Meinungsfreiheit in den indischen Medien

Teaser Bild Untertitel
Thiruvananthapuram, Kerala, Indien

Freie Medien sind für Indien als größte Demokratie der Welt besonders wichtig - doch religiöse Intoleranz, Versuche der politischen Einflussnahme und Kontrolle durch die Wirtschaft schränken die Pressefreiheit immer wieder ein.

Obwohl Indien auf eine breite und facettenreiche Medienlandschaft verweisen kann, wird die Freiheit der Meinungsäußerung durch verschiedene Einflussfaktoren doch immer wieder eingeschränkt und beschnitten. Zu diesen Faktoren gehören beispielsweise Intoleranz seitens religiöser Hardliner oder fundamentalistischer Gruppen, Druck von Politikern oder politischen Parteien wie auch der Einfluss der Wirtschaftsbosse, die die Werbeausgaben für die Medien kontrollieren. Trotz der Medienvielfalt in Indien gibt es gleichzeitig eine starke Marktkonzentration. Große Medienunternehmen, die als Oligopole operieren, bestimmen in einem hohen Maße, was die Menschen in den Zeitungen und Zeitschriften, im Radio, Fernsehen, im Internet und auf ihren Smartphones zu sehen und hören bekommen.

Die Beherrschung des Medienmarktes durch die wenigen Großen und die Marginalisierung der vielen Kleinen und Mittleren engt die Vielfalt ein und hat die Auswahl der Leser, Zuschauer und Zuhörer erheblich beschnitten. Eine solche Konzentration bringt sicherlich wirtschaftliche Vorteile durch Größeneinsparungen, doch birgt sie auch Gefahren, die zu einer Einschränkung der Meinungsfreiheit und einer subtilen Form der Zensur führen können, wenn das Streben nach Gewinnmaximierung und einer Steigerung von Marktanteilen im Vordergrund stehen.

In der politischen Ökonomie der Medien überall auf der Welt gibt es eine alarmierende Abwesenheit von nicht profitorientierten Medienorganisationen und eine Marginalisierung der kleinen und mittleren Akteure. Weder abonnement- noch werbebasierte Geschäftsmodelle waren bisher in der Lage, die Neigung der Medienunternehmen, sich mit elitären Interessengruppen zu verbändeln, einzuschränken. Die Medienunternehmen sind in ökonomischer Hinsicht aktive politische Mitstreiter, die das Wahlverhalten im Sinne ihrer Eigentümer zu beeinflussen suchen. Dem freien und fairen Meinungsaustausch, der für die demokratischen Entscheidungsprozesse so wichtig ist, können auf diese Weise Fesseln angelegt werden - was de facto auch häufig geschieht. Dies gilt besonders für Indien.

Die politische Ökonomie und die Freiheit der Medien

Am 1. Mai dieses Jahres, während die Parlamentswahlen der weltgrößten Demokratie stattfanden, wurde die jährliche Rangliste der Pressefreiheit von Reporter Ohne Grenzen veröffentlicht. Dabei wurde Indien der 140. Rang unter insgesamt 197 Staaten zugewiesen. Weltweit ließ sich ein Rückgang der Medienfreiheit beobachten und auch Indiens Punktzahl sank leicht als Folge "einer zunehmenden Einflussnahme auf Inhalte durch Medieneigentümer im Vorfeld zu den Wahlen 2014" und "der Entlassung von wichtigen Redaktionsmitgliedern".

Mit dem Wahlsieg der Bharatiya Janata Party (BJP) durch Narendra Modi bei den 16. Parlamentswahlen 2014 wurden Befürchtungen laut, dass besonders Anhänger der rechten nationalistischen Hindu-Partei versuchen, Äußerungen zu unterdrücken, die der herrschenden Meinung im Lande entgegenlaufen. Es gab Vorfälle von körperlichen Angriffen auf Personen und Versuche, den Verkauf von Büchern zu verhindern, die angeblich die religiösen Gefühle bestimmter Individuen verletzen, von denen einige womöglich politische Verbindungen haben.

