Israelische Reaktionen auf den Krieg mit Hamas

Hafen Tel Aviv, Israel
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Hafen von Tel Aviv im Juni 2014

Es ist noch zu früh, um die Folgen des jüngsten Krieges zwischen Israel und der Hamas ganz zu verstehen. Doch eines ist jetzt schon klar: Zumindest kurzfristig hat er den radikalen Kräften genützt - auf beiden Seiten.
 

In diesem Artikel versuche ich nicht, unvoreingenommen über den Krieg zu berichten, der vergangenen Sommer zwischen Israel und Gaza stattfand. Zwar war ich während des Kriegs in Tel Aviv, bin aber kein Fachmann für Hamas. In den folgenden Abschnitten will ich deshalb versuchen, ein Blitzlicht auf den Konflikt zu werfen, und zwar aus Sicht von jemandem, der sich selbst für politisch gemäßigt hält und bei den letzten Wahlen für Meretz gestimmt hat (die zionistische Partei, die am weitesten links steht).

Zuallererst muss man sagen, die Auseinandersetzungen, zu denen es diesen Sommer zwischen Hamas und Israel in Gaza kam, hatte Israel weder gewollt, noch war das Land darauf vorbereitet. Man kann natürlich sehr lange darüber streiten, ob Israel diesen Krieg hätte vermeiden können. War Israels hartes Vorgehen gegen Hamas im Westjordanland Auslöser des Kriegs? Was wäre geschehen, hätte Israel die Einheitsregierung von Hamas und Palästinensischer Autonomiebehörde akzeptiert? Zukünftige Historiker mögen getrost über diese Fragen streiten. Ehrlich gesagt, zu Beginn des Sommers (in den Tagen vor dem Krieg), glaubte niemand in Israel, es werde zu einem Krieg kommen. Die gängige Meinung war, Hamas sei zu schwach und könne es sich nicht leisten, seine Herrschaft durch einen Krieg gegen Israel aufs Spiel zu setzen – einen Krieg, bei dem Hamas mehr zu verlieren als zu gewinnen hätte.

In den verhängnisvollen Tagen Anfang Juli als der Krieg begann – es schien wie in Zeitlupe – nahmen die meisten an, Hamas werde schon nach wenigen Tagen, in denen man, um das Gesicht zu wahren, ein wenig ballerte, einem Waffenstillstand zustimmen. Tatsächlich verlief der Krieg, mit dem Israel nicht gerechnet hatte, aber ganz anders und zog sich einen Großteil des Sommers hin. Selbstverständlich war es ein äußerst asymmetrischer Krieg. Die Folge war eine gewaltige Diskrepanz zwischen dem, wie Israelis die Ereignisse empfanden, und dem, was Außenstehende für die Realität hielten. Für die meisten Menschen in aller Welt sah der Krieg im Fernsehen so aus, als ob Hamas primitive Raketen auf Israel feuerte, welche die technisch überlegenen Israelis dann abschossen (wodurch es kaum zu Schäden und Toten kam). Auf jeden Angriff der Hamas folgte ein Gegenschlag Israels, und bei diesen Angriffen starben in Gaza Hunderte unschuldiger Zivilisten. In gewissem Maße stimmt diese Sicht der Dinge, aber den Israelis bot sich ein ganz anderes Bild.

Zwar wurden nicht viele Israelis von Hamas getötet, aber es gab da eben diese Organisation, die versuchte, sie umzubringen – den gesamten Sommer über. Israels Raketenabwehrsystem Iron Dome war wie ein Wunder, und für die Menschen in Tel Aviv, wo die Reaktionszeit mit 90 Sekunden vergleichsweise hoch ist, funktionierte Iron Dome makellos. Dennoch war jenen Zweidritteln der israelischen Bevölkerung, die in Reichweite der Hamas-Raketen lebt, klar, dass Hamas alles tat, um sie umzubringen. Die einen ganzen Sommer anhaltende Sorge, sich nur nicht zu weit vom nächsten Luftschutzbunker zu entfernen, hatte für Israelis ungeahnte psychologische Folgen – ganz besonders für die Jüngeren. Viele Menschen fragen sich, warum sich Israel in den vergangenen Jahren politisch scheinbar nach rechts bewegt hat (ganz besonders die Jungen). Unterhält man sich mit jüngeren Israelis um die Mitte 20, merkt man, sie sind in einer Zeit aufgewachsen, in der ein Linienbus jederzeit in die Luft fliegen konnte. Das Trauma dieser Zeit haben sie nie überwunden. Ich fürchte, der gräßliche Lärm von Sirenen wird bei einer weiteren Generation ein ähnliches Trauma auslösen.

Die Folgen des Krieges

Es ist zu früh, die Folgen dieses Krieges ganz zu verstehen – umso mehr, da manche glauben, er könne wieder aufflammen. Einige Dinge sind jedoch klar. Kurzfristig hat er (wie bei Kriegen oft der Fall) den Falken auf beiden Seiten genützt. Alle Umfragen deuten darauf hin, dass Hamas nach dem Krieg von mehr Palästinensern unterstützt wird als zuvor, und dass in Israel die rechten Parteien auf mehr Zustimmung stoßen. Wird dieser kurzfristige Popularitätsgewinn von Dauer sein? Das ist nicht sicher.

Was Hamas betrifft wird die Unterstützung vielleicht in dem Maße abflauen, in dem klar wird, dass man mit diesem Krieg nichts erreicht hat (und gleichmaßen wird wohl auch der Glaube schwinden, nur durch Gewalt könne man Israel Zugeständnisse abringen). Was Israel angeht, sind die Folgen schwer abzuschätzen. Der Krieg trieb viele Israelis, die der Linken zuneigen, ins Lager jener, die meinen, Israel hätte härter zuschlagen sollen. Anhänger der Linken kamen während dieses Krieges zu einer Reihe häßlicher Einsichten. Eine Frau, die sich selbst als lebenslange Linke bezeichnet, sagte mir: „Jetzt ist mir klar geworden, die wollen mich tatsächlich umbringen.“

In der Tat hat dieser Krieg den Israelis zwei sehr widersprüchliche Einsichten beschert. Einerseits hat er gezeigt, dass es nicht möglich ist, einfach nichts zu tun. Wird keine politische Lösung gefunden, kann Israel nicht wie unter einer Glasglocke in Frieden existieren. Andererseits haben die Zahl der Raketen und Granaten, die aus Gaza auf uns abgeschossen wurden (speziell auf jene im Süden des Landes) sowie die von Hamas gebauten Tunnel gezeigt, mit welchen Risiken Israel zu rechnen hat, wenn man aus weiteren Gebieten abzieht. Als Israel aus Gaza abzog behaupteten jene, die den Abzug begrüßten, Israel könne jederzeit, sollte es zu Angriffen aus Gaza kommen, das Gebiet erneut besetzen. Die Tatsache, dass Hamas 50 Tage lang Israel beschossen hat, und Israel dennoch Gaza nicht wieder besetzt hat (warum auch immer), gibt jenen zu denken, die glauben, wir sollten uns aus dem Westjordanland zurückziehen. Die große Frage ist, wie wird die israelische Linke mit dieser Frage umgehen? Die noch größere Frage lautet, in welche Richtung wird sich Israel entwickeln?