Die Klimapolitik der EU beruht auf weniger Emissionen, weniger Verbrauch und mehr erneuerbaren Energien. Die Ziele sind in Reichweite – aber sie müssten ambitionierter sein. Ein Kapitel aus dem Kohleatlas.
Um den Klimawandel zu begrenzen, will die EU ihren Beitrag leisten und den CO2-Ausstoß ihrer Wirtschaft bis Mitte des Jahrhunderts stark reduzieren. Dafür hat sie sich im Jahr 2007 drei Ziele gesetzt: Bis 2020 will sie
- den Ausstoß klimaschädlicher Treibhausgase um 20 Prozent gegenüber 1990 senken,
- die erneuerbaren Energien auf 20 Prozent des Endenergieverbrauchs ausbauen und
- mindestens 20 Prozent weniger Energie verbrauchen, als Prognosen von 2005 vorhergesagt haben.
Die Bilanzen zur Halbzeit fallen gemischt aus. Das als wenig ambitioniert geltende Klimaziel für die EU ist fast erreicht. 2013 wurden 19 Prozent weniger Treibhausgase als noch 1990 ausgestoßen. Aber das ist in weiten Teilen der Anpassungskrise in den vormaligen Ostblockländern zuzuschreiben, die jetzt der EU angehören. Hinzu kommt die Wirtschaftskrise von 2008, die mit sinkendem Verbrauch einherging. Auch bei der Energieeffizienz liegt die EU im Zielkorridor. Beim Ausbau der Erneuerbaren macht sie gute Fortschritte. Mit 15 Prozent Anteil am Endverbrauch im Jahr 2013 ist die EU ihrem 20-Prozent-Ziel ein gutes Stück näher gekommen. Den einzelnen Mitgliedstaaten attestiert die Europäische Umweltagentur (EEA) zuletzt recht unterschiedliche Fortschritte. Nur neun von 28 Ländern sind bei allen drei Zielen auf einem guten Weg.
Dass die Bilanz nicht besser ausfällt, liegt unter anderem daran, dass neue Kohlekraftwerke in Betrieb genommen wurden. Zwar ist der Trend mittlerweile gestoppt. Aber noch ist die Kohle ein wichtiger Brennstoff für Europa. Im Jahr 2014 wurde jede vierte Kilowattstunde Strom in der EU in Kohlekraftwerken hergestellt; 68 Prozent der Braunkohle und 79 Prozent der Steinkohle dafür stammten aus Deutschland, Polen und Tschechien. Diese drei Länder stellen mehr als die Hälfte des gesamten Kohlestroms in der EU her, obwohl hier nur ein Viertel der EU-Bevölkerung lebt.
Nach dem Willen der EU-Kommission sollen alle Länder ihre Kräfte in einer europäischen Energieunion bündeln. Sie beruht auf einem Vorschlag des früheren polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, der sich beim Ausbruch des Konfliktes zwischen der Ukraine und Russland mehr Sicherheit in der Versorgung für die EU wünschte – durch mehr Atom- und Kohlestrom. Außerdem könnte die Energieunion eine Einkaufsgemeinschaft für Gasimporte bilden, um bessere Konditionen durchzusetzen.
Mittlerweile ist das Konzept erweitert. Insbesondere Deutschland, Österreich und Dänemark möchten mit der Energieunion auch die Versorgung klimaverträglicher und umweltfreundlicher machen. Eine Initiative beschäftigt sich daher mit dem Binnenmarkt: Gas und Strom sollen leichter zwischen Mitgliedsstaaten gehandelt werden. Eine weitere Komponente zielt auf bessere Energieeffizienz: Mit geringerem Verbrauch von Strom, Wärme und Treibstoff wären bis 2020 jährlich mehr als 200 Milliarden Euro einzusparen. Ein drittes Element zielt auf den Klimaschutz: Der Emissionshandel soll reformiert, mehr Energie aus erneuerbaren Quellen erzeugt und das Verkehrssystem stetig elektrifiziert werden. Fachleute kritisieren allerdings, dass sich hinter dem Vorhaben viel Altbekanntes verbirgt.
Umstritten ist wie so oft, wie verbindlich die Ziele sind. Eine Gruppe von Ländern um Großbritannien wünscht sich weniger Kontrolle durch die EU. Deutschland und Dänemark weisen auf die Kostenvorteile eines über die Grenzen vernetzten Stromsystems hin, um die schwankende Einspeisung von Strom aus Wind und Sonne besser auszugleichen und Überschüsse in den Speicherkraftwerken Norwegens und des Alpenvorlandes zu lagern. Polen, Tschechien und die Slowakei fordern stattdessen mehr Atomkraft, Kohle und Schiefergas – unvereinbar mit den Klimazielen. Denn die EU will über 2020 hinaus ihre Emissionen weiter senken, bis 2030 um mindestens 40 Prozent gegenüber 1990. Bis dahin sollen die erneuerbaren Energien mit mindestens 27 Prozent zur Energieversorgung beitragen, wozu neben Strom auch Wärme zum Heizen und für industrielle Prozesse zählt.
Überraschend sank der Energieverbrauch 2014 – dank eines warmen Winters. Außerdem kam der Ausbau der Windkraft in mehreren Mitgliedstaaten schnell voran. Das lässt sich aber auch anders interpretieren: Die Ziele der EU für 2020 waren offenbar zu wenig ambitioniert. Auch die Latte für 2030 sollte wohl höher gehängt werden. Klimawissenschaftlich geboten wäre eine Reduktion von mindestens 55 Prozent. Was möglich ist, zeigen Berechnungen der Umweltorganisation Greenpeace. Sie hat ermittelt, dass die EU bis zum Jahr 2030 rund 70 Prozent ihres Stroms kostengünstig aus erneuerbaren Energien herstellen kann. Neben dem Zubau von Windrädern auf dem Land und dem Meer, Solarzellen und Biogasanlagen müssten dafür flexible Kraftwerke mit Erdgas zum Einsatz kommen.
Alte Kohle- und Atomkraftwerke würden hingegen bald abgeschaltet, weil sie nicht in der Lage sind, die schwankenden Stromlieferungen aus erneuerbaren Energien zu ergänzen. Je länger Kohle- und Atomkraftwerke laufen, desto teurer wird das ganze System. Denn die eigentlich günstigen erneuerbaren Energien müssten heruntergeregelt werden, um die Produktion der alten Kraftwerke unterzubringen, die nur im Dauervollbetrieb arbeiten können.
Ursprünglich war Europas Energieversorgung auf große, zentrale Stromfabriken wie Kohle- und Atomkraftwerke ausgelegt, die wenigen Großversorgern gehören. In der Zukunft wird es darum gehen, kleinere Quellen für Strom und Wärme hervorzubringen, die intelligent verknüpft sind und Einsparungen belohnen. Gelingt das Kleinteilige in großem Maßstab, würde die EU damit auch ein starkes Signal an den Rest der Welt senden, dass die Transformation hin zu einer klimaverträglichen Energieversorgung große wirtschaftliche Chancen bietet.