In einem Fall Anfang Juni 2014 wurde ein junger Muslim in Pune, im westlichen Bundesstaat Maharashtra, von einer fundamentalistischen Hindu-Splittergruppe getötet, nachdem manipulierte Bilder von historischen Persönlichkeiten und politischen Führern für kurze Zeit auf Facebook kursierten. Der junge Muslim hatte dabei nichts mit der Anfertigung und Verbreitung dieser Bilder zu tun. Personen in Goa und Karnataka im westlichen und südlichen Indien wurden beschuldigt, gegen die Bestimmungen des Informationstechnologie-Gesetzes verstoßen zu haben, weil sie kritische Kommentare über den Premierminister Modi gepostet hatten. Das Gesetz selbst und seine Durchführungsvorschriften und Leitlinien wurden in der Vergangenheit vielfach scharf kritisiert und als willkürlich und drakonisch bezeichnet. Der Autor U.R. Ananthamurthy wurde bedroht und mit einem One-Way-Ticket nach Pakistan bedacht, nachdem er erklärte, dass er nicht in Indien bleiben wolle, falls Modi Premierminister wird - eine Aussage, die, wie er behauptet, einem emotionalen Moment geschuldet war.

In der jüngsten Vergangenheit gab es mehrere Vorfälle religiöser Intoleranz, die negative Auswirkungen auf die Meinungsfreiheit hatten. Einer der bekanntesten Fälle betrifft die indischen Verlagshäuser Penguin und Aleph. Sie ließen zwei Bücher der amerikanischen Indologin Wendy Doniger zum Thema Hindus und Hinduismus einstampfen, nachdem sie Beschwerden erhalten hatten, dass diese Bücher anstößige Inhalte enthalten. Penguin zog am 12. Februar 2014 ein Buch zurück und die Aleph Book Company folgte kurz darauf am 5. März.

Religiöse Intoleranz, politischer Einfluss und Kontrolle durch die Wirtschaft bilden die gemeinsamen Ingredienzen bei den aktuellen Versuchen, die Meinungsfreiheit der Medien sowie von Autoren und Künstlern zu beschneiden. Im Anhang (1) befinden sich weitere Beispiele, die die Willkürlichkeit der Grenzen der freien Meinungsäußerung aufzeigen.

Voreingenommene Berichterstattung und die Korrumpierbarkeit der Medien

Ein hervorstechendes Merkmal der jüngsten Parlamentswahlen ist die uneingeschränkte Unterstützung, die große Teile der Massenmedien der Kandidatur Modis entgegenbrachten. Die Medien profitierten wiederum im großen Stil selber von der beispiellosen Werbekampagne, die für Modi organisiert wurde und in der indischen Geschichte ohnegleichen bleibt; das gilt nicht nur für die traditionellen Medien (Print, Rundfunk, Fernsehen und Außenwerbung), sondern vor allem auch die Neuen Medien (Internet Websites, Blogs und Social Media Plattformen).

Gleicherweise auffällig bei diesen Wahlen war auch die Unterstützung Modis und seiner Partei durch die Wirtschaft. Niemals zuvor haben große Handels- und Industriekonzerne so offen die Kandidatur eines Politikers unterstützt. Da sich ein wesentlicher Teil der indischen Massenmedien im Besitz und unter Kontrolle von Unternehmenskonglomeraten befindet, ist es letztlich diesen Medienkonzernen zu verdanken, dass die BJP unter Führung Modis einen so überwältigenden Sieg bei den Wahlen eingefahren hat.

Schon bald nach Ende der Wahlen übernahm Reliance Industries Limited, Indiens größtes Unternehmen unter Führung des reichsten Mannes des Landes, Mukesh D. Ambani, die Geschäftsanteile eines der führenden Medienkonglomerate in Indien, der Network18 Group. Die linksliberale Economic and Political Weekly machte geltend, dass diese Übernahme ein Zusammenlaufen von Unternehmens- und Medieninteressen bedeute, was wiederum eine Gefahr für die freie Meinungsäußerung und die Medienpluralität darstelle.

