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Die Auswirkungen der WM auf die südafrikanische Metropole Johannesburg

Am 11. Juni wird im Johannesburger Stadion Soccer City das erste Spiel der Fußball-WM 2010 angepfiffen. Die südafrikanische Metropole Johannesburg ist immer noch gekennzeichnet von den extremen Ungleichheiten, die das ehemalige Apartheidsregime hinterließ. Sie soll durch die Weltmeisterschaft einen Entwicklungsschub erfahren. In der Heinrich-Böll-Stiftung wurden stadtplanerische Projekte im Rahmen der WM und Effekte einer nachhaltigen Stadtentwicklung diskutiert. -> Aktuelle Artikel, Publikationen und andere Veröffentlichungen über und aus Afrika.

Als der Fußballweltverband FIFA im Mai 2004 Südafrika zum Austragungsort der Weltmeisterschaft 2010 machte, war der Jubel groß. Bei der Vergabe vier Jahre zuvor hatte Südafrika nur eine Stimme weniger als Deutschland erhalten, diesmal setzte es sich klar gegen die Konkurrenten Ägypten und Marokko durch. Es war ein ungeheurer Prestigeerfolg für ein Land, das bis 1992 wegen der Apartheidpolitik von allen großen internationalen Sport-Events ausgeschlossen war. In Nelson Mandelas Worten war die FIFA-Entscheidung „das perfekte Geschenk“, um ein Jahrzehnt Demokratie zu feiern – besonders, da Fußball traditionell der Sport der schwarzen Südafrikaner war. Die Weißen spielten Rugby und Cricket.

Perspectives Afrika: In dieser englischsprachigen Publikationsreihe wollen wir Fachleuten aus Afrika eine Plattform bieten, ihre Ansicht zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen ihrer Regionen zu veröffentlichen. Perspectives Africa legt dabei den Fokus auf Standorte im Süden, Osten und Westen des Kontinentes an denen die Heinrich-Böll-Stiftung mit Regionalbüros vertreten ist.

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Groß waren auch die Hoffnungen, die Fußball-WM werde dem Land wirtschaftliche Vorteile bringen. Stadien und Verkehrssysteme mussten errichtet werden, für die Beherbergung von Zehntausenden Besuchern während der WM gesorgt werden. Die wichtigste Stadt dabei war Südafrikas Metropole Johannesburg mit vier Millionen Einwohnern und noch einmal so vielen in ihrem Einzugsbereich. Eine Stadt, in der die Zeit der Apartheid extreme soziale Ungleichheit hinterließ: Viele Schwarze – sie stellen 73 Prozent der Einwohner Johannesburgs – lebten in den Townships wie Soweto unter erbärmlichen Bedingungen, die weißen Johannesburger verbarrikadierten sich hinter hohen Mauern in ihren Vororten, während die Innenstadt mit ihren Geschäftshäusern lange Zeit als äußerst unattraktiv und gefährlich galt.

Die Fußball-WM war für Johannesburg deshalb der Anlass für umfangreiche stadtplanerische Projekte, über die der südafrikanische Architekt Luyanda Mpahlwa jetzt im Rahmen der Veranstaltung „Johannesburg – eine runde Sache?“ bei der Heinrich-Böll-Stiftung berichtet. Er ist Mitglied des lokalen Organisationskomitees der FIFA in Südafrika, er berät den Weltverband beim Bau der zehn WM-Fußballstadien in Südafrika. Zwei davon stehen in Johannesburg, vor allem das Soccer City-Stadion mit Platz für 95.000 Besucher, in dem das Eröffnungs- und das Endspiel stattfinden werden. „Das wird das Mekka des Fußballs in Südafrika sein“, sagt Mpahlwa.

„Eine wahrhaft afrikanische Metropole“

Mpahlwa hat lange in Deutschland im Exil gelebt und hier Architektur studiert, seit 2000 lebt er in Kapstadt. Er hat Grundschulen und Sozialwohnungen in den Townships gebaut und dafür Preise gewonnen. „Als Architekten und Stadtplaner arbeiten wir auch in der Stadtplanung und finden es wichtig, alternative Bauweisen und Materialien für nachhaltiges Bauen zu erproben“, sagt er. Für die WM arbeitete er in einem Team von Ingenieuren, Architekten und Projektmanagern, die den Bau der Stadien, den Zeitplan und die Kosten überwachen. Gegenwärtig geht es darum, die inzwischen fertig gestellten Sportstätten in ihr städtisches Umfeld einzugliedern und dafür zu sorgen, dass sie die extreme Fragmentierung des Stadtbildes zu überwinden helfen. Nicht nur waren die Stadtteile rassifizierend getrennt, sondern jedes einzelne Viertel schottete sich auch von der Außenwelt ab. Hier sind Fortschritte zu verzeichnen, im Zentrum Johannesburgs ist laut Mpahlwa mittlerweile offensichtlich, dass die Stadt zu „einer wahrhaft afrikanischen Metropole geworden ist“, mit Menschen aller Nationalitäten und Hautfarben.

