Schieflage am „Prostitution Hill“ – Eine weiße Intellektuelle unterwegs in Hillbrow

Die Weltmeisterschaft hat erneut die Debatte um die Legalisierung von Sexarbeit in Südafrika ausgelöst. Mit einem literarischen Ausflug durch die Straßen Hillbrows in Johannesburg bietet Marlise Richter Einblicke in die Perspektiven von betroffenen Frauen. Aktuelle Infos, Publikationen und Veranstaltungen zu und aus Afrika.

Das oberste Gericht des Landes, das auf dem Constitution Hill thront, überragt die weit ausgedehnte Stadt Johannesburg. Seine verschwenderische Architektur inmitten der geradlinigen Wohnblocks und schäbigen Büros am Rande von Jo´burgs Innenstadt mutet ein wenig seltsam an.

Das Verfassungsgericht, mit all seiner Symbolik und der damit verbundenen Hoffnung auf ein wahrhaft demokratisches Südafrika, erntet selten einen zweiten Blick von seinen geschäftigen Nachbarn auf der anderen Straßenseite. Welch Ironie des Schicksals, dass die Frauen in der unmittelbaren Nähe des Gerichts zu einem der florierendsten Wirtschaftssektoren Hillbrows beitragen - als „Damen der Nacht“ (und des Tages) verkaufen sie ihren Körper gegen Bares.

Hillbrow wird seit den 1950er Jahren auch als Johannesburgs „Flatlands“ bezeichnet in Anspielung auf die Dichte an Mietwohnungen und Apartments in diesem Gebiet. Ursprünglich war es als dünn besiedelter Wohnraum für die expandierende weiße Bevölkerung vorgesehen gewesen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schossen jedoch gewinnbringende hoch aufragende Apartmenthäuser wie Pilze aus dem Boden und versahen Hillbrow mit einem Dickicht aus Betonklötzen und Wohnsilos, in das kaum jemals die Sonne vordrang und in dem freie Flächen eine Seltenheit waren. Der 90 Stockwerke hohe Hillbrow-Tower -- erbaut in den späten 1960er Jahren und inzwischen eines der Wahrzeichen Johannesburgs, -- wacht über das Gewusel seiner Anwohner zu seinen Füßen. In den 1970er Jahren belagerten größtenteils junge, weiße Singles die Mietwohnungen Hillbrows, und das Nachtleben brummte nur so. Hillbrow war das pulsierende Herz der „Disco Jo´burg“.

Perspectives Afrika: In dieser englischsprachigen Publikationsreihe wollen wir Fachleuten aus Afrika eine Plattform bieten, ihre Ansicht zu aktuellen gesellschaftspolitischen Themen ihrer Regionen zu veröffentlichen. Perspectives Africa legt dabei den Fokus auf Standorte im Süden, Osten und Westen des Kontinentes an denen die Heinrich-Böll-Stiftung mit Regionalbüros vertreten ist.

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Zu Beginn der frühen 1980er Jahre vermieteten die Hausbesitzer zunehmend an die aufstrebende indische Mittelschicht und „farbigen“ Familien, ein eindeutiger Verstoß gegen den Group Areas Act der Apartheid, demgemäß Hillbrow ausschließlich den Weißen vorbehalten war. Als in den späten 80ern schwarze Familien nachzogen, verließen immer mehr Weiße das Viertel.

Die nördlichen Vororte von „Jozi“, wie Johannesburg auch liebevoll genannt wird, füllten sich mit prallen Mittelschichtbäuchen und jeder Menge Klunkern, während die mittellosen Migranten aus den ländlichen Provinzen Südafrikas sowie Neuankömmlinge aus anderen Nationen in Jo´burgs leer stehende Gebäude drängten. Der Begriff „hijacked buildings“, zu Deutsch etwa „gekaperte Gebäude“, wurde Teil des Jargons, der zur Beschreibung des rund ein Quadratkilometer großen Areals zwischen Berea, Parktown, Braamfontein und Houghton Estate, auf dem die Mietskasernen dicht an dicht stehen, geprägt worden war. Demographen verweisen immer wieder gern darauf, dass die Bevölkerungsdichte in Hillbrow ein Fünffaches von der New York Citys beträgt.

