Landverluste: Teersand, Kohle und Asphalt

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Ausschnitt aus der Grafik "Niederschläge und Bodenversiegelung" (s.u.)

Städte und Tagebaue verbrauchen je rund 1 Prozent der Weltoberfläche. Beide lassen von Böden wenig übrig. Siedlungen expandieren – aber sie können grüner werden. Die Rekultivierung von Tagebauen hingegen ist eher kosmetischer Natur - ein Kapitel aus dem Bodenatlas.

Im Jahr 2007 lebten zum ersten Mal in der Menschheitsgeschichte mehr Menschen in Städten als auf dem Land. In Japan sind es bereits 90 Prozent, in Australien und in Neuseeland 88, in den USA und Kanada 80, in Europa 73 Prozent. Das starke Wachstum begann mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert. Jetzt nimmt in den alten Boom-Regionen die Bevölkerung kaum noch zu oder geht sogar zurück, so dass die Städte nur noch langsam wachsen.

In den Entwicklungsländern schreitet die Urbanisierung jedoch schnell voran. Dort begann das rapide Wachstum in den 1950er Jahren, mittlerweile ziehen gewaltige Menschenmassen in die Städte. Diese zweite Urbanisierungswelle ist die größte Völkerwanderung der Geschichte. Lateinamerika und der karibische Raum sind mit 79 Prozent bereits stark verstädtert, während Afrika mit 38 und Asien mit 45 Prozent noch weitgehend ländlich geprägt sind. In einigen afrikanischen Staaten beträgt der Anteil der Stadtbevölkerung unter 20 Prozent, zum Beispiel in Äthiopien. Auch in Papua-Neuguinea oder Sri Lanka leben mehr als vier von fünf Personen im ländlichen Raum.
Die Urbanisierung bringt viele soziale und wirtschaftliche Probleme mit sich, darunter Armut, Slums, Umweltverschmutzung, Verkehrsstaus, Arbeitslosigkeit, Verbrechen und Gewalt.

Darüber hinaus ist sie eine Bedrohung für die Umwelt. Wenn Städte wachsen, verschlingen sie wertvolles Ackerland – schließlich wurden viele von ihnen genau da gegründet, wo der fruchtbare Boden der Umgebung ermöglichte, einen Überschuss zu erwirtschaften. Die sich ausdehnenden Städte versiegeln diesen Boden jetzt mit Beton und Asphalt. Regenwasser kann nicht mehr versickern, und das führt zu Überschwemmungen. Die biologische Vielfalt wird zerstört und der Boden nimmt keinen Kohlenstoff mehr auf. Boden, der über tausende von Jahren gebildet wird, kann in wenigen Minuten zerstört werden. Weltweit gehen auf diese Weise jede Minute zwei Hektar Land verloren.

Überschwemmungen zu verhindern gehört im Klimawandel zu den wichtigsten Aufgaben der Stadtplanung

2006 waren 2,3 Prozent der Landmasse Europas mit künstlichen Oberflächen verschiedener Art bedeckt. In Deutschland waren es gar 5 Prozent, und täglich werden weitere 77 Hektar des Landes als Verkehrs- und Siedlungsflächen ausgewiesen. Es ist unwahrscheinlich, dass die Inanspruchnahme dieser Fläche bis 2020 auf die von der Bundesregierung versprochenen 30 Hektar täglich reduziert wird.
Knapp 1 Prozent der Oberfläche weltweit ist bebaut, und eine ebenso große Fläche wird für Tagebaue und Minen genutzt. Denn die Nachfrage nach Metallen, Industriemineralien und fossilen Brennstoffen steigt, der Sektor boomt. Auch er verändert Natur und Landschaft. So ist in den vergangenen zehn Jahren die Eisenerzproduktion um 180 Prozent gestiegen, die von Kobalt um 165 und die von Kohle um 44 Prozent. Allein zwischen 2005 und 2010 ist Chinas Bergbausektor um ein Drittel gewachsen. Durchschnittlich verbraucht ein US-Amerikaner in seinem Leben fast 1.343 Tonnen an Metall, Mineralien und Energierohstoffen, 17 Tonnen pro Person und Jahr. Wiederum durchschnittlich müssen für 1 Tonne Erz über 3 Tonnen Böden und Gestein umgelagert werden.

