Auf den Spuren von Jürgen Fuchs

Ernest Kuczyński
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Ernest Kuczyński ist Literaturwissenschaftler aus Polen und Herausgeber der neuen Anthologie über Jürgen Fuchs

Am 26. Mai erschien Ihre Anthologie "Im Dialog mit der Wirklichkeit: Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs". Sie selbst sind ein junger polnischer Literaturwissenschaftler: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über Jürgen Fuchs zu veröffentlichen?

Ernest Kuczyński: Die Idee zu diesem Projekt entstand im Zusammenhang mit den Forschungsarbeiten zu meiner geplanten Habilitationsschrift über Jürgen Fuchs. Seit über drei Jahren komme ich regelmäßig nach Deutschland und stelle Nachforschungen an. In dieser Zeit besuchte ich viele Bibliotheken und Archive und knüpfte Kontakte mit Menschen, die den Autor gekannt haben. Diese Gespräche und Begegnungen erlaubten mir einen Blick hinter die Kulissen.

Im Laufe der Zeit merkte ich, dass man die Diskrepanz der Beurteilungen der Person Jürgen Fuchs durch das Prisma seines Lebens und Schaffens erklären kann: Bis heute hat der Prosaiker, Lyriker und Essayist für seine kompromisslose, jedoch oft falsch interpretierte Attitüde zu büßen. Er ist im öffentlichen Bewusstsein vorwiegend als Oppositioneller und weit seltener als Schriftsteller präsent, da seine Gedichtbände und Romane in der Literaturlandschaft wie auch der Germanistik nur sporadisch berücksichtigt werden. Die Frage, worauf dies zurückzuführen ist, lässt sich nicht eindeutig beantworten, aber gewiss gab und gibt es nur wenige, die seine Lebenshaltung und literarischen Werke verstanden haben. In seiner interessanten Vita lassen sich aber einige Antworten finden, die das Verständnis seiner Schriften wie auch seiner künstlerischen Attitüde befördern. Gerade dieser Umstand hat in mir den Wunsch entfacht, selbst einen Beitrag für die Rezeption und Verbreitung seines literarisch-publizistischen Werkes sowie seines Wirkens zu liefern.

Worin unterscheidet sich Ihr Buch von anderen Veröffentlichungen über Jürgen Fuchs?

Das Buch ist populärwissenschaftlich, es zeigt das Leben und Werk von Jürgen Fuchs aus zahlreichen Perspektiven. Diese Anthologie füllt eine Lücke. Nach Fuchs' Tod im Jahr 1999 sind nur wenige Publikationen über den Schriftsteller erschienen. Wer bis jetzt an dem Jenaer Oppositionellen interessiert war, der musste sich mit der Biografie von Udo Scheer, den Hörbüchern von Doris Liebermann bzw. mit zwei Tagungsbänden zufrieden geben. Heute steht den Leserinnen und Lesern ein umfangreicher Band zur Verfügung, mit dem man den Lyriker, Prosaiker und Dokumentaristen Fuchs sowie die Bedeutung seiner Literatur wieder entdecken kann.

Was erfahren Leserinnen und Leser über das Leben und Wirken von Jürgen Fuchs?

Das Buch versammelt Texte, die in den Jahren 1982 bis 2013 entstanden sind. Der Leserschaft werden in drei thematisch geordneten Teilen der Werdegang des Schriftstellers, sein Schaffen sowie die Reminiszenzen an sein geistiges Erbe wie auch seine Leistungen präsentiert.
Die Autorinnen und Autoren dieses Bandes sind Freunde, Weggefährte, Schriftsteller, Publizisten, Journalistinnen, Forscher, Historiker und Bürgerrechtlerinnen. Sie schreiben über gemeinsame Aktivitäten und Erlebnisse. Sie setzen sich mit seinem vielschichtigen und sehr intensiven Leben auseinander, das mit nur 48 Jahren zu Ende ging. Der gemeinsamen Nenner der vorliegenden Beiträge kann nicht nur im schwierigen deutschen Schicksal der Nachkriegsjahre, in der geteilten Nation und deren Literatur gesehen werden, sondern vor allen Dingen in einem Menschenleben, dessen Komplexität an die jüngste Zeitgeschichte erinnert: den Ost-West-Konflikt, die Verfolgung Andersdenkender, die Unterdrückungsmechanismen einer Diktatur, die Erwartungen an die Wiedervereinigung sowie enttäuschte Hoffnungen nach dem Mauerfall.

Was bestimmte Ihre Auswahl der Autorinnen und Autoren?

Im Zuge meiner Recherchen wurde mir bewusst, mit wie vielen Menschen Fuchs zeit seines Lebens in Verbindung kam, sowohl in der DDR, als auch später im Westen. Ich suchte Beiträge, die nicht nur direkt auf den Protagonisten fokussieren, sondern auch Stereotype aufbrechen und zur bewussten Wahrnehmung seines Werdegangs und Schaffens beitragen. Jürgen Fuchs sollte aus möglichst vielen Perspektiven beschrieben werden.

Insgesamt gewann ich für den vorliegenden Band über 30, zum Teil unveröffentlichte Beiträge aus unterschiedlichen Ländern, wie Deutschland, Österreich, Polen, Ungarn, Tschechien, Südafrika und den Vereinigten Staaten. Und unter den Autorinnen und Autoren, die sich bereiterklärt hatten Jürgen Fuchs zu würdigen, gibt es viele wichtige Stimmen, deren Präsenz nicht nur vom Format des Protagonisten zeugt, sondern auch wesentlich dazu beiträgt, dass sein Name bei öffentlichen Debatten über die Rolle der DDR-Literatur sowie die Weiterentwicklung der Aufarbeitung der SED-Diktatur nicht vergessen wird.

Was haben Sie von und über Jürgen Fuchs während der Arbeit an dieser Anthologie gelernt?

Eine Menge! Wenn ich heute zurückblicke, bin ich sehr froh darüber, dieses Projekt in Angriff genommen zu haben. In den vergangenen Monaten habe ich Wissenslücken über Jürgen Fuchs geschlossen und bin hierzulande Menschen begegnet, denen der Schriftsteller und Bürgerrechtler viel bedeutete. Sie haben mir von ihren Bekanntschaften bzw. Freundschaften mit Jürgen erzählt und ich war sehr glücklich, ihnen Fragen stellen zu können. Fragen, die bei einer Recherche im Archiv unbeantwortet geblieben wären. All die Erfahrungen und Begegnungen haben dazu beigetragen, dass ich jetzt in meiner Habilitationsschrift multidisziplinäre Fragestellungen entwickeln werde, die an der Schnittstelle zwischen Geschichte, Literatur- und Politikwissenschaft ansetzen und es mir ermöglichen, das Leben und Schaffen von Jürgen Fuchs im Kontext und in Bezug aufeinander zu konturieren.

Das Gespräch führte Nina Gawol.

 

Die Anthologie von Ernest Kuczinsky "Im Dialog mit der Wirklichkeit: Annäherungen an Leben und Werk von Jürgen Fuchs" erschien am 26. Mai 2014 im Mitteldeutschen Verlag Halle und kann in unserem Bookshop bestellt werden.