
Am 6. August 1945, als die Atombombe Hiroshima traf, war Soh Horie vier Jahre alt. Durch Aufklärungsarbeit an Schulen trägt er bis heute dazu bei, dass die Erinnerungen an die Geschehnisse lebendig bleiben. Maria Lohbeck hat mit ihm über seine Arbeit und die Gefahren der Atomtechnik gesprochen.
Lieber Herr Soh Horie, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für dieses Interview nehmen.
Die Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki jähren sich dieses Jahr zum 70. Mal. Damals, 1945, waren Sie gerade mal vier Jahre alt. Durch Bildungs- und Aufklärungsarbeit haben Sie in Ihrem Erwachsenenleben aktiv dazu beigetragen, dass die Erinnerungen an die Geschehnisse lebendig bleiben.
Maria Lohbeck: Könnten Sie uns ein bisschen von dieser Arbeit erzählen?
Soh Horie: Meine Arbeit in diesem Bereich lässt sich in zwei Aktivitäten aufteilen: Zum einen gehe ich jedes Jahr am 6. August – an dem Tag, als die Bombe auf Hiroshima fiel - als Gastlehrer an Schulen. Ich erzähle den Kindern von meinen Erlebnissen. Außerdem singe ich selber und zusammen mit den Kindern, mache auch Theaterstücke mit Ihnen.
Das zweite ist meine Aktivität bei dem World Friendship Center. Es wurde gegründet von einer Amerikanerin, Barbara Reynolds. Dort spreche ich ungefähr zweimal im Monat.
Bei Ihrer Arbeit die sie beschrieben haben, wie reagieren speziell die Leute in Japan darauf?
Leider mache ich die Erfahrung, dass vor allem junge Leute immer weniger informiert sind darüber, was vor 70 Jahre passiert ist.
Heißt das, es ist für die jungen Leute das erste Mal, dass sie die Geschichte auf diese Art und Weise hören?
Die Geschichte vom 6. August ist natürlich schon bekannt, aber ich lese gleichzeitig in der Zeitung oder im Internet, dass immer weniger junge Leute in Japan genau wissen, was passiert ist, und sich auch immer weniger dafür interessieren. Solche Medienberichte lese ich wirklich immer wieder. Aber in der Stadt Hiroshima selbst machen wir schon sehr viel an Aufklärungsarbeit, ich denke hier wird genug gemacht.
Was sind häufige Fragen der Schüler?
Die Schüler interessiert am meisten, wie grausam damals alles war. Dazu bekomme ich die meisten Fragen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Schüler ihre Geschichte begreifen? Oder ist es doch zu weit weg, zu abstrakt?
Ich kann natürlich nur von den Schülern ausgehen, die ich kenne. Also die in Hiroshima selbst. Hier mache ich die Erfahrung, dass sie sehr aufmerksam sind, und sehr genau zuhören was ich ihnen erzähle.
Und die japanische Gesellschaft als Ganzes? Sind die Leute froh um die Aufklärungsarbeit der Hibakusha, oder eher distanziert?
Die Leute sind eher vorsichtig. Erst wegen dem Unfall in Fukushima hat man wieder über nukleare Strahlung - und damit über die Ereignisse von 1945 - nachgedacht. Früher hat man das Wort „Hibakusha“ nur für Überlebende der Atombombenabwürfe von Nagasaki und Hiroshima benutzt. Jetzt allerdings, nach dem Reaktor-Unfall, sind auch die Überlebenden von dort „Hibakusha“. Sie sind auch verstrahlte Menschen. Das ist mir wichtig, auch darüber zu sprechen: die Atom-Ofer sind nicht nur wir, aus Hiroshima und Nagasaki, sondern auch die Opfer der Strahlung aus nuklearer Energie, also beispielsweise die Opfer Fukushimas.
Verfolgen Sie den politischen Diskurs, der um Atomwaffen existiert? Also die Verhandlungen, die Konferenzen, etc...?
