Klima und Kohle zusammen in Bewegung

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Aktivist/innen besetzen den Tagebau Garzweiler in einer erfolgreichen Aktion massenhaften zivilen Ungehorsams

Aus dem bisher fragmentierten Anti-Kohle-Protest ist spätestens mit der Aktion "Ende Gelände" eine umfassende soziale Bewegung geworden. Wie konnte das gelingen?

Am 15. August 2015 war Ende Gelände. Im Braunkohle-Tagebau Garzweiler standen für mehrere Stunden die großen Schaufelradbagger still. Rund 1400 Menschen hatten sich an einer Aktion massenhaften zivilen Ungehorsams auf den Weg in die RWE-Grube gemacht, um sich an der Blockade zu beteiligen. Etwa 800 von ihnen gelang es, trotz eines höchst umstrittenenen und harten Einsatzes der Polizei, in den Tagebau zu gelangen und mit Blockaden den Betrieb lahmzulegen. Am darauf folgenden Sonntag und Montag wurde zudem die RWE-eigene Hambach-Bahn für 19 Stunden besetzt.

Und nicht nur im Rheinland, auch in der Lausitz, gab es diesen Sommer wieder Proteste: gegen neue Tagebaue, gegen die Augenwischerei der Bergbaugewerkschaft IGBCE, für einen nachhaltigen Strukturwandel und Klimaschutz. In den Monaten davor hatte es schon im ganzen Land Demonstrationsblöcke, Menschenketten, Online-Petitionen, künstlerischere Interventionen und autonome Aktionen gegeben. Die Quantität und Qualität all dieser Aktivitäten zusammengenommen sind eine genauere Betrachtung und Einordnung wert.

Vom Wendland ins Rheinland und in die Lausitz

Seit Jahrzehnten gibt es in Deutschland zivilgesellschaftlichen Protest gegen Kohleförderung und- verbrennung. Dieser wurde vor allem getragen von Umweltverbänden wie Greenpeace und dem Bund für Naturschutz Deutschland sowie von Bürgerinitiativen in den betroffenen Gebieten. Zudem gab es bereits 2008 ein Camp „Für ein ganz anderes Klima“ in Hamburg. Von hier aus gelang es fast, die Baustelle des Kraftwerks Moorburg zu besetzen. Seit 2011 finden solche Camps in der Lausitz und im Rheinland statt. Was es bisher nicht gab, war eine breite Bewegung mit „bürgerlichen“ und „radikaleren“ Akteuren zusammen, über das Spektrum von Betroffenen und klassischen „Ökos“ hinaus.

Warum nicht? Kohle bot nicht genügend Empörungs- und Engagementpotenzial. Kohle wurde isoliert betrachtet, ein fossiler Energieträger, der irgendwie was mit Klimawandel zu tun haben könnte. Aber so what? Haben wir denn keine anderen Probleme? Objektiv und global betrachtet muss die Antwort "Nein" lauten. Dass die Übernutzung fossiler Brennstoffe ökologische, klimatische und soziale Verwerfungen mit sich bringt, davon sind immer mehr Menschen überzeugt. Akteure und Motive werden vielfältiger, die Bewegung wird breiter. Strukturelle Ähnlichkeiten und personelle Überschneidungen zwischen der Anti-Atom-Bewegung und Anti-Kohle-Bewegung sind erkennbar. Michael Bauchmüller schrieb in der Süddeutschen Zeitung: „Die Auseinandersetzung um die Kohle ist auf bestem Wege, jene um die Kernkraft zu beerben.

Anti-Kohle-Aktion in Garzweiler. Vorne im Bild: Ein privater Sicherheitsmann drückt vor den Augen der Polizei einen Demonstranten zu Boden.

