TTIP: "Wir brauchen volle Transparenz"

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Abgeordnete des Europaparlaments fordern im Oktober 2014 mehr Transparenz in den Verhandlungen über das Transatlantische Freihandelsabkommen

Christine Chemnitz, Referentin für internationale Agrarpolitik, sprach im Vorfeld der Stop-TTIP-Demonstration mit der grünen Europaabgeordneten Ska Keller über den Stand der Verhandlungen und die immer noch fehlende Transparenz. Die Demonstration findet am 10. Oktober in Berlin statt.

Christine Chemnitz: Wie ist der Stand der Verhandlungen? Gibt es Fortschritte und ist es absehbar, dass sich die USA und die EU in naher Zukunft auf das Abkommen einigen werden?

Ska Keller: Obwohl manche Mitgliedstaaten eine politische Einigung noch im Jahr 2015 verlangen, gehen die Verhandlungen gerade schleppend voran. In den meisten Bereichen wird noch nicht über konkrete Inhalte gesprochen, sondern nur über die Architektur des Abkommens. Es stehen auch Interessen gegeneinander. Zum Beispiel möchte die USA, dass die EU ihren Markt für Dienstleistungen und Agrarprodukte weiter öffnet, während die EU auf einen Zugang zum US-Markt für öffentliche Beschaffung aus ist. Da wird es am Ende wohl irgendeinen Kuhhandel geben. Insgesamt sehe ich nicht, dass TTIP in diesem oder auch im nächsten Jahr fertig verhandelt wird.

Das Freihandelsabkommen CETA der EU mit Canada ist so gut wie verabschiedet. Hat das einen Einfluss auf die Verhandlungen mit den USA zu TTIP?

Ja, das beeinflusst die Verhandlungsdynamik. So gibt es im CETA noch das alte System des Investorenschutz (ISDS), mit großen Rechten für Investoren, die zum Beispiel einen der Schiedsrichter selbst bestimmen können. Für das TTIP-Abkommen will die EU-Kommission ein leicht geändertes System für den Investorenschutz einführen. Die US-Seite könnte sich nun auf die Position stellen, dass kanadische Investoren besser geschützt werden als US-Amerikanische und deshalb das Angebot nicht akzeptieren. Bisher gibt es noch keine offiziellen Stellungnahme von [Seiten] der USA dazu, aber es ist wahrscheinlich, dass es so kommt.

Wie wird TTIP im EU Parlament diskutiert? Werden die kritischen Stimmen gehört und wie stellen sich die Grünen strategisch auf?

Wir haben vor der Sommerpause einen großen Bericht zu TTIP diskutiert. Da ging es schon hoch her und es gab viele sehr kritische Stimmen. Gerade das Thema Investitionsschutz wurde heiß diskutiert. Fast hätte sich das gesamte Europaparlament dagegen positioniert, aber dann sind die Sozialdemokraten doch eingeknickt und haben sich auf einen inhaltslosen Formelkompromiss in der Großen Koalition, die wir auch hier im Europaparlament erleben, eingelassen. Es gab am Ende auch großen Druck von der Seite einzelner Regierungen. Wir können unsere Kritik äußern, aber das wars.

Unsere Strategie ist dabei einfach, die Handelspolitik darf nicht mehr von Wirtschaftsvertretern in den Hinterzimmern von Brüssel gemacht werden.

Große Teile der Zivilgesellschaft protestieren seit Beginn der Verhandlungen gegen das Handelsabkommen. Ist ihre Kritik gehört und berücksichtigt worden?

Die Kritik wird gehört, aber nicht berücksichtigt. Ein Beispiel sind die Investorenschiedsgerichte. Hier haben sich bei einer Befragung der Bevölkerung durch die EU-Kommission 97 Prozent für die komplette Abschaffung dieses einseitigen Systems ausgesprochen. Herausgekommen ist ein Reförmchen, bei dem ausländische Investoren noch immer Staaten verklagen können, wenn diese ihre Gewinne in Gefahr sehen, aber die Investoren selbst keine Pflichten haben. Beim Thema Transparenz macht die EU-Kommission nun ihre eigenen Vorschläge öffentlich, das ist ehrbar, wir müssen aber auch die Vorschläge der USA sehen und am Ende die Kompromisse, sonst können wir die Verhandlungen nicht verfolgen. Auch für Beamte und Parlamentarier/innen aus den Mitgliedsstaaten ist es schwierig an Informationen zu kommen. Deshalb können wir noch gar nicht bewerten, ob die Kritik wirklich gehört wird. Wir brauchen volle Transparenz, die eine gesellschaftliche Debatte ermöglicht.

Warum sollten möglichst viele Menschen am Wochenende gegen TTIP auf die Straße gehen?

Deutschland ist ein globalisiertes Land, das bedeutet auch, dass TTIP Auswirkungen auf unser aller Leben hat. Unsere Lebensmittelstandards sollen verändert werden, die Art und Weise wie wir öffentliche Bildung, Altenpflege und Krankenhäuser organisieren sind bedroht und auch unser, Gesetzgebungsverfahren ist in Gefahr. Es geht also um richtig viel. Doch das TTIP-Abkommen wird noch immer intransparent, unter dem Einfluss mächtiger Lobbyorganisationen und ohne echte demokratische Beteiligung gestaltet. Dagegen müssen wir uns wehren und brauchen ein demokratisches Aufbegehren. Deswegen hoffe ich auf ein starkes Signal am Samstag durch eine große Beteiligung vieler Menschen.