Baden-Württemberg: Klasse statt Masse

Viele Betriebe setzen auf möglichst hochwertige regionale tierische Erzeugnisse – vom Fleisch über die Milch bis zum Honig. Neue Kennzeichnungen und Labels entstehen und sollen die Kaufentscheidungen erleichtern. Ein Kapitel aus dem Fleischatlas Regional.

Die Viehhaltung im Südwesten Deutschlands befindet sich seit Jahren auf dem Rückzug. So hat sich die Zahl der in Baden-Württemberg gehaltenen Rinder seit den 1980er-Jahren etwa halbiert. Gleichzeitig werden die verbleibenden Betriebe immer größer, und der Strukturwandel führt zu einer regionalen Konzentration. Klassische Rinderhaltungsgebiete im Südwesten sind die niederschlagsreichen, grünlandbetonten Teile des Landes wie das Allgäu, Oberschwaben, die Ostalb und der Schwarzwald. Schweinehalterinnen und -halter, die nicht so viel Platz brauchen, sind dagegen vor allem in den Ackerbauregionen Hohenlohe und Oberschwaben zu finden.

Ökonomische Zwänge führen dazu, dass vor allem die kleineren Betriebe ihre Haltung von Rindern und Schweinen aufgeben, während die verbleibenden Betriebe ihre Bestände aufstocken. Inzwischen befindet sich mehr als die Hälfte der Schweine in Betrieben mit über 1.000 Tieren. Allerdings bleiben die durchschnittliche Größe der Betriebe und die Tierbestände pro Betrieb nach wie vor deutlich unter den Werten für ganz Deutschland, und die Tierhaltung ist weiterhin durch bäuerliche Familienbetriebe geprägt.

Bei einer Bevölkerung von 10,7 Millionen Menschen erzeugen die baden-württembergischen Landwirtinnen und Landwirte nur etwa die Hälfte des hier verzehrten Schweinefleisches und knapp zwei Drittel des Rindfleischbedarfs. Bei Geflügelfleisch und Eiern ist die Selbstversorgung noch deutlich geringer. Das Land importiert einen großen Teil seines Fleisches aus den Schwerpunkten der Produktion in Nordwestdeutschland (Rinder und Schweine) und Bayern (Rinder).

In Baden- Württemberg sind die Höfe kleiner als im Bundesdurchschnitt

Für die Familienbetriebe im Südwesten ist die Strategie, mit diesen Großbetrieben zu konkurrieren und immer intensiver und effizienter zu produzieren, zum Teil problematisch. Viele Betriebe verzichten daher auf Billigstproduktion und setzen auf das genaue Gegenteil: besonders hochwertige Lebensmittel zu produzieren und die steigende Nachfrage nach regionalen Produkten zu bedienen. Ziel der Agrarpolitik im Land ist es deshalb, die vorhandenen bäuerlichen Familienbetriebe zu stärken und deren gesellschaftliche Leistungen zum Erhalt der Biodiversität, zum Umwelt- und Klimaschutz sowie zum Tierwohl zu honorieren.

So hat die baden-württembergische Landesregierung die Tierwohl-Förderung ins aktuelle Förderprogramm für Agrarumwelt, Klimaschutz und Tierwohl (FAKT) neu aufgenommen. Dieses Instrument unterstützt jetzt auch die artgerechtere Haltung von Mastschweinen und Masthühnern sowie die Weidehaltung von Milchkühen und deren Nachzucht. Investitionen in neue Ställe werden im Rahmen des „Agrarinvestitionsförderungsprogramms“ (AFP) nur noch dann gefördert, wenn sie über die gesetzlichen Standards hinaus zu mehr Tierwohl beitragen und Auflagen zu Mindestflächen und Bewegungsfreiheit erfüllen. Schließlich sollen auch die neuen „Europäischen Innovationspartnerschaften“ (EIP)  die Entwicklung höherer Tierwohlstandards fördern.

Leider gibt es für die Verbraucherinnen und Verbraucher bislang noch kein verbindliches System zur Kennzeichnung von Frischfleisch, an dem sie die Art der Tierhaltung erkennen können. Aktuell zeigen nur das freiwillige Biosiegel sowie die Labels- und Markenfleischprogramme höhere Standards an. Das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium setzt sich deshalb im Bund für eine verbindliche, aber einfache und unbürokratische Tierhaltungskennzeichnung bei Rindern und Schweinen ein. Ähnlich der leicht verständlichen Zahlencodierung, die die Haltungsform der Legehennen kennzeichnet, könnten sich Verbraucherinnen und Verbraucher beim Einkauf dann leichter orientieren. Diese Kennzeichnung ist auch für die Betriebe wichtig: Damit können sich die beim Tierwohl engagierten Produzentinnen und Produzenten profilieren und für ihre höherwertigen Waren bessere Preise erzielen.

Wer Fleisch kauft, erfährt meist nichts über die Produktionsbedingungen

Auch Tier- und Futtermitteltransporte können durch Label verringert werden. Bereits heute bietet das Land mit dem Qualitätszeichen Baden-Württemberg und dem Bio-Zeichen Baden-Württemberg zusätzliche freiwillige Kennzeichnungsmöglichkeiten. Sie garantieren zudem besondere Fütterungs- und Haltungsbedingungen. So verlangt das Qualitätszeichen Baden-Württemberg von Viehhalterinnen und Viehhaltern, dass sie nur in Baden-Württemberg oder angrenzenden Bundesländern geborene Tiere mästen dürfen und überwiegend Futter aus dem eigenen Betrieb verwenden. Seit Anfang 2015 können Lamm- und Geflügelfleisch, Fisch, Eier und Honig nur dann mit dem Qualitätszeichen ausgelobt werden, wenn sie aus gentechnikfreier Produktion stammen. Ab Anfang 2018 gilt dies auch für Rind- und Schweinefleisch sowie Milch. Das Bio-Zeichen Baden-Württemberg zeichnet nur regionale Produkte aus, die nach etwas erweiterten Standards der EG-Öko-Verordnung produziert wurden. Im Rahmen der EU-Herkunftsbezeichnungen schließlich sind inzwischen auch einzelne Produkte geschützt, etwa das Ochsenfleisch der Limpurger Weiderinder und das Schwäbisch-Hällische Qualitätsschweinefleisch.

 

Quellen:

  • S. 40: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg (Bearb.), Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Agrarstrukturen in Deutschland. Regionale Ergebnisse der Landwirtschaftszählung 2010, S. 15, 38–41, http://bit.ly/1I09RZ1
  • S. 41: Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg, Gemeinschaftsmarketing/ Schutzgemeinschaften, http://bit.ly/1LnSdTN – STALA BWL: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg, Tierbestände in Baden-Württemberg seit 1950 nach Tierarten, http://bit.ly/1hQtxtc