Hillbrow strotzt nur so vor Lebendigkeit, schillert in den unterschiedlichsten Farben und Sprachschattierungen. Die Stände der Fliegenden Händler, die von Süßigkeiten für ein paar Cent über entrüstet kreischende Hühner in engen Drahtkäfigen so ziemlich alles feil bieten, säumen die von wuselnden Fußgängern und flitzenden Mini-Taxis bevölkerten Straßen. Es drängt sich einem die Frage auf, wie die Hühner wohl bis zu dieser Straßenecke gekommen sind, wo es sie bis heute Abend noch hin verschlagen wird oder wie sie in diesem engen, ganz und gar städtischen Raum ihr voraussichtlich jähes Ende finden werden.

Dasselbe könnte man sich über die im Sexgewerbe Hillbrows Beschäftigten fragen. Der Cashflow in Hillbrow stützt sich hauptsächlich auf unkonventionellen Handel. Vielen der (weiblichen) Neulinge, die nicht sofort Arbeit finden, wird schon bald klar, dass ihnen nur zwei Möglichkeiten bleiben, beide gleichermaßen hart: sie verkaufen ihren Körper oder kehren hungrig und mit leeren Händen dorthin zurück, wo sie hergekommen sind, d.h. falls sie überhaupt zurückkehren können.

Ich sitze auf den Stufen vor dem Eingang des Hugh-Solomon-Gebäudes in Hillbrow. Trauben von Menschen quellen daraus hervor; plaudernd und mit grummelnden Bäuchen, freuen sie sich auf das längst fällige Mittagessen - überwiegend Mammas in Faltenröcken und Schwe-schwes, vermutlich Krankenschwestern, die zur Fortbildung in Antiretroviraler Therapie zum Gesundheitszentrum von Hillbrow in die Reproductive Health & HIV Research Unit (RHRU), der Forschungs- und Ausbildungsabteilung für reproduktive Gesundheit & HIV, gekommen sind.

Ich warte auf Pauline, die mich hier abholen wollte. Sie soll mich durch das Labyrinth von Hillbrows Straßen zu der Wohnung ihres Freunds führen, wo sie mir eine Maniküre und Pediküre verpassen will. Pauline ist eine energiegeladene Alleskönnerin: Sie ist AIDS-Beraterin, im Sexgewerbe tätig und zudem noch mobile Kosmetikerin.

Pauline hat sich anscheinend verspätet und ich rutsche mit dem Hintern auf der unbequemen Betonstufe hin und her. Dies ist eigentlich untypisch für sie - wir haben noch vor einer halben Stunde telefoniert und abgemacht, dass wir uns hier vorm Eingang treffen. Ich habe kein Handy eingesteckt, und komme mir ziemlich verloren vor. Wenn man in Jo´burg kein Handy dabei hat, fühlt man sich nackt, den städtischen Mächten und dem lauernden Unbekannten schutzlos ausgeliefert. Ich habe mein Blackberry im Auto eingeschlossen, zusammen mit dem Portemonnaie, meinem Ausweis und allen anderen irdischen Besitztümern. Dies ist Hillbrow, wo die allgemein bekannte Weisheit gilt: hier gehst du besser kein Risiko ein.

Eine Gruppe von Krankenschwestern strömt auf die Straße hinaus, unterwegs zum Taxi nach Hause und zu ihrem Mittagessen. Ich beschließe, dass es Zeit ist, mein lebensrettendes Telefon zu holen. Ich nicke dem Sicherheitsmann zu, der mein Auto bewacht, und entdecke dabei Pauline vorm Klinikeingang in der Esselen Street. Wir müssen beide über das Missverständnis lachen: Genau wie ich hatte sie auf den Stufen derselben Klinik gewartet und wahrscheinlich ganz ähnliche Gedanken gehegt. Auf dem Weg durch die belebten Straßen unterhalten wir uns über die Rückreise aus Kapstadt.

