Sachsen-Anhalt: Leben im Stillstand

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Schweinezucht in Sachsen-Anhalt: Tierbestand, darin Zahl der Zuchtsauen sowie Betriebe mit Zuchtschweinen nach Landkreisen

Das Bundesland meldet erste Erfolge im Kampf gegen die grausame und wenig bekannte Sauenhaltung zur Ferkelzucht. Mehr als ein Drittel ihres Lebens stehen die Tiere fast unbeweglich in engen Kästen und Körben. Das soll sich jetzt ändern. Ein Kapitel aus dem Fleischatlas Regional.

Im November 2014 sprach der Landkreis Jerichower Land in Sachsen-Anhalt ein bundesweit geltendes Schweinehaltungs- und Betreuungsverbot gegen die Person des Schweinezüchters Adrianus Straathof aus. Im Januar 2015 folgte auch ein Tierhaltungs- und Betreuungsverbot gegen den Sauen haltenden Straathof-Betrieb Glava GmbH in Gladau im Jerichower Land. Dramatische und anhaltende tierschutzrechtliche Verstöße wie zu enge Kastenstände, nicht ausreichendes Trinkwasser und nicht behandelte Verletzungen hatten bei den Tieren zu Schmerzen und Leid geführt. Das Verbot gegen einen Schweinehalter in dieser Größenordnung war und ist in Deutschland einzigartig. Die Straathof-Unternehmensgruppe produziert deutschlandweit 1,2 Millionen Ferkel pro Jahr. Der Bestand in Gladau mit rund 70.000 Tieren musste im August 2015 aufgelöst werden. Der Standort wird allerdings inzwischen erneut zur Fleischproduktion genutzt.

Durch diese Fälle wuchs die Aufmerksamkeit für einen der grausamsten und zu wenig beachteten Bereiche der Tierhaltung: die Sauenhaltung beziehungsweise sogenannte Ferkelproduktion. Eine Zuchtsau wirft bis zu zweieinhalb Mal pro Jahr durchschnittlich 35 Ferkel, von denen rund 30 überleben. Mit der Begründung, die Trächtigkeit nach der Besamung möglichst optimal zu gestalten, muss die Sau vier Wochen nach der Besamung im Kastenstand bleiben. Vor dem Abferkeln muss die Sau erneut in einen Käfig, den „Ferkelschutzkorb“, um ihre Jungen nicht zu erdrücken. So verbringt sie einschließlich der Zeit im Deckzentrum rund fünf Monate im Jahr in enger und monotoner Einzelhaltung.

Kastenstände müssen komplett abgeschafft werden: Die Tiere brauchen mehr Platz

Im Fall Straathof waren die Kastenstände im Deckzentrum nicht so beschaffen, dass die Sauen in Seitenlage ungehindert und verletzungsfrei ihre Beine ausstrecken konnten, so wie es die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung verlangt. Die Schweine mussten ihre Beine entweder angewinkelt an den Körper drücken oder unter den Gitterstäben hindurch in den Kastenstand der Nachbarsau ausstrecken, sodass sich die Sauen gegenseitig traten. Auch kam es zu Verletzungen. Enthüllungen über andere Anlagen in Sachsen-Anhalt – etwa die der Gut Klein Wanzleben Schweinezucht im Landkreis Börde oder in den Ställen der Saza GmbH in Großkayna im Saalekreis – zeigen, dass Missstände in der Sauenhaltung keine Einzelfälle sind.

Das lässt sich auch darauf zurückführen, dass die Kontrollen der Anlagen häufig ungenügend sind. Es gibt zu wenige Kontrolleure, und es ist nur zu einleuchtend, dass bei manchen Kreisbehörden gerade gegenüber wirtschaftlich wichtigen Großbetrieben eine gewisse Nachsicht herrschen kann. Die rechtliche Grundlage zu den Kastenständen ist eigentlich eindeutig. Doch die kontrollierenden Behörden bezogen sich auf ein Handbuch, in dem ein Mindestmaß von 70 Zentimetern Breite für die Kastenstände empfohlen wird. Unzulässigerweise wurde die Empfehlung des Handbuchs als fester Wert interpretiert. Dabei kann sich eine Sau, die höher als 70 Zentimeter ist, in einem Kastenstand mit ebendieser Breite nicht ausstrecken. Die Tiere sind naturgemäß unterschiedlich groß und benötigen unterschiedlich breite Kastenstände. Aus diesem Grund hatte der Landtag auf Betreiben der Bündnisgrünen im Juli 2014 Initiativen beschlossen, um die qualvolle Enge in Kastenständen zu beenden.

Inzwischen ist mit der falschen Auslegung zur Breite von Kastenständen Schluss. Denn im November 2015 hat das Oberverwaltungsgericht Magdeburg entschieden, dass die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung im Wortsinn ohne Interpretationsspielräume umgesetzt werden muss. Diese Entscheidung wird bundesweit wegweisend sein und bedeutet einen Durchbruch für mehr Tierschutz.

Es wird sich zukünftig in deutschen Sauenhaltungen viel ändern, und die Tiere werden mehr Platz bekommen – wenigstens das. Das wird wirtschaftliche Folgen haben und hoffentlich ein weiterer Schritt zur Abkehr von der industriellen Tierhaltung sein. Ausgehend von der Debatte in Sachsen-Anhalt wird mittlerweile bundesweit über Kastenstände in Deckzentren diskutiert, und in der Praxis werden diese zum Teil breiter, ganz abgebaut oder nur noch wenige Tage nach der Besamung eingesetzt. Tierschutzorganisationen und Grüne fordern, sie komplett abzuschaffen. Neue Regelungen zur artgerechten Haltung von Nutztieren wie mehr Platz im Stall, Auslauf- und Weidegebot, ausreichend Beschäftigungsmaterial und das ausnahmslose Verbot des Kupierens von Körperteilen müssen rechtlich verankert werden.

Würde eine verbindliche Kennzeichnung zu den Tierhaltungsbedingungen – so wie seit rund zehn Jahren bei den Eiern – bei allen tierischen Lebensmitteln eingeführt, könnten sich die Verbraucherinnen und Verbraucher bewusst für mehr Tierschutz entscheiden. Wenn eine informierte Kundschaft bereit ist, dafür höhere Preise zu bezahlen, entsteht bei den Erzeugern ein wirtschaftlicher Anreiz für Verbesserungen.  

 

Quellen:

  • S. 24: Ellen Stockmar/Atlas-Manufaktur.
  • S. 25: Statistisches Landesamt Sachsen-Anhalt, Statistische Berichte C III j/14, Viehbestände – Schweine –, Stand: 3. November 2014, http://bit.ly/1Qf7tHQ