„Tröglitz ist überall in Deutschland“ – sagte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Rainer Haseloff nach dem Brandanschlag auf eine geplante Asylunterkunft. Zu Besuch in einem Ort, der Schlagzeilen machte.
Kein Hahn kräht in Tröglitz. Auch sonst gibt es hier kaum Tiere, ein paar Katzen allenfalls, die durch die Vorgärten streifen. Tröglitz ist kein Dorf, sondern eine Ansammlung von Häusern. Ein paar alte Bauernhöfe mit leeren Stallungen, dazwischen eine Siedlung mit dreigeschossigen Häusern und am Ortsrand ein Karree moderner Eigenheime. Der jetzige Ort Tröglitz ist das Produkt einer Zuwanderungsstrategie. Auf dem Friedhof finden sich Namen wie Ogurek, Nislony, Barinitschek, Pschybylla, Gontschorek Pastuschka, Bednarek oder Witwika - keine ortstypischen Namen.
Ab 1936 wurde das alte Bauerndorf Tröglitz umgestaltet, im Rahmen der nationalsozialistischen Rüstungsstrategie. Ziel war es, Benzin aus Braunkohle zu gewinnen. Dazu wurden Tausende von ArbeiterInnnen gebraucht und zwar möglichst dicht am mitteldeutschen Braunkohlerevier. Kohle und Industrie sind inzwischen verschwunden, geblieben ist der Ort Tröglitz. „Schöne Wohnungen zu vermieten“ steht in verblasster Schrift hinter vielen Fenstern in der Ernst-Thälmann-Straße, darunter eine Telefonnummer und eine Adresse in Düsseldorf, Königsallee. Geht man die Thälmannstraße weiter, kommt man zur Ecke Karl-Marx-Straße und genau hier steht das Brandhaus.
Als am 4. April die Meldung von dem Anschlag über die Agenturen läuft, findet sie sofort bundesweite Beachtung, denn Tröglitz ist schon seit einigen Wochen in den Schlagzeilen. Auslöser ist der Rücktritt von Ortsbürgermeister Markus Nierth vier Wochen zuvor, weil er sich und seine Familie vor neonazistischen Anfeindungen nicht genügend geschützt fühlt. Zu diesem Zeitpunkt ist die Stimmung in Tröglitz bereits vergiftet, denn die NPD macht gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft mobil. Zu den sonntäglichen „Lichterspaziergängen“, die in Art der PEGIDA-Umzüge stattfinden, kommen regelmäßig etwa siebzig Personen.
Markus Nierth und der Pfarrer des Ortes halten mit einem Friedensgebet dagegen, doch sie fühlen sich allein gelassen. Kein Abgeordneter aus dem Magdeburger Landtag findet den Weg nach Tröglitz und natürlich gibt es im Landkreis auch die Büros der Bundestagsabgeordneten, doch die Probleme werden dort ebenfalls nicht wahrgenommen. Das ändert sich erst nach dem Brandanschlag.
Magdeburg und Berlin sind weit
Das ist allerdings auch ein strukturelles Problem, mit dem viele ostdeutsche Regionen zu kämpfen haben, weil die Parteien vor Ort kaum noch Rückhalt haben. In vielen Gemeinden regieren unabhängige Listenverbindungen, mal von der Freiwilligen Feuerwehr organisiert, mal von einem Bürgerverein. Solange es um die Müllabfuhr geht oder um die Sanierung des Kindergartens, ist das auch kein Problem, aber bei politischen Fragen wie der Flüchtlingsunterbringung sind die Ortschaftsräte häufig überfordert. Und was auf einem Flüchtlingsgipfel in der Landeshauptstadt Magdeburg besprochen wird, findet nicht den Weg nach Tröglitz, denn zwischen der Staatskanzlei und der Gemeindeverwaltung liegen Welten.
Dabei gibt es eigentlich genügend Platz in Tröglitz für die Unterbringung von Flüchtlingen. In der Ernst-Thälmann-Straße stehen mindestens zwei der alten Wohnblöcke leer. Die Abwanderung, auch als Folge des wirtschaftlichen Niedergangs ist überall spürbar. Denn das ehemalige Hydrierwerk ist inzwischen ein Chemiepark, doch statt viertausend Menschen, wie zu DDR-Zeiten, arbeiten dort nur noch sechshundert. Doch ist das schon eine hinreichende Erklärung?
Die etwas freudlose Ortsmitte heißt Friedensplatz, umrahmt von einer zweistöckigen Häuserzeile. Als das Areal vor achtzig Jahren eingeweiht wurde, trug es sicherlich einen anderen Namen. Aus jener Zeit stammt auch die Grundschule an der Stirnseite des Platzes. Das Gebäude erinnert an eine Autobahnraststätte aus den dreißiger Jahren. Aus sozialistischen Jahrzehnten hingegen stammt das Wandbild. „Wir lehren, lernen und kämpfen für den Frieden“ steht dort zu lesen, darunter ein Streifen frisches Weiß. Was da übermalt wurde, kann man allenfalls erahnen.
Die Diskussion um Zuwanderung scheint an einem solchen Ort schwieriger zu sein als anderswo, denn die Dinge fallen in Tröglitz auseinander. Da gibt es eine Bahnhofstraße, doch die führt zu Baracken und rostigen Gleisen, auf denen seit vielen Jahren kein Zug mehr fährt. Altes, liebevoll saniertes Fachwerk steht neben dem Einheitsgrau liebloser Garagenkomplexe. Es gibt einen Frisör und eine Apotheke, aber keinen Fleischer und auch keinen Bäcker. Die alte Kaufhalle heißt jetzt Frischemarkt, das Schild bräuchte dringend einen neuen Anstrich. Die Landschaft macht einen erschöpften Eindruck und das gilt in gewisser Weise auch für die Menschen.
Seit dem Sommer leben vier Flüchtlingsfamilien im Ort und wieder engagiert sich die Familie Nierth, sie hat eine Patenschaft übernommen. Außer ihnen sind nur noch zwei weitere Tröglitzer bei der Betreuung aktiv. Immerhin trainieren zwei der Flüchtlinge beim TSV Tröglitz in der Fußballmannschaft.
Im Oktober 2015, ein halbes Jahr nach den Brandanschlägen, meldet die Staatsanwaltschaft die Verhaftung einen 22-jährigen Mannes aus Tröglitz, wegen des Verdachtes auf Brandstiftung. Eine Woche später wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt, der Tatverdacht habe sich nicht erhärten lassen, hieß es. Für Hinweise auf die Brandstifter hat die Staatsanwaltschaft eine Belohnung von zwanzigtausend Euro ausgesetzt.
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