Ein anderes Phänomen, das die Pressefreiheit aushöhlt, ist die Korruption innerhalb der Medien selbst in Form von "bezahlten Nachrichten". Für die betreffenden Inhalte, die in Publikations- und Fernsehkanälen erscheinen, werden rechtswidrige Zahlungen in Bar und Sachwerten geleistet, wobei der Eindruck erweckt wird, dass die Inhalte das Ergebnis einer unabhängigen, unvoreingenommenen und objektiven journalistischen Berichterstattung seien. Einfach formuliert sind die bezahlten Nachrichten reine Werbeinhalte, die sich als Nachrichten tarnen. Bezahlte Nachrichten gibt es in unterschiedlicher Form seit vielen Jahren, doch wenn sich dieses Phänomen zur Zeit der Wahlen ausweitet, werden demokratische Prozesse untergraben.

Trotz aller Bemühungen der Wahlkommission ist dieses Problem nur schwer in Griff zu bekommen, da bezahlte Nachrichten nicht leicht zu identifizieren sind. Normalerweise fließt bei bezahlten Nachrichten Schwarzgeld, was wiederum nur schwer nachzuweisen ist. Die Täuschung, die mit der Verbreitung von als Nachrichten getarnten Werbeinhalten einhergeht, stellt eine illegale Aktivität dar und kann nur von den Beteiligten selbst offengelegt werden - was bedeuten würde, dass die betreffenden Personen zugeben müssten, dass sie gegen geltendes Recht verstoßen haben, d.h. gegen Rechtsvorschriften, die mit Betrug, Täuschung, Steuerhinterziehung und dem Volksvertretungsgesetz (Representation of the People Act) zusammenhängen.

Der Indische Presserat, der eine gerichtsähnliche Behörde darstellt und auf Beschluss des Parlaments eingerichtet wurde, besitzt jedoch keine gesetzlichen Befugnisse, und kann weder Bußgelder verordnen, geschweige denn Gefängnisstrafen verhängen. Die Autoriät des Presserats erstreckt sich zudem nicht über die Printmedien hinaus auf Fernsehen, Rundfunk und Internet. Der Presserat besitzt auch keine Mittel, seine Entscheidungen rechtlich durchzusetzen oder Personen und Organisationen für die Verletzung des journalistischen Ehrenkodex zu bestrafen, der bestenfalls eine Sammlung von Handlungsempfehlungen darstellt.

Die indische Mediendebatte und ihre Grenzen
    
Der Streit um die Meinungsfreiheit und über das, was zensiert werden darf und was nicht, ist so alt wie die Zivilisation selbst, weltweit und in Indien. In den letzten Jahren hat diese Debatte durch das Wachstum der Massenmedien und insbesondere des Internets eine neue Dimension angenommen. Die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, nationale Sicherheit, religiöse Toleranz, Blasphemie, Verunglimpfungen, Diffamierungen, Eingriffe in die Privatsphäre, künstlerische Freiheit, Pornografie, Obszönitäten, Copyright und andere Rechte des geistigen Eigentums sind zu Streitfragen geworden und oft Gegenstand heftiger Debatten, die eng mit dem Thema der Meinungsfreiheit zusammenhängen. Während Artikel 19 (1) der indischen Verfassung das fundamentale Recht aller Bürgerinnen und Bürger zur freien Meinungsäußerung garantiert, werden durch Artikel 19 (2) "angemessene Beschränkungen" bei der Ausübung dieser Freiheit auferlegt. Es gibt aber keinen Konsens darüber, was unter "angemessenen" Beschränkungen zu verstehen ist und welche Institution darüber entscheidet, was "angemessene" Beschränkungen bei der freien Meinungsäußerung sind oder sein sollten.

Die Debatten zu diesem Thema wurden mit der Entfaltung der Massenmedien in Indien stark angefacht   kein anderes Land der Welt produziert so viele Spielfilme, fast 1000 pro Jahr, kann auf über 90.000 registrierte Publikationen verweisen, auf mehr als 900 Fernsehkanäle, auf über 250 Rundfunkanstalten, auf 900 Millionen Handy-Verträge und 700 Millionen Nutzer sowie ungezählte Internet Websites. Die Quantität hat sich allerdings noch nicht in Qualität umgesetzt, und es kommt regelmäßig zu Eruptionen von Zorn und Empörung darüber, was die eine oder andere gesellschaftliche Gruppierung als unpassend oder ungeeignet für die öffentliche Verbreitung erachtet. Die Rolle der Behörden (wie das Central Board of Film Certification und das Press Council of India), die zur Veröffentlichung bestimmte Inhalte kontrollieren, wird kontinuierlich in Frage gestellt. Das gilt auch für selbstregulierende Organisationen wie die News Standards Broadcasting Authority und die Advertising Standards Council of India.

