Thüringen: Im Land der Bratwurst

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Wo die Turbo-Mäster sitzen: Verteilung der genehmigungspflichtigen konventionellen Schweineställe und - bestände in Thüringen auf die Landkreise und Städte, Stand 2014

Ohne Schweinefleisch gäbe es die namengeschützte Wurstspezialität nicht. Doch immer wieder kommt es zu Schweinemast-Skandalen. Der Antibiotika-Verbrauch ist hoch, und eine Tierwohl-Strategie der Landesregierung existiert bisher nur als Absichtserklärung. Ein Kapitel aus dem Fleischatlas Regional.

Hergestellt in Thüringen, 15 bis 20 Zentimeter lang, umhüllt von engem Naturdarm, schon von Luther und Goethe geschätzt: die Thüringer Bratwurst. Ihr Name mit der Herkunftsangabe ist seit 2004 EU-geschützt. Bis 2011 war sogar noch vorgeschrieben, dass ihre Rohstoffe, vor allem Schweinefleisch, zu mindestens 51 Prozent aus der Region stammen. Dass die Thüringer Bevölkerung ihre Wurst liebt, ist offensichtlich und die Vorliebe für Fleisch- und Wurstwaren im bundesweiten Vergleich mit am höchsten. Die hiesigen Landwirte decken mit den von ihnen produzierten 85.000 Tonnen Schweinefleisch nur rund 75 Prozent des Verbrauchs im Lande. Mangel braucht trotzdem niemand zu fürchten – der Rest kommt aus den Bundesländern mit Überschussproduktion.

In Thüringen stiegen die Schweinebestände in den Betrieben zwischen 2010 und 2013 um acht Prozent auf rund 830.000 Tiere insgesamt. Den stärksten Zuwachs gab es bei den Ferkeln – die Zuchtsauen werfen heute durchschnittlich fünf Tiere mehr als noch vor zehn Jahren. Gleichzeitig gaben rund 200 Einzelbetriebe die Schweinehaltung auf. Inzwischen leben 76 Prozent aller Schweine in Ställen mit mehr als 5.000 Artgenossen. In der Hühnermast werden sogar 99 Prozent aller Masthühner und Puten in spezialisierten Mastbetrieben gehalten. Der Konzentrationsprozess auf immer weniger und immer größere Unternehmen und Ställe ist noch nicht beendet.

Ökobetriebe in Thüringen halten meist Rinder, weil die Pacht für Weiden niedriger ist

Industrielle Tierhaltung ist keineswegs ein Garant für Tierwohl. Das haben die Schweinemast-Skandale der letzten Jahre gezeigt. Ein Bericht des Thüringer Sozialministeriums zeigte auf, dass im – mittlerweile geschlossenen – Schlachthof Jena bereits von 2010 bis 2012 die Betäubungsanlage defekt war, sodass rund ein Viertel aller Tiere ihre Zerlegung bewusst miterlebte. Im Zentrum der Intensivtierhaltung, dem Saale-Holzland-Kreis, bewiesen im Jahr 2013 Video- und Bildaufnahmen der Organisation Animal Rights Watch, dass der Zuchtbetrieb Gut Thiemendorf Heideland GmbH & Co. KG seine Sauen und ihre Ferkel in zu kleinen Kastenständen hielt. Oder 2014: In der Mörsdorfer Agrar GmbH fiel die Belüftungsanlage eines Stalls aus, und 2.000 Schweine verendeten.

Wenn Tiere nicht gesund bleiben, werden sie zum Kostenfaktor. Um dem entgegenzuwirken, greifen Landwirte und deren Tierärzte auf Antibiotika zurück. Gelangen selbst geringe Mengen davon über das Fleisch in den menschlichen Körper, können sie zu Antibiotika-Resistenzen führen, die im Krankheitsfall Lebensgefahr bedeuten. 2012 erhielten die Tierärzte in den Postleitzahlenbereichen 99 und 07, das heißt in der östlichen Hälfte Thüringens, rund 10 bis 30 Tonnen Antibiotika, sagt eine ungenaue Statistik.

Seit 2014 ist die Erfassung schärfer und in die Betriebe verlegt. Bei vielen thüringischen Betrieben liegt der Antibiotika-Verbrauch deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Von 381 meldepflichtigen Betrieben müssen 12,5 Prozent nach den Ursachen suchen und mit dem Tierarzt Abhilfe schaffen. 14,5 Prozent sind sogar verpflichtet, einen schriftlichen Maßnahmenkatalog zu erstellen, der von der zuständigen Behörde geprüft wird.

Die seit 2014 amtierende rot-rot-grüne Landesregierung will gemeinsam mit den zuständigen Verbänden eine Tierwohlstrategie entwickeln und auch auf diese Weise den Antibiotika-Einsatz reduzieren. Allerdings ist es bisher bei Absichtsbekundungen geblieben. Und es fehlen Hinweise darauf, dass bald auch auf das Kupieren der Schweineschwänze verzichtet oder landwirtschaftliches Personal in Sachen Tierwohl fortgebildet wird.

Und was ist mit einer Thüringer Bratwurst von „glücklichen“ Schweinen? Die rund 165 Ökobetriebe im Lande halten 4,8 Prozent des Tierbestands. Von den 756.000 Schweinen im Jahr 2010 waren es 15.600. In Ökobetrieben werden allerdings meist Rinder gehalten. Denn der ökologische Landbau konzentriert sich in Thüringen auf „wirtschaftlich schwache“ Grünlandgebiete – mit niedrigeren Pachtzinsen.
Insgesamt unterscheidet sich die Struktur der Landwirtschaft in Thüringen wie überall im Osten wesentlich von der in den alten Bundesländern.

Als Nachfolger der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPGs) in der DDR gründeten sich auch hier große landwirtschaftliche Verbünde. 54,1 Prozent der nach Ökokriterien bewirtschafteten Flächen entfallen auf Genossenschaften, GmbHs oder Aktiengesellschaften – bundesweit sind es lediglich 18,1 Prozent. Auch in der konventionellen Landwirtschaft konzentrieren sich die Agrarflächen auf wenige Betriebe. Im Jahr 2013 bewirtschafteten sieben Prozent der Agrarbetriebe mehr als die Hälfte aller Flächen. Und die Betriebsgrößen nehmen weiter zu. Vor allem Nebenerwerbslandwirte geben auf. Versuche von Junglandwirten, solche Flächen zu erwerben, scheitern meist – die großen, durchrationalisierten Agrarunternehmen zahlen besser. Von 2008 bis 2014 haben sich in Thüringen die Hektarpreise verdoppelt.  

 

Quellen:

  • S. 32: Thüringer Landesamt für Statistik, Agrarstrukturerhebung 2013, in: Aufsätze aus den Monatsheften, November 2014, S. 13, http://bit.ly/1MxIN9E.
  • Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft, Kaufwerte für landwirtschaftliche Grundstücke in Thüringen 2014, S. 4, http://bit.ly/1J3pZuv. S. 33: Schweine- und Geflügelhaltung in Thüringen, Thüringer Landtag, Drucksache 5/7667 vom 15. April 2014, Anhänge, http://bit.ly/1J46ge1.
  • Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft, Landwirtschaft in Thüringen 2014, S. 33, S. 40, http://bit.ly/1TTe3FS. – Thüringer Landesanstalt für Landwirtschaft, Landwirtschaft in Thüringen 2014. Thüringer Ökolandbau in Zahlen, S. 4 f., http://bit.ly/1LiGUfv