Mpahlwa nennt einige Zahlen, die die Probleme Johannesburgs veranschaulichen: 13 Sprachen sind offiziell anerkannt, 22 Prozent der Einwohner leben in informellen Siedlungen, 32 Prozent kommen zu Fuß zu ihrer Arbeitsstätte, 37 Prozent sind arbeitslos – und neun von zehn Erwerbslosen sind schwarzer Hautfarbe. Johannesburg ist eine junge Stadt, die nach Goldfunden 1886 auf einer kargen Hochfläche gegründet wurde. Stets habe der Immobilienmarkt bestimmt, wie die Stadt sich entwickelt, ganze Stadtviertel wurden platt gemacht, wenn es opportun war, berichtet Mpahlwa. Seit den 70er-Jahren hat sich der Stadtkern teilweise aus dem historischen Geschäftszentrum nach Norden, nach Sandton, verschoben. Dort sind mittlerweile die großen Banken mit ihren monumentalen Gebäuden rund um den Nelson Mandela Square ansässig. Auch das Hauptquartier der FIFA hat dort sein Quartier bezogen.

Integration als städtebaulicher Auftrag

Schon Jahre vor der WM wurde mit unterschiedlichen Mitteln versucht, die Integration der Stadt zu fördern. „Johannesburg sucht eine neue Identität“, sagt Mpahlwa. In vielen neu gebauten Häuserblocks sind Büros und Wohnungen nun gemischt. Das neue Verfassungsgericht, für das das ehemalige Gefängnis Old Fort Prison völlig umgebaut wurde, ist nicht nur ein Symbol für die Überwindung der Apartheid, sondern auch eine architektonische Meisterleistung. Es ist als offenes Gebäude konzipiert, und es gibt dort seit der Eröffnung 2004 Ausstellungen und Workshops zur Geschichte Südafrikas. Ein anderes Wahrzeichen des neuen Johannesburg ist die Nelson Mandela Bridge, die eine breite Eisenbahntrasse zwischen zwei Stadtteilen überspannt und diese nun verbindet. Neu sind auch kulturelle Zentren wie in Newtown oder Faraday Station, und vor allem wurde endlich das dringend benötigte öffentliche Nahverkehrsystem geschaffen – laut Mpahlwa eines der wichtigsten Projekte in Johannesburg, denn bis jetzt waren seine Einwohner auf Sammeltaxis angewiesen. Nun verbinden Busse die einzelnen Stadtteile, außerdem wurden neue Bahnhöfe für Fernverbindungen eingerichtet.

Während Mpahlwa überzeugt ist, dass die Fußballweltmeisterschaft für Johannesburg in städtebaulicher Hinsicht viele Fortschritte gebracht hat und erfolgreich ablaufen werde, bewertet Wolfgang Maennig, der zweite Referent, deren wirtschaftliche Effekte eher skeptisch. Maennig ist sportbegeistert: 1988 gewann er als Ruderer bei den Olympischen Spielen in Seoul Gold im Achter; heute ist er Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hamburg. Er hat die wirtschaftlichen Aspekte der Fußball-WM in Deutschland genau untersucht und festgestellt, dass sich die Hoffnungen von 2006, das Sportereignis werde zusätzliche Besucher in unser Land locken und neue Jobs schaffen, nicht erfüllt hatten. 400.000 zusätzliche Besucher waren erhofft worden, doch nur etwa 100.000 seien tatsächlich gekommen, sagte Maennig. Statt 100.000 zusätzlicher Arbeitsplätze seien während der WM wohl nur 2000 entstanden.

Hoffen auf den „Bilbao-Effekt“

Südafrika ist in diesem Jahr in einer noch schwierigeren Ausgangsposition. Reisen aus den fußballbegeisterten Regionen Europa oder Lateinamerika sind teuer, in Deutschland hatten Reiseanbieter Ende April noch reichlich Flug- und Hotelkapazitäten im Angebot, auch Eintrittskarten gab es noch in großer Zahl. Realistisch könne man mit 5000 oder 6000 deutschen Fußball-Touristen rechnen, sagt Maennig. „Kurzfristig sind keine positiven Einkommens- und Beschäftigungseffekte von solchen Mega-Events zu erwarten“, lautet sein Resumée. Dennoch könne Südafrika langfristig von der WM profitieren, wenn es gelinge, einen positiven Feelgood-Effekt zu schaffen. Ein Element davon seien ikonische Bauten, die Besucher auch in Zukunft anlocken. Alle wollten in Sydney das Opernhaus sehen oder in Bilbao das Guggenheim-Museum, erläutert er. Man spreche inzwischen vom „Bilbao-Effekt“. Alle ikonischen Bauten haben gemeinsam, dass sie an zentralem Ort liegen und sich durch innovative und provokante Architektur auszeichnen. Viele liegen am Wasser. Die Stadionbauten in Südafrika erfüllen zum Teil diese Erfordernisse. Maennig nennt besonders das neue Moses-Mabhida-Stadion von Durban, wo auch die deutsche Mannschaft spielen wird – es ist ein architektonisch einzigartiger Bau am Meer, der von einer begehbaren Brücke, dem Skywalk, überspannt wird. Aus über 100 Metern Höhe reicht der Blick über den nahe gelegenen Indischen Ozean. Spätestens nach dem Spiel Deutschland gegen Australien am 13. Juni könnte es für viele deutsche Südafrika-Besucher zum Pflichtprogramm ihrer Reise gehören.