Neue Minen verbrauchen am meisten Land, für den Abbau und für den Abraum, für die Infrastruktur einschließlich neuer Verkehrswege, für die Verarbeitung und für Wohngebäude. Rohstoffe werden zunehmend in ökologisch sensiblen, bisher unerschlossenen Regionen wie der Arktis oder dem Regenwald in Lateinamerika und Zentralafrika abgebaut. So zerstört die Aluminiumproduktion jährlich 300 Hektar Wald in der brasilianischen Bauxitmine am Rio Trombetas. Die kanadischen Teersandabbaugebiete haben 15 Millionen Hektar mit Vegetation vernichtet. Die größte Kohlemine der Welt, Cerrejón in Kolumbien, umfasst ein Gebiet von 690 Quadratkilometern, fast das Stadtgebiet Hamburgs. In Ländern mit unsicheren Landtiteln können Menschen durch den Bergbau von ihrem Land vertrieben werden. Laut John Ruggie, von 2005 bis 2011 UN-Sonderbeauftragter für Menschenrechtsverletzungen durch Wirtschaftsunternehmen, wurden die meisten Beschwerden gegen Bergbau- und Erdölunternehmen vorgebracht.

Wer Rohstoffe fördert, bewegt oft ein Vielfaches ihres Eigengewichts – besonders für die Metalle in elektronischen Geräten

Großflächige Umlagerungen lassen die einstigen Äcker degradieren, die doch zur künftigen Rekultivierung dienen sollen. Böden, die für eine große Kohlemine im indischen Jharkhand abgetragen wurden, haben nach sechs Jahren ihre Fruchtbarkeit vollständig verloren. Auch das übliche Absenken des Grundwasserspiegels im Tagebau wirkt sich negativ auf Böden und Landschaft aus. Im Braunkohlerevier der Lausitz in Ostdeutschland werden Äcker und Naturschutzflächen rund um die Tagebaue durch Tiefbrunnen bewässert. Im Steinkohlerevier des Ruhrgebiets muss der Grundwasserspiegel abgesenkt bleiben, weil sich die urbane Region mit mehreren Millionen Bewohnern sonst in eine Seenlandschaft verwandeln würde. Das permanente Abpumpen gehört zu den „Ewigkeitskosten“ des Bergbaus, die noch lange nach Ende der Förderung anfallen.

Um die Rohstoffe aus dem Gestein zu extrahieren, werden Erze nicht nur mechanisch, sondern auch chemisch behandelt. Mit Schwefelsäure wird Kupfer gewonnen, mit Zyanid Gold und mit Natronlauge Aluminium. Kidd Creek in Ontario, Kanada, ist eine der weltgrößten Minen für Silber, Kupfer, Cadmium, Indium und Zink. Seit 1966 wird hier abgebaut, und wenn die Mine voraussichtlich 2023 schließt, werden 130 Millionen Tonnen – meist giftige – Rückstände von der Aufbereitung übrig bleiben. Gesetzlich sind die Betreiber gezwungen, sie zu entsorgen.

Sind die Auffangbecken undicht, werden Böden und Wasser kontaminiert. Im schlimmsten Fall läuft ein Auffangbecken über oder ein Damm bricht. In der Region von Baia Mare in Rumänien passierte das im Jahr 2000. Rund 100.000 Tonnen zyanid- und schwermetallhaltige Schlämme flossen in die Theiß und die Donau, verdarben Ackerland und Flussauen. Sie verursachten eine Umweltkatastrophe – hier werden die Ewigkeitskosten von der Natur und den betroffenen Menschen getragen.

Hektar für Hektar – Urbanisierung nimmt sich zuerst die Äcker. Verloren gehen auch Weiden und Wälder

Weitere Quellen und Informationen: