China: Schwarzer Brennstoff mit roten Zahlen

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Elektrizitätsgewinn nach Energieträger, Ende 2012, in Prozent - Ausschnitt aus der Grafik "Neue Hoffnung, made in China" (s.u.)

Beim weltgrößten Kohleverbraucher zeichnet sich eine Umkehr ab: Der Konsum war 2014 rückläufig, Erneuerbare legen zu. Die Auslastung der Kohlekraftwerke sinkt. Ein Kapitel aus dem Kohleatlas.

China verbrennt mehr Kohle als jedes andere Land. In den vergangenen 15 Jahren, also seit China die Werkbank der Welt und ein boomender Inlandsmarkt ist, hat sich der chinesische Kohleverbrauch verdoppelt. Allein zwischen 2010 und 2014 wurden in China neue Kohlekraftwerke mit einer Leistung von 228 Gigawatt gebaut. Sie werden dreimal mehr Strom produzieren, als ein Land wie Deutschland insgesamt verbraucht. Aufgrund seines hohen Kohleverbrauchs stößt ­China inzwischen deutlich mehr Kohlendioxid aus als der langjährige Klimasünder Nummer eins, die USA – wenn auch pro Kopf immer noch viel weniger. Und auch bei den kumulierten, seit dem Jahr 1990 ausgestoßenen Emissionen ist China kurz davor, die USA zu überholen.

Doch das Jahr 2014 markierte einen Einschnitt: Erstmals seit mehr als drei Jahrzehnten hat China weniger Kohle als im Jahr davor verbrannt. Der Verbrauch ging um 2,9 Prozent zurück; die Importe sind um elf Prozent geradezu eingebrochen. Noch vor Kurzem hatte die Internationale Energieagentur prognostiziert, dass die Zahlen bis 2020 weiter ansteigen würden. Trotz des Rückgangs der Kohle ist der Stromverbrauch um 3,9 Prozent gestiegen und das Bruttoinlandsprodukt sogar um über 7 Prozent gewachsen. Ob diese Entkopplung eine Ausnahme bleibt oder eine Trendwende bedeutet, ist umstritten.

Beim gewaltigen Kohleverbrauch Chinas führt ein kleiner prozentualer Rückgang gleich zu deutlich niedrigeren Emissionen

Der Rückgang des Verbrauchs kommt nicht von ungefähr. Die Regierung will die Nutzung der Kohle eindämmen. Die Motive dafür sind vielfältig. Allen voran ist der Smog ein großes Problem. Weil er zu Asthma führt und das Krebsrisiko erhöht, reagiert die chinesische Bevölkerung und insbesondere die aufstrebende Mittelschicht zunehmend gereizt auf das Thema. Für Aufsehen sorgte Anfang 2015 der Dokumentarfilm „Under the Dome“ der Journalistin Chai Jing. Der mittlerweile von den Behörden zensierte Film, der die weitverbreitete Luftverschmutzung problematisiert, wurde innerhalb von drei Tagen von mehr als 150 Millionen Chinesinnen und Chinesen gesehen.
Auch weil die Unzufriedenheit in der Bevölkerung wächst, schalten Städte alte Kohlekraftwerke ab. Mittlerweile hat sich ein Dutzend Provinzen vorgenommen, den Verbrauch zu reduzieren. Ein landesweit geplanter Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten soll dies unterstützen. Damit könnte das Ziel des „Energy Development Strategy Action Plan“ erreicht werden, den Anteil der Kohle am Gesamtenergieverbrauch von heute 64,2 Prozent bis 2020 auf unter 62 Prozent zu drücken.

Die nationale Regierung sorgt auch dafür, dass die erneuerbaren Energien zügig ausgebaut werden. Bis 2020 sollen die nicht fossilen Energien – inklusive der Atomkraft – mindestens 15 Prozent des Primärenergieverbrauchs ausmachen, bis 2030 mindestens 20 Prozent. Inzwischen investiert kein Land der Welt so viel in Wasser, Wind und Sonne wie China. Im Jahr 2014 waren es rund 90 Milliarden US-Dollar. Allerdings ist der Ausbau von Wasserkraft durch Großprojekte wegen gravierender Auswirkungen auf die Umwelt und teilweise schwerer Menschenrechtsverletzungen hoch umstritten. Allein für den Bau des Drei-Schluchten-Staudamms mussten fast 1,5 Millionen Menschen umgesiedelt werden. Im Vergleich zum Vorjahr hat China die installierte Leistung vor allem von Windkraft (plus 26 Prozent) und Solarkraft (plus 67 Prozent) deutlich erhöht.

Bleibt der Kohleverbrauch Chinas rückläufig, werden viele Kraftwerke überflüssig sein

In der Folge laufen Chinas Kohlekraftwerke immer weniger. Im Jahr 2014 produzierten sie 1,4 Prozent weniger Strom als noch im Vorjahr; inzwischen sind sie im Schnitt nur noch zu 54 Prozent ausgelastet. Das ist der niedrigste Stand seit drei Jahrzehnten. Chinas Kohlebranche leidet inzwischen unter einem gewaltigen Überschuss an Kapazitäten. Auch deshalb wurden etliche geplante Kohleprojekte in den vergangenen Jahren gestoppt.

Fallende Preise, das Verbot besonders schmutziger Sorten und schärfere Umweltauflagen drücken die Gewinne der Bergbaukonzerne. Drei von vier chinesischen Kohlefirmen schrieben zuletzt rote Zahlen. In den vergangenen vier Jahren mussten fast 6.000 Kohleminen dichtmachen. Bis Ende 2015 sollen weitere 2.000 Minen geschlossen werden. Während Minenunternehmen aufgrund finanziellen Drucks und politischer Vorgaben aufgeben, planen andere Unternehmen neue Kohlekraftwerke.

China importiert weniger als zehn Prozent seiner Kohle. Wenn der Inlandsverbrauch schrumpft, spüren ds die Lieferländer sofort

Experten warnen vor den Gefahren einer Investitionsblase, die durch die Überkapazitäten im Kraftwerkspark entstehen. Denn noch immer werden neue Kraftwerke geplant, die am Ende wohl kaum benötigt werden. Der Wert von Firmen mit großen Kohlereserven wird an den Aktienmärkten nach unten korrigiert, wenn ihre Vorräte an Wert verlieren. Dies wird sich auch auf benachbarte Sektoren, Großinvestoren und Banken auswirken, die Aktien an Kohleunternehmen halten oder Kredite vergeben haben. Platzt die chinesische Kohleblase, drohen nicht nur finanzielle Risiken für das Land, sondern für den gesamten asiatischen Raum. Auch die großen australischen und indonesischen Bergbaukonzerne, die ihre Exporte voll auf China ausgerichtet haben, werden die Schwierigkeiten schnell zu spüren bekommen.

Dass die chinesische Regierung beginnt, Kohle kritisch zu behandeln, und das Zeitalter der erneuerbaren Energien einläutet, ist ein starkes Signal an den Rest der Welt. Weil China die Massenproduktion moderner Anlagen anregt, werden deren Kosten sinken. So beschleunigt ausgerechnet das Land mit der schlechtesten Schadstoffbilanz die weltweite Energiewende.