angekündigt, eine offene BBC zu werden. Kern davon ist die Plattform-Funktion, die mit dem iPlayer schon sehr erfolgreich aufgebaut wurde. Offen heißt in diesem Fall: Diese Plattform soll auch offen sein für andere Ideen und Institutionen, nämlich Museen, Theater, Festivals, Universitäten und so weiter.
Bei der Darstellung verweist die BBC als Beispiel für offene Plattformen auf die Wikipedia. „User generated content“ wollen sie allerdings nicht, auch nicht den Aufbau eines neuen YouTubes. Stattdessen soll es weiterhin um Qualitätsinhalte gehen. Idea Service ist der Generaltitel. Darunter sind zwei einzelne Programme angekündigt: „UK Arts“ für Kunst und Kultur und „New Edge of Wonder“ für Wissenschaft und Bildung.
Diese Idee ist hierzulande aufgegriffen worden. In dem Gutachten zum ZDF aus dem November 2016 haben die Herren Holznagel, Dörr und Picot unter Bezug auf die BBC den Begriff „Public Open Space“ geprägt. Das ist nicht etwa ard.de, zdf.de oder die Mediatheken. Stattdessen brauche es etwas anderes.
Es soll eine offene Plattform sein, auch für ausgewählte Dritte wie Gebietskörperschaften, NGOs und andere Verbände. Bei NGOs wäre ein naheliegender Partner die Wikipedia. Meine Wunschallianz des qualitätsgesicherten, für alle frei zugänglichen Wissens wäre eine Allianz aus der EBU, also dem Verbund der europäischen Öffentlich-Rechtlichen, Europeana, einem Verbund von Museen und Bibliotheken mit einer zentralen Einstiegsseite, die dann aber verzweigt auf die jeweiligen Silos der teilnehmenden Institutionen, und natürlich die Wikipedia.
Auch das neuen ZDF-Fernsehratsmitglied Leonhard Dobusch nannte auf der re:publica die Öffentlich-Rechtlichen und Wikipedia ein Traumpaar. Andere sind vorstellbar, etwa die Bundeszentrale für politische Bildung, Open Knowledge Foundation und so weiter.
Auf Einladung der ARD-Generalsekretärin ist im März dieses Jahres an der Humboldt-Universität die Community der Medien- und Rundfunkwissenschaftler/innen zusammengekommen. Auch bei dieser Veranstaltung lief die eigene Plattform wie ein roter Faden durch die Diskussion.
Hauptsächlich auch als Reaktion auf die Strategie von „funk“, die völlig plausible und nachvollziehbar sagen: Wenn junge Menschen nicht mehr zu uns kommen, müssen wir dorthin gehen, wo sie sich informieren und unterhalten, also auf Plattformen wie Facebook, Youtube und so weiter. Ich würde unter dieser Prämisse „dahin gehen, wo junge Menschen sich informieren“, auch hier die Wikipedia dringend mit einbeziehen wollen.
Probleme mit Drittplattformen sind hier auf der Veranstaltung schon genannt worden: Es gibt keine Kontrolle über das Umfeld. Die öffentlich finanzierten Beiträge erhöhen den Wert der privaten Plattformbetreiber. Und es gibt ein Problem mit der Wiedererkennbarkeit öffentlich-rechtlicher Inhalte. Eine ganze Reihe von Vortragenden haben so argumentiert. Jan Metzger, Intendant von Radio Bremen, hat eine Dreier-Prioritätenliste vorgestellt, und die eigene Plattform stand auf Platz eins.
Ich möchte noch einen weiteren Aspekt mit einbringen. In einer internationalen Gruppe von Medienwissenschaftler/innen wird das Konzept eines „Civic Commons Online“ debattiert, also etwa eine staatsbürgerliche Online-Allmende. Hintergrund ist, wir hatten es schon gehört, dass eine Habermasianische Vorstellung der deliberativen Demokratie Räume der Öffentlichkeit benötigt, die frei sind von staatlichem und wirtschaftlichem Einfluss.
Diese Gruppe von Wissenschaftler/innen argumentiert, dass genau das die Konstruktion der öffentlich-rechtlichen Medien ist: Sie sind staats- und marktfrei, sind öffentlich finanziert, und ihr Auftrag ist es, Informationen für die private und öffentliche Meinungsbildung zur Verfügung zu stellen. Was läge also näher, als dass sie im Rahmen einer solchen gemeinsamen Plattform auch einen Raum für Deliberation anbieten würden (s. Phil Ramsey 2013).
Öffentlich-rechtliche müssen von privaten Medien unterscheidbar sein
Das bringt mich zu meinem dritten Punkt. Öffentlich-Rechtliche haben eine Zukunft, aber meines Erachtens nur, wenn es gelingt, sie in der Eigen- und Außenwahrnehmung als kategorial verschieden von privatwirtschaftlichen Medien sichtbar zu machen.
Bürger/innen und Öffentlich-Rechtliche haben eine Art Rousseauschen Gesellschaftsvertrag geschlossen: Wir alle beauftragen, bezahlen und kontrollieren eine journalistisch redaktionelle Selbstbeobachtung der Gesellschaft im öffentlichen Interesse. Das tun keine anderen Medien, und es schafft diesen Raum der kategorialen Verschiedenheit. Sie richten sich an Bürger/innen, nicht an Konsument/innen.
Das Bundesverfassungsgericht hat durchgängig, spätestens mit der Einführung des dualen Systems, in diese Richtung argumentiert. Im letzten Rundfunkurteil zum ZDF-Fernsehrat hat das Gericht den Begriff der „Eigenrationalität“ eingeführt. Die Eigenrationalität der privaten Medien, die naturgemäß marktwirtschaftlichen Anreizen folgen, ist ihnen nicht vorzuwerfen, da sie in der Natur der Sache liegt.
Die Öffentlich-Rechtlichen seien dagegen beitragsfinanziert und somit unabhängig von Einschaltquoten und Werbeaufträgen und deshalb in der Lage, die verfassungsrechtlich gebotene Meinungsvielfalt anzubieten.
Was folgt daraus? Die Argumentation, die wir immer wieder hören, Öffentlich-Rechtliche und Private befänden sich auf demselben Spielfeld, wird damit als falsch erkennbar. Auch die Vorstellung einer Subsidiarität, also dass Öffentlich-Rechtliche nur noch das machen dürfen, was der Markt nicht anbietet, ist damit auszuhebeln.
Noch eine kleine technische Einzelheit: der Marktauswirkungstest, der für den Drei-Stufen-Test für veränderte und neue Online-Angebote vorgeschrieben ist, beruht auf diesem Kategorien-Fehler. Er ist sehr kostspielig und hat in allen über 50 Drei-Stufen-Tests, die es in Deutschland mittlerweile gegeben hat, nie zu dem Ergebnis geführt, dass ein neues Angebot nicht zulässig gewesen wäre, weil es mit Marktinteressen kollidieren würde.
Dazu gehört natürlich auch die Selbstvermarktlichung von öffentlich-rechtlichen Angeboten, die immer wieder als ununterscheidbar von privaten Angeboten kritisiert werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Ja, Öffentlich-Rechtliche müssen ins Internet. Ja, sie brauchen eine eigene Plattform, wobei es als Übergangsstrategie richtig und notwendig ist, auf Drittplattform zu gehen., Und es braucht diese kategoriale Verschiedenheit.