Das soziale und kulturelle Kapital der Kohle

Massenhaften, bundesweiten Protest gegen Atomkraft, auch und gerade mit Mitteln des zivilen Ungehorsams, gibt es seit 1970er Jahren. Dies und die Katastrophe von Fukushima haben dazu geführt, dass hierzulande spätestens im Jahr 2022 die letzten acht Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Die Anti-Atom-Bewegung ist so groß, weil Atomkraft in vielen Hinsichten gefährlich ist und viele Gegnerschaften auf sich vereint. Ob Friedensbewegte, Ökos oder Gewerkschaften- gegen Atom gingen alle auf die Straßen.

Mit der Kohle ist es schwieriger. Kohle hat quer durch die Gesellschaft viele Freundinnen und Freunde. Kohle ist ein sozialer Mythos: Der Kumpel, der das Grubengold nach oben holt. Der Kohleofen, ein schickes Accessoire in Altbauwohnungen. Sichere, gut bezahlte Arbeitsplätze in blühenden Revieren. Politisch steht die Kohle immer noch hoch im Kurs, insbesondere bei der SPD. Die Gewerkschaften, vorweg die Bergbau-Gewerkschaft IG BCE, beharren darauf, dass ein schrittweiser, flexibler Ausstieg aus der Kohleverstromung, wie er im abgeschmetterten Konzept des Klimabeitrags vorgesehen war, sozial nicht zu verantworten wäre.

Es gibt keine Kohleraketen und keinen Kohlekrieg

Kohle genießt auch als „heimischer Rohstoff“ hohes Vertrauen. Anders als Gas oder Uran ist Kohle in Deutschland reichlich vorhanden. Die betriebswirtschaftlichen Kosten der Produktion sind relativ gering. Jedenfalls für Braunkohle. Anders als Atomkraft wird Kohlekraft nicht mit Krieg und Massenvernichtungswaffen in Verbindung gebracht. Die Angst vor einem Atomkrieg mobilisierte über Jahrzehnte Menschen um gegen jegliche Art von Uran-Anreicherung oder Kernspaltung zu protestieren. Die Angst vor Verstrahlung, etwa durch radioaktiven Niederschlag oder kontaminiertes Wasser, das Endlagerproblem, die ökologische und menschliche Katastrophe eines GAU - das bewegt die Menschen. Unterm Strich schnitt Kohle gegen Atomkraft als harmloser und kontrollierbarer ab.

Verschiedene Faktoren führen nun zu einem Sinneswandel und Engagement in einer umfassenden Anti-Kohle- bzw. Energiebewegung:

1. Der fortschreitende Klimawandel erzeugt Handlungsdruck

97 Prozent der Klimaforscher/innen sind überzeugt, dass der Klimawandel maßgeblich vom Menschen verursacht ist. Dies überzeugt nun auch immer mehr Menschen weltweit. Sie wissen, dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe, ein entscheidender Faktor dabei ist. Seit der industriellen Revolution und beschleunigt durch den Aufstieg der BRICS-Staaten werden zu viele Treibhausgase in die Atmosphäre geblasen. Das globale CO2-Budget ist fast schon aufgebraucht. Mit CO2-Budget wird die Menge von CO2 bezeichnet, die weltweit noch emittiert werden darf, damit sich die Erdoberfläche bis 2050 um höchstens 2 Grad Celsius erwärmt. Nach Untersuchungen des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung ist dieses CO2-Budget in 13 Jahren verbraucht,- wenn sich die Emissionspfade weiter so entwickeln. Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) ist Kohleverstromung für den Ausstoß von 14,2 Gigatonnen verantwortlich. Das entspricht 44 Prozent der gesamten energiebedingten Kohlendioxidemissionen und etwas mehr als einem Viertel der gesamten Treibhausgasemissionen. Die 35 größten Kohlekonzerne, viele davon Carbon Majors, sind alleine für 1/3 aller globalen Emissionen seit 1988 verantwortlich. Dass diese größten Verschmutzer für die von ihnen verursachten Schäden (loss and damages) aufkommen, ist auch eine Forderung zum Pariser Klimagipfel im Dezember diesen Jahres.

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2. Die Umweltzerstörung erhält als moralisches und monetäres Problem zunehmend Bedeutung.

