Nukleare Abrüstung: Der Durchbruch ist in Sicht

Nach dem Scheitern der Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag könnte das Jahr 2016 neuen Schwung in die nukleare Abrüstung bringen. In einem Unterorgan der Vereinten Nationen sollen konkrete rechtliche Schritte – und möglicherweise ein Atomwaffenverbot – endlich vorangetrieben werden.

Teaser Bild Untertitel
Bereits 2013 tagte eine Open-Ended Working Group für nukleare Abrüstung (Archivbild)

2015 war ein Jahr des Scheiterns in der nuklearen Abrüstung – ein Scheitern, das letztendlich zum Erfolg führen könnte. Von April bis Ende Mai tagte vier Wochen lang die Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsvertrag (NVV) in New York. Nur alle fünf Jahre kommt die Staatengemeinschaft im Hauptquartier der Vereinten Nationen zusammen, um über den Stand der nuklearen Abrüstung zu debattieren. Nur dann haben sie die Chance, im Konsens zu entscheiden, wie es weitergehen soll.

Dieses Jahr waren die Erwartungen hoch, aber auch die Zweifel. Die 2010 beschlossenen Maßnahmen zur globalen Abrüstung sind nicht ansatzweise umgesetzt worden – und das, obwohl die damalige Überprüfungskonferenz von den Staaten und zivilgesellschaftlichen Vertretern als Durchbruch gefeiert wurde. Bei der Konferenz im letzten Frühjahr hätte man diese Schieflage möglicherweise korrigieren können. Die Atomwaffenstaaten hätten bei ihren Kritikern und Kritikerinnen um Glaubwürdigkeit werben können, indem sie sich konstruktiv für konkrete Abrüstungsschritte eingesetzt hätten; ganz im Sinne des „Step-by-step“-Ansatzes, den sie traditionell propagieren. Diese Chance haben sie verstreichen lassen: Am Ende hat sich die Staatengemeinschaft in keinem einzigen Punkt einigen können.

Humanitäre Initiative

Der Dissens mag den Atomwaffenstaaten und ihren Unterstützer/innen nicht ungelegen gekommen sein. Die mittlerweile immer tiefer werdende Kluft zwischen ihnen und denjenigen Ländern, die sich zur Humanitären Initiative zusammengeschlossen haben und effektive, rechtliche Schritte in der nuklearen Abrüstung fordern, hätten die Atomwaffenbesitzer und ihre NATO-Bündnispartner sicherlich bis zur nächsten Überprüfungskonferenz in 2020 ausgesessen.

Doch die Meinung von 159 Staaten der Humanitären Initiative, die sich als Antwort auf die seit Jahrzehnten fehlenden Fortschritte in den Verhandlungen gebildet hat, lässt sich auf Dauer nicht ignorieren. Die Debatte wird daher parallel zum NVV in der jährlich tagenden Generalversammlung weitergeführt. Die Humanitäre Initiative hat hier im vergangenen Herbst vier Resolutionsentwürfe eingebracht, die ein Verbot von Atomwaffen vorantreiben sollen.

Und das mit Erfolg: Am 7. Dezember 2015 votierte eine große Mehrheit der Staatengemeinschaft für die Resolutionen über die humanitären Konsequenzen von Kernwaffen (A/RES/70/47), die ethische Verpflichtung zur nuklearen Abrüstung (A/RES/70/50) und die sogenannte Humanitäre Selbstverpflichtung (Humanitarian Pledge), die auf eine Stigmatisierung, ein Verbot und die Abschaffung von Atomwaffen abzielt (A/RES/70/48).

Open-ended Working Group als Forum

Zudem, und hierin liegt das größte Potenzial, stimmten 138 Regierungen für die Einrichtung einer „Open-ended Working Group“ (A/RES/70/33). Die OEWG stellt ein Unterorgan der Generalversammlung dar und wird zwischen Februar und Oktober 2016 für insgesamt bis zu 15 Tage in Genf zusammenkommen. Alle Regierungen sind dazu eingeladen, an ihr teilzunehmen, um über Empfehlungen für konkrete und rechtsverbindliche Abrüstungsschritte zu beraten. Es ist durchaus möglich, dass dort eine Mehrheit beschließt, im nächsten Schritt Verhandlungen über einen Ächtungsvertrag zu beginnen.

Die Generalversammlung besitzt die Kompetenz, zu dringenden Themen spezielle Diskussionsforen ins Leben zu rufen. Die OEWG ist daher sowohl eine Antwort auf die Forderung der humanitär orientierten Staaten nach einem umfassenden Atomwaffenverbot als auch eine Reaktion auf drei humanitäre Konferenzen, die zwischen 2013 und 2014 in Oslo, Nayarit und Wien stattgefunden haben. An der letzten dieser Konferenzen in Wien, an deren Ende die Initiierung der Humanitären Selbstverpflichtung stand, haben fast 160 Staaten, Wissenschaftler/innen und Nichtregierungsorganisationen teilgenommen. Eine Masse an Akteuren, die den Druck auf die Atomwaffenstaaten sukzessive erhöhen.