Vergangene Woche haben wir beide an einer Konferenz mit Vertretern von Regierung und Nichtregierungsorganisationen teilgenommen, bei der Strategien im Zusammenhang mit Sexarbeit, HIV und der Fußball-Weltmeisterschaft 2010 erörtert wurden. Dort sprach Pauline wortgewandt über die Ängste der migrierten Sexarbeiterinnen in Bezug auf „2010“ – die Jahreszahl, die als gängiges Kürzel für das nur vier Wochen dauernde Ereignis benutzt wird.

Die im Sexgewerbe Tätigen sind verständlicherweise besorgt über die Veränderungen, die mit der internationalen Kontrolle und dem ganzen Tamtam eintreten werden. Sie gestehen mir oft ihre heimlichen Ängste darüber ein, dass die Polizei sie verhaften und für die Dauer der Spiele ins Gefängnis stecken könnte. Ihre Furcht ist nicht ganz unbegründet: Sexarbeiterinnen in Hillbrow werden regelmäßig von der Polizei aufgegriffen und verprügelt. Schon etliche sind vergewaltigt oder gar getötet worden -- die Täter wurden selbstredend nie gefunden (oder nie gesucht).

In Südafrika ist der Handel mit Sex illegal. Sexarbeiterinnen haben keinerlei Anspruch auf rechtlichen Schutz, und die Gesetzeshüter zur Rechenschaft ziehen, können sie schon gar nicht. Wer sich zudem noch illegal im Land aufhält, - also ein Makwere-kwere ist - muss mit dem Schlimmsten rechnen. Auf der Konferenz in Kapstadt wurde deshalb beschlossen, einen Antrag auf ein Moratorium für alle Festnahmen im Zusammenhang mit Sexarbeit während der Dauer der WM an die Regierung zu stellen, um einen Teil der Problematik zu entschärfen.

Während internationaler Veranstaltungen beschränkt sich die „Stadtreinigung“ oftmals nicht auf die Müllabfuhr und Renovierungsarbeiten an verrosteten Straßenschildern, sondern „entsorgt“ nebenbei noch Prostituierte, Fliegende Händler, Migranten und Obdachlose. Selbst das ambulante Klinikpersonal der RHRU bekam erst kürzlich die bedrohliche Willkür zu spüren, die mit diesen Säuberungsaktionen Johannesburgs einhergehen.

Letzte Woche war die Verkehrspolizei während einer Vorsorgeuntersuchung in einem nahe gelegenen Bordell zu einer Razzia eingedrungen und hat die Krankenschwestern und Mitarbeiter des kommunalen Gesundheitszentrums mit vorgehaltenen Pistolen auf den Boden gezwungen. Sie behaupteten, sie würden nach Drogen fahnden. Unter diesem Vorwand misshandelten sie den leichtgewichtigen Mitarbeiter des Gesundheitszentrums, der in den Kliniksprechstunden Beratungen für die Kunden des Gewerbes durchführt. Die Krankenschwestern versuchten zu erklären, dass sie eine ambulante Klinik betrieben. Daraufhin verließen die Polizeibeamten den Raum, nur um ein Stück weiter den Flur hinunter ein paar andere mit Tritten und Hieben zu malträtieren. Warum die Verkehrspolizei derart heftig wegen Drogenverdachts vorging, anstatt Strafzettel wegen Geschwindigkeitsübertretungen auszustellen, ist keinem der Anwesenden ersichtlich geworden.

Seit Jahren bereits tobt in Südafrika die Debatte um die Überarbeitung des Gesetzes zur Sexarbeit. Die South African Law Reform Commission - die Körperschaft des öffentlichen Rechts, die für die Abgabe von Änderungsvorschlägen zur Reform des Gesetzes zuständig ist - hat sich seit Beginn des zweiten Jahrtausends mit diesem Thema beschäftigt, ohne dass ein Ende absehbar wäre.

