Die neuesten Zahlen zur Zeit

Wie verbringen Menschen ihre Zeit? Männern und Frauen gelingt es zunehmend besser, Familie, Job und Hausarbeit aufzuteilen. Dies zeigt eine aktuelle Studie der Heinrich-Böll-Stiftung. Die Frage nach Vereinbarkeit ist damit aber noch nicht beantwortet.

Feminismus & Gender Gechlechtergerechtigkeit: Menschen-Uhren
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Die Studie zeigt: Die Menschen nehmen sich weniger Zeit zur Regeneration

Dieser Artikel ist Teil unseres einführenden Dossiers „Feminismus & Gender".

Das Leben ist ein Puzzle aus vielen Bereichen und Aufgaben, deren Organisation maßgeblich an einer zentralen Größe hängt: Zeit. Diese Größe ist stark veränderbar: Auch wenn Menschen immer dieselbe Zeit zur Verfügung haben, setzen sie in unterschiedlichen Lebenslagen unterschiedliche Prioritäten, wie sie sie ausfüllen. Wie haben sich diese Prioritäten angesichts des gesellschaftlichen Wandels, zum Beispiel der neuen Formen von Familie, der Erwerbsarbeit, der Partnerschaft und der Geschlechterverhältnisse in den vergangenen 30 Jahren verändert? Wie lassen sie sich in den jeweiligen Lebenssituationen miteinander vereinbaren?

Die Zahlen: Bezahlte Arbeit nimmt in den Lebensverläufen einen zunehmend höheren Stellenwert ein, sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Die Beteiligung von Frauen an der Erwerbsarbeit hat in den vergangenen zehn Jahren um durchschnittlich 25 Minuten pro Tag zugenommen. Überproportional häufig bei Frauen ohne Kinder, aber auch bei Müttern in Paarbeziehungen stieg die durchschnittliche Erwerbstätigkeit mit 26 Minuten pro Tag deutlich an. Nach wie vor allerdings arbeiten Väter mehr als doppelt so lang pro Tag wie Mütter.

Auf der anderen Seite wenden Mütter in Paarbeziehungen mittlerweile deutlich weniger Zeit für die tägliche Hausarbeit auf, während Väter in diesem Bereich etwas zulegen und gleichzeitig täglich moderat mehr Zeit für die Betreuung ihrer Kinder investieren. Es gelingt Männern und Frauen also zunehmend besser, Sorgetätigkeiten und Hausarbeit partnerschaftlicher aufzuteilen.

Abstriche in der Freizeit, beim Sport, beim Lesen, in den sozialen Beziehungen

Die stärkere Beteiligung beider Eltern an der Erwerbsarbeit geht nicht zu Lasten der Zeit, die sie mit ihrem Nachwuchs verbringen: Diese hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Einbußen sind jedoch in der Freizeitgestaltung und Regeneration von Menschen mit Kindern festzustellen. Paare mit Kindern haben teils deutliche Abstriche bei ihrer persönlichen Regeneration, beim Sport, Lesen und in ihren sozialen Beziehungen zu verzeichnen, wohingegen insbesondere kinderlose Männer in diesen Bereichen deutlich zugelegt haben. Auch für bürgerschaftliches Engagement bleibt zunehmend weniger Zeit. In den letzten elf Jahren kam es in fast allen untersuchten Personengruppen zu einem Rückgang bei der Zeit, die Menschen in Ehrenamt und freiwilliges Engagement investiert haben.

All diese Puzzleteile zusammengesetzt, ergibt sich ein klares Bild dessen, wie der Schlüsselbegriff Vereinbarkeit sinnvoller Weise zu verstehen ist. Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass es zu kurz greift, ausschließlich die gerechtere Verteilung von Zeit zur partnerschaftlichen Aufteilung von Familien- und Erwerbsarbeit in den Blick zu nehmen. Wer von Vereinbarkeit spricht, darf von Regeneration und bürgerschaftlichem Engagement nicht schweigen. Der Druck, Familienarbeit, Erwerbsarbeit, Regeneration und gesellschaftliches Engagement zugleich und möglichst erfolgreich zu schaffen, wird hier als zahlgewordene Realität vor allem in Familienhaushalten drastisch deutlich.

Seine Folge: Einzelne Tätigkeiten müssen mit immer knapperen Zeitkontingenten auskommen oder werden ganz vernachlässigt. In der Konsequenz müsste die Effizienz gesteigert werden, um in weniger Zeit mehr abzuarbeiten, aber insbesondere die Bereiche des sozialen Miteinanders entziehen sich dieser Logik: Kindern kann ein Buch nicht sinnvoll schneller vorgelesen werden, politische Debatten können nicht schneller geführt werden und persönliche Regeneration braucht die Zeit, die notwendig ist. Vereinbarkeit funktioniert nur, wenn einzelne Zeitkontingente reduziert werden können, anstatt sie aufzusummieren.

Feminismus & Gender

Die Heinrich-Böll-Stiftung engagiert sich für gerechte Verhältnisse zwischen allen Geschlechtern. Dieser Beitrag ist Teil eines einführenden Dossiers mit Einstiegen in unsere Themen. >> (zurück) zum Dossier

An dieser Stelle ist die Politik gefragt, denn Auszeiten und Vereinbarkeit sind sowohl ein Frage der finanziellen Absicherung als auch eine der zuverlässigen öffentlichen Infrastruktur. Hier sind auch Arbeitgeber und Tarifpartner gefragt, denn es geht auch um Unternehmenskulturen und Karrierewege, in denen es möglich und normal werden muss, auch mit einer Teilzeitstelle aufzusteigen, Jobsharing zu etablieren oder ein Rückkehrrecht in Teilzeit tariflich festzulegen. Zahlreiche weitere politische Maßnahmen ließen sich nennen. Es braucht viele verschiedene Puzzleteile an vielen unterschiedlichen Stellen, um Vereinbarkeit Wirklichkeit werden zu lassen.

Studie "Ausgewählte Ergebnisse der Zeitbudgeterhebung"

Der Text gibt ausgewählte Ergebnisse einer Studie im Auftrag der familienpolitischen Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung wider. Die Studie wurde im Juni 2015 vom Lehrstuhl Wirtschaftlehre des Privathaushalts und Familienwissenschaft der Justus-Liebig-Universität Gießen, Prof. Dr. Uta Meier-Gräwe und Nina Klünder, M. Sc. durchgeführt. Ziel war es, die unterschiedliche Zeitverwendung, differenziert nach Geschlecht, Alter und Haushaltstyp darzustellen, um aufzuzeigen, wie sich die Zeitverwendung für die ausgewählten Tätigkeitsbereiche (Erwerbstätigkeit, Haushaltsführung und Betreuung der Familie, physiologische Regeneration, Qualifikation und Bildung, Ehrenamt und freiwilliges Engagement, Soziales Leben und Unterhaltung, Sport/Hobbys/Spiele, Mediennutzung) in den letzten 30 Jahren verändert hat.

Methodik:
Die Zeitbudgeterhebungen sind repräsentative Studien, die in den Jahren 1991/92, 2001/02 und 2012/13 vom Statistischen Bundesamt durchgeführt wurden. Die Auswertung beruht auf den Tabellenbänden der ZBE 2001/02 und 2012/13 (vgl. Statistisches Bundesamt 2006, 2015). Darüber hinaus wurden die Daten zur Zeitverwendung 1991/92 aus dem Vergleichsdatensatz 1991/92 (als scientific-use-files) bezogen und mit SPSS 22 sekundäranalytisch ausgewertet. Die Sekundäranalyse ist damit zu begründen, dass aufgrund unterschiedlicher Methodenwahl in den ZBE die Tabellenbestände aus den Jahren 1991/92 nicht ohne weiteres mit den aktuellen Zeitbudgetdaten vergleichbar sind. Aufgrund der unterschiedlichen Methodenwahl war es zudem nötig die Daten aus 1991/92 mit den entsprechenden Variablen zu gewichten.

Kommission:
Die familienpolitische Kommission der Heinrich-Böll-Stiftung tagt seit Mai 2015. Sie soll einen ideologiefreien Blick auf die deutsche Familienpolitik werfen und lebensnahe, sozial gerechte aufzeigen. Kommissionsmitglieder aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft nehmen die Themen Zeit, Geld und Infrastruktur gleichermaßen in den Blick.