Die Kohleförderung hat erhebliche Auswirkungen auf die Natur. In Tagebauen, die etwa 40 Prozent der ­Kohleförderung weltweit ausmachen, wird das gesamte über der Kohle liegende Erdreich abgeräumt und die Landschaft vollkommen zerstört. Fauna und Flora werden vernichtet, im Umland wird das Wasser verschmutzt. Als Spätfolge des Bergbaus in der Lausitz werden etwa die Fließe im Spreewald mit Eisenhydroxid (Eisenocker) belastet. Die damit einhergehende Braunfärbung des Wassers ist für die menschliche Gesundheit nicht schädlich, aber für die Pflanzen und Tiere im Gewässer. Der Umweltschaden und die braune Brühe hat die Tourismuswirtschaft in und um den Spreewald aufgeschreckt und sie zum Teil der Anti-Kohle-Bewegung gemacht. Das ökologische Motiv, wie die Sorge um Grundwasser und Wälder, vereint Bürgerinitiativen auf der einen Seite und Gruppen wie die Besetzer/innen des Hambacher Forsts. Letztere stellen sich mutig und entschlossen und mit vollem Körpereinsatz gegen die Abholzung eines der ältesten Wälder Europas.

In der auf Braunkohle fixierten Diskussion ist es richtig darauf hinzuweisen, dass Deutschland jährlich über 30 Millionen Steinkohle importiert, vornehmlich aus Kolumbien, Russland, USA, Polen und Südafrika. Der Kohleatlas zeigt, welche ökologischen und auch sozialen und menschenrechtlichen Auswirkungen der Steinkohlebergbau in diesen Ländern hat.

3. Die Linke hat ein Beteiligungsmotiv für die Energiebewegung gefunden.

Die Anti-Kohle-Bewegung kommt in Fahrt, weil sich ihr nun auch linke, antagonistischere Kräfte anschließen. Kohlekraft ist zumindest in Teilen der außerparlamentarischen Linken zur Projektionsfläche für das Unbehagen an den herrschenden Machtverhältnissen geworden. In der linken Analyse ist die von Großkonzernen gesteuerte Kohleindustrie Ausfluss der Pervertierung gesellschaftlicher Naturverhältnisse. Die Kohleverstromung steht für eine undemokratische Ökonomie, staatlichen Monopolismus, den Fatalismus kapitalistischer Wachstumslogik, die Kontinuität rassistischer und neokolonialer Wirtschaftspolitik.

Aus diesen Gründen hat u.a. die Interventionistische Linke (IL) auch bei "Ende Gelände" mitorganisiert. Die IL ist ein Zusammenschluss linker Gruppen und Personen, der seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm Praktiken zivilen Ungehorsams in große zivilgesellschaftliche Bündnisse hineingetragen und anschlussfähig gemacht hat.

Es lässt sich bei den jüngsten Protesten beobachten, dass Widerstand gegen Kohle anschlussfähig an Positionen und Traditionen der sozialistischen, kommunistischen, sozialdemokratischen und emanzipatorischen Bewegung geworden ist. Zudem kommt der Energiebewegung mit Fokus auf Kohle zu Gute, dass in der Anti-Atom-Bewegung Kapazitäten frei werden, etwa aus den Zusammenhängen von X-tausendmal quer.

4. Die ökologische und soziale Frage werden zusammengedacht.

Im Widerstand gegen Förderung, Verstromung und Transport von Kohle kommen ökologisch-klimatische und sozial-demokratische Anliegen zusammen. Plakativ gesagt denken die „Ökos“ jetzt auch an die Belegschaften und immer mehr „Linke“ argumentieren mit Klimawandel. Aktivist/innen des Lausitzer Klima- und Energiecamps haben im August 2015 symbolisch den Eingang zur Zentrale der IG BCE in Cottbus blockiert und das Gespräch mit den Mitarbeiter/innen gesucht. Die IG BCE gaukle ihren Mitgliedern vor, es könne mit der Braunkohle ewig so weitergehen. Dabei sei der Stellenabbau in der Kohlewirtschaft bereits in vollem Gange.