Die Kommission brachte 2002 ein Eckpunktepapier zu ihren Ermittlungsergebnissen heraus und legte 2009 ein Diskussionspapier vor, das ihre Empfehlungen und Gesetzesentwürfe enthalten sollte. In dem späteren Dokument fehlten allerdings schlauerweise eben diese; es wies lediglich darauf hin, dass seit der Erhebung von 2002 zu viel Zeit vergangen und mehr Input durch weitere Öffentlichkeitsbefragungen erforderlich geworden wäre. Menschenrechts- und Sexarbeit-Aktivisten kauten sich aus lauter Verzweiflung die Fingernägel ab.

Im Gegensatz zu Deutschland, das sein Regelwerk zur Sexarbeit im Jahr 2002 überarbeitet hatte, rechtzeitig zum Beginn der WM 2006, beruft sich Südafrika nach wie vor auf überkommene Vorstellungen und Gesetze. Tatsächlich bestehen in Südafrika im Prinzip noch immer genau die gleichen juristischen Rahmenbedingungen in Bezug auf Sexarbeit, wie es sie bereits unter der Apartheid gegeben hatte. Der Sexual Offences Act (Immorality Act) Nr. 23 von 1957, das Gesetz zur Sittenwidrigkeit, schrieb fest, dass es eine Straftat war, wenn Weiße und Schwarze Sex miteinander hatten oder sonst eine „unsittliche oder unanständige Handlung“ vollzogen. Obwohl inzwischen die meisten der Bestimmungen des Gesetzes mit den neuen demokratischen Werten und Idealen Südafrikas unvereinbar sind, können Sexarbeiterinnen und ihre Kunden weiterhin nach diesem Artikel strafrechtlich verfolgt werden.

Während ich so neben Pauline her gehe, versuche ich geflissentlich Pfützen mit stinkendem Wasser und Erdhügeln auszuweichen. Die Baustellen in Hillbrow halten sich ewig und nur wenige der Ampeln sind tatsächlich in Betrieb. Gedankenverloren höre ich Pauline zu, während ich den Fußgängerüberweg betrete, wo grünes Licht uns zum Überqueren auffordert. Im Nu hat mich Pauline gepackt und vor einem vorbeirasenden Auto zurückgerissen. „Lass uns lieber hier warten, Marlise“, schlägt sie vor. Mir fällt auf, dass die anderen Straßenampeln kein Lebenszeichen von sich geben, was für die Fahrer offensichtlich die Einladung ist, die Kreuzung als Autobahn zu betrachten. Hier wartet jede Menge Arbeit auf die Verkehrspolizei, denke ich bei mir. Als kein Auto mehr in Sichtweite ist, überqueren wir vorsichtig die Straße. Fußgänger sind relativ unbedeutend in dieser Metropole der ständig brummenden Motoren.

Wir schlendern an Fliegenden Händlern vorbei, die von Plastikspielzeug über Handy-Ladegeräte bis zum frischen Spinat so ziemlich alles verkaufen. Sie rufen in den unterschiedlichsten Sprachen, und tatsächlich kommt es einem so vor, als sei ein jedes der sogenannten „Entwicklungsländer“ in Hillbrow vertreten. Äthiopier, die Kleidung verkaufen. Nigerianer, die Mobiltelefone in allen erdenklichen Farben des Regenbogens anbieten. Ein pakistanisches Kaffeehaus, das seine Waren über den Bürgersteig ausgebreitet hat. Autobewacher aus dem Kongo. Pflanzenhändler aus Sambia. Wachleute aus Simbabwe. Die pulsierende Energie auf den Straßen wirkt elektrisierend und zieht die Leute unmittelbar nach Hillbrow, mitten hinein. Hier geht es lebhaft und munter zu, und es lockt die Menschen an, ihr Dasein, wenn möglich, hier zu fristen. Diese Energie überträgt sich und verleiht den ansonsten nüchternen, oft heruntergekommenen Gebäuden Farbe. Die leutseligen Ausrufe und lautstarken Wortwechsel erschaffen ein Babel voller Magie, das für einen Moment Armut, Elend und kriminelle Bedrohung in den Hintergrund rücken lässt.

Pauline marschiert unbeirrt und offensichtlich völlig selbstvergessen durch all dies hindurch. Sie scheint die Betriebsamkeit erst zu registrieren, als ein Mann an uns vorübereilt und mir zuruft: „He Madam, haben Sie einen Job für mich?“. Meine weiße Haut spricht Bände über meine Klassenzugehörigkeit, meinen Bildungsstand und mein Geld; unter den ausnahmslos schwarzen Gesichtern bleibe ich nicht unbemerkt. Ich lächle ihm zu, und wir setzen unseren Weg fort.

Nach ein paar Minuten treffen wir vor Paulines Haus ein. Es unterscheidet sich in nichts von all den anderen Wohnblocks in Hillbrow. Die Farbe blättert und der Schriftzug mit dem Namen des Hauses ist mittlerweile so verblasst, dass er kaum noch lesbar ist. Sie fragt mich, ob ich meinen Ausweis dabei habe. Ich schüttle verwundert den Kopf, bis wir beim Hineingehen mit drei verschiedenen Hinweisschildern konfrontiert werden, die allesamt dasselbe besagen: Ohne Ausweis, kein Einlass. Sie wechselt ein paar Worte in Shona mit dem Wachmann. Er schüttelt heftig verneinend den Kopf. Ich mische mich ein und schlage ihm vor, meine Tasche und Strickjacke da zu lassen. Sachlich-nüchtern entgegnet er mir: „Sind deine Tasche und Strickjacke Ausweise? Nein? Also. Dann gibt es auch keinen Einlass“. Ich erzähle ihm, dass ich 15 Minuten brauche, um meinen Ausweis zu holen. Er lässt sich nicht beeindrucken. Wieder schüttelt er den Kopf. Pauline sagt: „Komm mit“ und geht auf den Lift zu. Fragend schaue ich den Wachmann an, doch er wendet den Blick ab. Ich schlüpfe schnell in den Aufzug, mit dem wir im Inneren des Gebäudes verschwinden. Pauline kichert und erklärt, dass sie beide aus demselben Ort in Simbabwe stammen und befreundet sind. Eine Kakerlake fährt ebenfalls mit nach oben und huscht über die Aufzugknöpfe, als wolle sie sicher stellen, dass wir uns auch wirklich auf dem Weg zum elften Stock befänden.

Pauline öffnet beide Türschlösser und bittet mich hinein in die kleine Wohnung, die sie mit drei anderen teilt. Das Wohnzimmer hängt voller „Jesus ist König“-Stickbildern mit dunklem Untergrund. Sie schließt die Tür zu dem Zimmer auf, das sie sich mit ihrem Freund teilt, und ich mache es mir auf dem Stuhl neben dem Bett bequem. Beim Blick durch das trübe Fenster kommt es mir so vor, als erstreckte sich unter mir ein riesiger Dschungel aus Mietshäusern, und ich fühle mich plötzlich sehr obenauf. Wenn ich die Augen schließe, kann ich von hier aus bis zum Meer sehen. Aber ich bin schließlich zur Pediküre gekommen, und Pauline fängt an, meine Füße zu scheuern. Wir plaudern über die Sisonke-Sexarbeiterbewegung und andere Sexarbeiterinnen, die wir kennen. Sisonke, eine Organisation für Sexarbeit, ist erst kürzlich ins Hillbrow Gesundheitszentrum eingezogen. Sie wird von den Betreiberinnen des Gewerbes geleitet. Ihr Geschäft sind die Anliegen der Sexarbeiter.