Viele behaupten, dass die indische Gesellschaft Meinungsverschiedenheiten gegenüber eine gewisse Toleranz entwickelt hat, selbst wenn bestimmte Teile der Bevölkerung ihren Unmut über vermeintlich anstößige Inhalte immer deutlicher zum Ausdruck bringen. So übertönen lautstarke Minderheiten oft die Stimmen der passiven Mehrheit bei Fragen, die die künstlerische Freiheit oder Meinungsfreiheit betreffen. Zwischen dem Recht des Bürgers zu provozieren und seiner Verpflichtung zur Wahrung sozialen Friedens muss eine Trennlinie gezogen werden. Dabei sind freie Medien ohne jeden Zweifel grundlegend für das Bestehen einer Demokratie.

---

(1) Anhang

  • Am 25. Januar 2012 sollte Salman Rushdie auf dem Literaturfestival in Jaipur sein Buch The Midnight’s Children besprechen. Er entschied sich jedoch, der Veranstaltung fernzubleiben, nachdem Gewaltandrohungen gegen ihn ausgesprochen wurden. Selbst eine Video-Konferenz musste abgesagt werden.
  • Am 10. Oktober 2011 entschied sich die Universität Delhi auf Druck von Hindu-Hardliner-Gruppen, einen Essay des Gelehrten A.K. Ramanujan mit dem Titel Three Hundred Ramayans aus dem Lehrplan für Geschichte zu streichen. Die Hardliner fühlten sich durch die Abhandlung zu dem Thema beleidigt, wie sie erklärten.
  • Maqbool Fida Hussain, einer der größten zeitgenössischen Künstler Indiens, starb am 9. Juni 2011 im Londoner Exil. Er verbrachte die letzten Jahre seines Lebens außerhalb der Grenzen Indiens, weil er sich von Fundamentalisten bedroht fühlte, die sich über seine Bilder nackter Hindu-Götter und Göttinnen erbosten.
  • In Westbengalen verbot die Regierung der Linken Front am 23. November 2003 das Buch der Autorin Taslima Nasreen aus Bangladesh mit dem Titel Dwikhandito, weil befürchtet wurde, dass der Verkauf kommunale Spannungen hervorrufen würde.
  • Am 20. November 2012 wurden zwei junge Frauen, Shaheen Dhada und Renu Shrinivas aus Palghar, Thane in Maharashtra, inhaftiert, weil sie im sozialen Netzwerk von Facebook die Stilllegung der Stadt Mumbai anlässlich der Bestattung des Shiv Sena Führers Bal Thackeray kritisch kommentierten. Beide wurden in Untersuchungshaft genommen doch schließlich nach zwei Stunden gegen Kaution wieder frei gelassen. Im Januar 2013 stellte das Oberste Gericht fest, dass die Verhaftungen unrechtmäßig waren und eine schädliche Wirkung hatten. Dieses Beispiel zeigt, wie die Vorschriften des Informationstechnologie-Gesetzes in willkürlicher Weise interpretiert und vollstreckt werden.
  • Am 9. September 2012 nahm die Polizei Aseem Trivedi, einen politischen Karikaturisten aus Kanpur in Uttar Pradesh, in Gewahrsam und erhob Anklage gegen ihn wegen Aufwiegelung in Zusammenhang mit Karikaturen, die das Staatswappen Indiens in vermeintlich herabwürdigender Weise darstellten. Später wurde er gegen Kaution wieder freigelassen.
  • Am 20. März 2011 votierte der Landtag des Bundesstaates Gujarat einstimmig dafür, das Buch Great Soul: Mahatma Gandhi and his struggle with India von Joseph Lelyveld zu verbieten. In Rezensionen wurde behauptet, dass Mohandas Karamchand Gandhi, der "Vater der Nation", in dem Buch als bisexuell porträtiert wird, was der Autor bestreitet.