Die IG BCE handele „nicht im Interesse ihrer Mitglieder, wenn sie sich lautstark für lebensverlängernde Maßnahmen einer sterbenden Industrie einsetzt. Sie sollte vielmehr jetzt schon für gute Arbeit in nachhaltigen Branchen streiten, statt die Zeichen der Zeit zu verpassen“.

Obschon Ver.di-Chef Frank Briske gegen den Klimabeitrag mobilisierte, unterzeichneten binnen weniger Wochen über 11.000 Verdi-Mitglieder eine Online-Petition unter dem Titel „Trommeln gegen den Kohleausstieg – das ist nicht mein Verdi“. In dem Petitionstext wird Verdi aufgefordert, den Strukturwandel in den Kohlerevieren aktiv zu organisieren. Im Nachgang der Aktion "Ende Gelände" ging eine Verdi-Sprecherin wegen der eingeschränkten Pressefreiheit im Tagebau merklich auf Distanz zu RWE.

Es ist richtig und wichtig, dass im Strukturwandel die Beschäftigten der betroffenen Branchen mitgenommen werden. Dass sich dieser Strukturwandel weg von der Kohle, hin zu Erneuerbaren Energien entwickeln wird, steht aber außer Frage.

Der Anti-Kohle-Protest macht da weiter, wo die Klimabewegung nicht in Fahrt kam

„Trotz [seiner] Brisanz lockt das Thema Klimawandel in der radikalen Linken niemanden mehr hinter dem Ofen hervor“ schrieben Mona Bricke und Tadzio Müller noch 2011 in ihrer „Kurzen Geschichte einer kurzen Geschichte“ über die Klimagerechtigkeitsbewegung in der BRD. Die Analysen waren damals schon richtig, der Handlungsdruck schon damals hoch. Was noch fehlte, war ein Narrativ, ein Link zwischen Klimakrise sowie kapitalismus- und globalisierungskritischen Positionen. Auch der Mainstream war und ist leichter mit den vermeintlich griffigeren, näher liegenden Themen Kohle und Energie zu gewinnen als mit Klimawandel und seinen negativen Konsequenzen.

Die Lobby für das ökologische System wird größer

Niklas Luhmann stellte fest, dass die Gesellschaft das ökologische System ignoriere, weil die Ökologie im Gegensatz zu den gesellschaftlichen Funktionssystemen – Wirtschaft, Politik, Religion, Erziehung, Wissenschaft – nicht sozial anschlussfähig kommunizieren könne. Die Umwelt als äußeres System, erfahre so keine Resonanz und Anwaltschaft. Dagegen steht das normative Leitbild einer  „environmental deliberative democracy“ von Konrad Ott. In der „environmental deliberative democracy“ übernehmen Menschen im politischen Prozess Fürsprache und Repräsentation für das ökologische System - und damit auch für nachfolgende Generationen und Menschen in anderen Ländern. Die Energiebewegung, wie sich in diesem Jahr präsentiert, statuiert ein Exempel. Je mehr Menschen in diesem Sinne nachhaltig und gerecht handeln, umso besser. Nicht nur für Eisbären.

In den letzten Monaten ist zu beobachten, dass Parteien, Stiftungen, Forschungseinrichtungen, Gewerkschaften und Verbände das Gespräch miteinander suchen, um Pfade für einen sanften Strukturwandel in den Kohleregionen auszuloten. Auf einer höheren Ebene sollten die zuweilen noch konkurrierenden Vorstellungen einer just transition und ökologischen Transformation - über das Fallbeispiel Kohlereviere hinaus - zusammengebracht werden.

Für die neue Energiebewegung ist zu hoffen, dass sie mit ihrem latenten inneren Spannungspotenzial produktiv umgeht. Aktivistische Elemente sind notwendig, ebenso zentrale NGOs mit Kampagnen-Power und moderate Akteure, die realpolitische Handlungsoptionen abwägen und vertreten. Die Stärke dieser neuen Bewegung liegt dann in ihrer Breite und Anschlussfähigkeit.