Ich unterstütze sie dabei, ein Büro einzurichten und eine Organisationsstruktur aufzubauen, um in Johannesburg Fuß fassen zu können. Pauline ist eine freiwillige Helferin des Sisonke-Komitees. Wir treffen uns alle zwei Wochen in den Räumen der Organisation. Hier in der ungezwungenen Atmosphäre des Beautysalons in ihrem Schlafzimmer eröffnet mir Pauline eine heikle Angelegenheit: die Spannungen zwischen den zugezogenen und den südafrikanischen Sexarbeiterinnen. Wie in jeder anderen umkämpften Branche, gedeihen die Machtkämpfe untereinander. Die Südafrikanerinnen haben Angst, dass die Ausländerinnen ihnen die Arbeit wegnehmen und „die Männer klauen“. Während die Sexarbeiterinnen aus Simbabwe der Ansicht sind, die südafrikanischen Sexarbeiterinnen wären zu ungeduldig und „behandelten die Männer nicht ordentlich“. Wir reden über die Kampagne zur Entkriminalisierung von Sexarbeit, an der wir beide mitarbeiten. Wird dadurch eine wesentliche Verbesserung im Leben der zugewanderten Beschäftigten im Sexgewerbe eintreten, fragen wir uns.

Pauline lackiert meine Fußnägel in Champagner-Gold. Sie rutscht mit ihrem Stuhl ein Stück näher heran und macht sich an meinen rauen Händen zu schaffen. Der Fernseher läuft, und das weiße Rauschen einer Talkshow auf SABC1 füllt den Raum. Ich schiele zu den „Talking Heads“, den TV-Sprechern, hinüber und versuche herauszufinden, was sie über die Abschaffung der Sklaverei in Afrika zu sagen haben. Moderatoren wie Gäste scheinen ernsthaft in ein Thema verwickelt zu sein, aber ich kann nicht hören, worum es geht. Auch im Zimmer macht sich die Ironie ungleicher Machtverhältnisse breit: eine weiße Afrikaans-Geisteswissenschaftlerin lässt sich von einer vor ihr knienden, simbabwischen Migrantin die Nägel feilen.

Ich frage Pauline nach ihrer Familie in Simbabwe, woraufhin sie mir von ihrer Tochter und ihrem Sohn im Teenager-Alter erzählt. Ihre Mutter in Bulawayo kümmert sich um sie. Sie schickt ihnen jeden Monat Geld -- Südafrikanische Rand sind sehr willkommen in einem Land wie Simbabwe, dessen Währung zu einem internationalen Witz verkommen ist. Pauline sagt, sie sei erst letztes Jahr nach Südafrika gekommen. Das überrascht mich doch sehr, denn sie strahlt das Selbstvertrauen und Know-how von jemandem, der schon seit Jahren hier lebt, aus. Sie erzählt mir voller Stolz, wie sie über die Grenze geflüchtet ist. Mugabes ZANU-PF setzte sie und ihre Schwester unter Druck, abends ihren politischen Versammlungen beizuwohnen. Als sie sich weigerten, wurden sie ins Visier genommen. Sie beschlossen, es sei besser, das Land zu verlassen. Von Bulawayo, berichtet sie mit einem Funkeln in den Augen, ging es weiter nach Botswana, wo sie zwei Nächte verbrachte. Um 3 Uhr in der Früh kroch sie mit ihrer Schwester und ein paar weiteren unter dem Stacheldrahtzaun an der Grenze zwischen Botswana und Südafrika hindurch. Dann nahm sie den Bus nach Johannesburg. Als sie Bulawayo verließ, um sich nach Johannesburg aufzumachen, hatte sie nur 250 Rand, eine Tasche mit Kleidung und eine Decke dabei - weder Pass noch sonstige Unterlagen. Die erste Nacht in Johannesburg verbrachte sie bei einer Bekannten, die am Morgen aus dem Haus ging, ohne ihr etwas zu essen anzubieten und ihr sagte, sie solle los, sich nach Arbeit umsehen. Pauline machte eine andere Freundin in einem Hotel in Hillbrow ausfindig. Diese Freundin führte sie in das Sexgewerbe ein und half ihr sich einzurichten. Seitdem kommt Pauline für ihren eigenen Lebensunterhalt auf und erzählt mir, dass sie jetzt einen Reisepass und ein Visum besitzt.