Ja, natürlich, ich folge dem Ganzen Geschehen.
Was wäre Ihr Appell an die Politiker, an die Entscheidungsträger? Was müsste passieren, damit Atomwaffen abgeschafft würden?
Das ist eine schwierige Frage. Ich denke grundsätzlich über die Waffenindustrie nach. Es gibt so viele Menschen, die in der Waffenindustrie arbeiten. Dort wird viel Geld verdient. Dabei sollten wir eine positive Industrie schaffen, keine negative. Man muss sich in Erinnerung rufen: Waffen, das sind Produkte um Menschen zu töten. Zum Beispiel der sogenannte Islamische Staat, die müssen die Waffen ja von irgendwem haben. Letztendlich werden diese Waffen von der Waffenindustrie der ganzen Welt produziert.
Um nochmal auf Atomwaffen zurückzukommen: Es gibt natürlich regelmäßige Verhandlungen, gerade wieder in New York die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag. Trotzdem gibt es immer noch über 16.000 Atomwaffen auf der Welt. Was glauben sie, müsste getan werden, um Global Zero zu erreichen?
Das ist schwierig für mich zu beantworten...für mich sind nicht nur Atomwaffen wichtig, sondern, wie schon angedeutet, auch die Atomenergie. Die japanische Regierung will neue AKWs bauen, das will ich unbedingt verhindern. Es gibt ein Plan ein AKW zu bauen, an einem sehr schönen Strand. Dort ein neues AKW zu bauen...das ist nicht gut. Ich war schon häufig dort, mittlerweile um zu protestieren.
Und wie sieht das die japanische Bevölkerung? Wie stehen sie zu Nuklearwaffen und nuklearer Energie?
Ich vermute, Atomwaffen werden von den allermeisten abgelehnt, der Geschichte wegen. Aber bei AKWs ist es anders. Da sind, nach meinem Eindruck, bestimmt 40 Prozent der Bevölkerung dafür. Es ist nur eine Einschätzung, man kann den Massenmedien nicht immer trauen wenn sie Zahlen veröffentlichen.
Das heißt, Ihr politischer Aktivismus richtet sich auch maßgeblich gegen Atomenergie, nicht nur gegen Atomwaffen?
Ja, genau, so ist es. Ich verteile zum Beispiel auch Flyer auf der Straße gegen AKWs.
Um nochmal auf 1945 zurückzukommen: Meinen Sie, dass die japanische Regierung genug dafür tut, die Erinnerung an die Abwürfe präsent zu halten?
Am Gedenktag selber ist es sehr präsent, aber insgesamt sind Atombomben kein wichtiges Thema in der Gesellschaft. Das Problem mit Atomwaffen ist, dass es einfach nicht sehr nah am Alltag ist, es ist abstrakt. Aber die Gefahr von Atomenergie ist präsenter, nicht zuletzt durch den Fukushima-Unfall. Hiroshima ist vorbei, aber AKWs sind in der Zukunft.
Jetzt gibt es eine neue Generation von Menschen, die sich für Frieden und Abrüstung einsetzt. Was wäre ihr Appell an die neue Generation dieser Aktivisten?
Es ist wichtig zu vermitteln, was das bedeutet, wenn eine Atombombe detoniert. Es ist wichtig, dass das Wissen darüber weitergegeben wird, damit die Menschen informiert sind darüber was vor 70 Jahren passiert ist, und wissen, wie gefährlich diese Bomben sind. Sie können ja auch aus Versehen ausgelöst werden. Leute wie Sie, die das Wissen darüber haben, müssen es weitergeben und weitervermitteln. Die heutigen Atombomben sind viel stärker als die, die damals in Japan benutzt wurden. Das heißt, wenn man nur eine einzige Bombe benutzt, hätte das schon gewaltige Auswirkungen.
Bildung ist das Wichtigste. Nach dem Krieg hat Japan sich unter Anderem so gut entwickelt, weil wir ein gutes Bildungssystem hatten.
Herr Horie, ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch.