Hessen: Wenn benachteiligte Gebiete die Natur bevorteilen

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So karg das Land im Norden ist – seine Milchbauern sind experimentierfreudig. Doch die Geflügelwirtschaft expandiert. Und wo ein Schlachthof wächst, kommen auch die Mäster. Ein Kapitel aus dem Fleischatlas Regional.

Hessen ist ein grünes Land. Anteilig gibt es dort mehr Wiesen und Weiden als in vielen anderen Bundesländern. Solches Dauergrünland, eines der artenreichsten Biotopformen innerhalb der Landwirtschaft, umfasst in Hessen stabile 37 Prozent der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche. Im Schnitt aller Bundesländer beträgt der Anteil des Grünlands nur gut ein Viertel, Tendenz abnehmend.

Das Gras des ökologisch wertvollen Grünlandes dient als Futter für Nutzvieh, um daraus Fleisch, Wurst oder Milch zu erzeugen. Indem die hessische Landesregierung Bauern fördert, die ihre Tiere auf der Weide halten, schützt sie auch den Lebensraum für zahlreiche Wiesenbrüterarten. Bauernhöfe können in Hessen eine Förderung bis zu 75 Prozent der Investitionssumme erhalten, wenn sie zugleich mit einem neuen Stall auch Weideflächen schaffen. Es ist allerdings nicht alles gut: Ebenfalls fördert die Regierung den Bau konventioneller Ställe ohne Tierschutzleistungen und ohne Auslauf immer noch mit bis zu 20 Prozent. Und wer geringfügig mehr Tierschutz bietet als gesetzlich zwingend, kann 40 Prozent der Stallbaukosten vom Staat fördern lassen.

Felder und Wiesen erstrecken sich in Hessen über weitgehend kleinräumige Landschaften zwischen Hügeln, Wäldern und Hecken. Zwölf Prozent aller Agrarflächen werden ökologisch bewirtschaftet, deutlich über dem Bundesschnitt von 6,3 Prozent. Drei Viertel der hessischen Ökobauernhöfe liegen in sogenannten „benachteiligten Gebieten“, in denen steile Hänge, felsige oder steinreiche und zugleich nährstoffarme Böden oder ein extremes Klima oder gleich alles zusammen für nur spärliche Erträge sorgen. Die Gebiete umfassen über 200.000 Hektar Grünland und rund 100.000 Hektar Ackerland und spielen eine wichtige Rolle beim Artenschutz. Bauern sollen nach EU-Recht einen Ausgleich erhalten, wenn sie unter diesen erschwerten Bedingungen wirtschaften.

In Hessen beträgt dieser Ausgleich meist zwischen 35 und 115 Euro je Hektar und Jahr. Das ist mehr als in anderen Bundesländern, doch erheblich weniger, als etwa ein Getreidebauer in einer günstigen Lage an Mehrertrag erwirtschaften kann. Beim Anteil der ausgesprochen „ertragsarmen Gebiete“ an der gesamten Agrarfläche liegt Hessen mit seinem Bergland, der Rhön und dem Vogelsberg bundesweit gleich auf dem zweiten Rang hinter Baden-Württemberg mit der kargen Schwäbischen Alb.

Die raue Natur ist nur ein Grund, warum gerade in diesen oftmals landschaftlich besonders schönen Regionen viele Bauernhöfe aufgeben und mit ihnen auch die Kühe von der Weide verschwinden. Kühe gehören zu den Wiederkäuern, die optimale Grasverwerter sind. Viele alte Rassen kommen auch mit dem Klima der Berge zurecht. Doch Milchpreise um 28 Cent je Liter im Herbst 2015 decken kaum die Hälfte der durchschnittlichen Erzeugungskosten und zerstören auf Dauer die bäuerlichen Existenzen. Die „marginalen“ Betriebe sterben als erste. Die konventionellen Molkereien setzen auf wachsende Milchpulverexporte, für die es in China eine gewaltige Nachfrage gibt, und haben dazu in den letzten Jahren in neue Pulvertürme investiert. Der Haken: Fertiges Milchpulver wird auch nur mit 36 Cent je Kilo gehandelt, und dafür sind sechs bis sieben Liter Milch erforderlich.

Die Wachstums- und Exportpläne der deutschen Milchkonzerne bieten demnach auch langfristig keine Überlebenschance für Bauernhöfe. Biobauern genießen dagegen Heimvorteile. Bei stabiler Inlandsnachfrage erzielten sie im Herbst 2015 im Schnitt 47 Cent je Liter. Im nordhessischen Willingen-Usseln liegt zudem ein ungewöhnliches Unternehmen: die Upländer Bauernmolkerei, die hessenweit einzige reine Biomolkerei. Als Antwort auf Milchkrisen und die wachsende Marktmacht von immer weniger Molkereikonzernen nahmen 1996 mehrere Privat- und Geschäftsleute sowie Aktive aus Umwelt- und Naturschutz, vor allem aber 18 Biolandwirtinnen und -landwirte eine kurz zuvor stillgelegte Anlage wieder in Betrieb. Die Zahl der Zulieferer ist bis 2015 auf 120 Betriebe in 100 Kilometern Umkreis gestiegen, in dem auch das Hauptabsatzgebiet liegt. Die Produktion besteht inzwischen zur einen Hälfte aus Trinkmilch und zur anderen aus veredelten Milchprodukten wie Butter, Käse und Joghurt.

Indes expandiert das gewerbliche Schlachten. Der niederländische Fleischkonzern Plukon, der in Deutschland jährlich rund 100 Millionen Hähnchen verarbeitet, betreibt in Gudensberg bei Kassel den größten hessischen Geflügelschlachthof. Dort sollen statt heute 85.000 künftig 125.000 Tiere pro Tag zerlegt werden. Die Folge: Mastbetriebe wollen sich in der Umgebung ansiedeln, um Transportkosten zu sparen. Andererseits schließen sich auch Verbraucherinnen und Verbraucher immer häufiger zu Bürgerinitiativen zusammen. Denn solche Projekte bedeuten eine deutliche, dauerhafte Geruchsbelästigung und eine zusätzliche Nitratlast für die Gewässer. Schon heute weisen über 30 Prozent der Grundwasserkörper in Hessen einen Belastungsgrad von 25 Milligramm Nitrat pro Liter Wasser auf. Jedes siebte Grundwasservorkommen liegt über 50 Milligramm, ist damit nicht mehr für den menschlichen Verzehr geeignet und muss mit sauberem Wasser gemischt werden, damit es wieder trinkbar ist.

 

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