Wir betrachten den lakritzfarbenen Nagellack, den ich mitgebracht habe, und versuchen den violetten Schimmer zu entdecken, der sich im richtigen Licht zeigt. Es ist zu dunkel im Zimmer und meine Fingernägel machen mich zum Grufti. Ich erzähle ihr, dass es mir gefällt, mit meinen schwarzen Fingernägeln wie eine furchtlose Hexe auszusehen. Sie zuckt bei der Vorstellung zusammen, ist aber froh, dass ich zufrieden bin. Da ich mir meine frisch lackierten Nägel nicht ruinieren möchte, hilft sie mir die 300 Rand aus meiner Jeans-Tasche zu ziehen, wo ich sie sicher vor den neugierigen, auspionierenden Blicken der Straße versteckt habe. Sie zweigt 20 Rand davon für den befreundeten Wachmann ab und lässt das Geld im Schrank verschwinden. „Damit er in Zukunft auch meine anderen Kunden durchlässt“. Einen Augenblick lang bin ich fassungslos. Sie wird doch sicherlich nicht mit ihren Freiern hierherkommen? Erst dann wird mir klar, dass sie die Kunden meint, die perfekt manikürte Nägel wünschen, - nicht diejenigen, deren Bedürfnisse die Pflege anderer privaterer Körperteile betreffen. So oder so, ich bin sicher, dass wir alle toppzufrieden und mit neuem Schliff wieder gehen.

Wir fahren mit dem Aufzug hinunter zur Eingangshalle und ich bemerke, dass Freund Kakerlake immer noch seine Runden dreht. Der Wachmann hält die Hände verschränkt und ich winke ihm zum Abschied. Pauline bringt mich zur Tür und teilt mir mit, dass sie noch das Zimmer aufräumen müsse, bevor ihr Freund nach Hause kommt, sonst gäbe es Ärger. Mich schaudert es ein wenig bei dem Gedanken, allein durch Hillbrow laufen zu müssen, aber dann wiederum habe ich ja meinen schwarzen Schutzlack drauf.

Ich nehme den gleichen Weg zurück und begegne den gleichen musternden Blicken. Ich kichere leise über den Anblick, den ich wohl abgeben muss. Meine Füße sind glitschig (wenngleich sehr viel ansehnlicher) von der Creme, mit der sie Pauline mit so viel Sorgfalt eingerieben hat, und meine Sohlen rutschen in den Plastiksandalen hin und her. Ich gehe an Schulkindern vorüber, die eine Cola-Dose gegen einen Baum ins Tor kicken, an elenden Hühner, die auf einen qualvollen Tod warten, bunten westafrikanischen Röcken, die im Wind flattern, und an den zahlreichen Straßenhändler, die mir ihre legalen wie illegalen Waren entgegen strecken. Hier bin ich nichts weiter als eine durch Hillbrow ziehende Touristin, auch wenn ich selbst hier arbeite, eine neugierige weiße Besucherin, die ihren Lebensunterhalt damit bestreitet, Geschichten und Informationen über die Leute, die um ihr tägliches Dasein in der harten Realität von Hillbrow kämpfen, zu sammeln. All diejenigen, deren Leben voll ist von gefährlichen Kunden, gewalttätigen Freunden, größenwahnsinnigen Polizisten, korrupten Hotelmanagern und lebensbedrohlichen Viren. Ich bin ein bisschen wackelig auf den Beinen, und erst im Auto, wo mein treues Handy brav auf mich gewartet hat, habe ich endlich das Gefühl wieder sichereren Boden unter den Füßen zu haben.


Quellenangabe/Literaturhinweise:

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Übersetzt von Mo Zuber