Drei Faktoren machen die OEWG zu einem erfolgversprechenden Forum, in dem über nukleare Abrüstung und die Möglichkeit der Ächtung von Atomwaffen verhandelt werden kann, ohne dass eine ähnliche Resignation zu erwarten ist, wie sie bei der letzten NVV-Konferenz spürbar wurde. Erstens profitiert die OEWG als „subsidiary body“ der Generalversammlung von der Kopplung an die Vereinten Nationen, da sie sich hiermit auf eine valide Legitimationsgrundlage stützen kann, welche die Hürde zur Teilnahme niedrig setzt. Staaten, die sich der humanitären Bewegung bisher verschlossen haben, könnten dazu bewegt werden, sich im Prozess einzubringen. Zwar ist es wahrscheinlich, dass die Atomwaffenbesitzer die Verhandlungen boykottieren werden, wie sie es mehrheitlich schon bei den humanitären Konferenzen getan haben. Einige ihrer Verbündeten werden jedoch sicher vertreten sein, allein aus dem Eigeninteresse, dieses politisch relevante Forum nicht unkommentiert der Humanitären Initiative zu überlassen.

Zweitens ist der Resolutionstext bewusst so formuliert, dass alle Staaten zur Teilnahme aufgerufen sind. Die OEWG begreift sich damit als inklusives Forum, in dem die Interessenvertreter/innen zusammenkommen, um ihre jeweiligen Positionen – unabhängig davon, ob sie der Humanitären Initiative zuzurechnen sind oder nicht – zu vertreten und zu verhandeln. Die Zivilgesellschaft und internationale Organisationen sind ebenfalls dazu eingeladen, teilzunehmen.

Mehrheitsmeinung statt Konsensprinzip

Zudem gilt innerhalb der OEWG nicht das Konsensprinzip, sondern die Mehrheitsmeinung. Hierin liegt der dritte und wohl wichtigste Aspekt. Demnach können die nuklear bewaffneten Staaten und ihre Unterstützer/innen den Prozess nicht einfach blockieren, wie es ihnen in den NVV-Konferenzen möglich ist. Dort müssen nämlich alle Entscheidungen einvernehmlich getroffen werden.

Dass die OEWG nicht lediglich ein weiteres unergiebiges Forum des unmotivierten Austauschs über die immer selben Fragen ist, wie es gemeinhin der Genfer Abrüstungskonferenz nachgesagt wird, die seit Jahrzehnten blockiert ist und keinen politischen Mehrwert bietet, zeigt sich unter anderem in den Gegenstimmen beziehungsweise Enthaltungen von Staaten wie Deutschland. Noch 2012 hatte die Bundesregierung für die Einrichtung einer Vorgänger-OEWG (A/RES/67/56) gestimmt, die in 2013 tagte, und auch aktiv daran teilgenommen.

Die Enthaltung dieses Mal ist ein unmissverständliches politisches Signal. Die Bundesregierung hat die politische Relevanz und die potentielle Dynamik der OEWG zweifelsohne erkannt und hat ihr Abstimmungsverhalten aus Vorsicht angepasst, um nicht durch einen zu progressiven Schritt in Richtung Humanitäre Initiative die Atomwaffenstaaten und die NATO-Partner zu brüskieren.

Zwar hat das Auswärtige Amt mittlerweile zu verstehen gegeben, dass Deutschland sehr wohl vorhabe, sich auch dieses Mal aktiv in Genf einzubringen. Mit einigen Passagen ist man jedoch offensichtlich nicht einverstanden gewesen.

Denn zwischen der Resolution von 2012 und derjenigen, die im Dezember beschlossen wurde, gibt es deutliche Unterschiede. Die Einrichtung eines Unterausschusses der Generalversammlung ist ein Novum, das dem Prozess symbolisch und realpolitisch mehr Gewicht verleiht. Gleichzeitig wurde dieses Mal viel stärker betont, dass endlich „substanzielle Fortschritte“ erreicht werden sollen in Bezug auf „effektive rechtliche Maßnahmen, Regelungen und Normen“. Eine derart präzise Forderung wurde beim letzten Mal vermieden.

Empfehlung an die Generalversammlung

Die Empfehlungen, die als Abschlussbericht an die nächste Generalversammlung im Oktober 2016 gehen werden, sind jedoch nicht ausschließlich auf rechtliche Maßnahmen beschränkt. Sie umfassen unter anderem Beratungen über Transparenzmaßnahmen, über Schritte zur Reduzierung und Beseitigung der mit Kernwaffen verbundenen Risiken sowie über die Förderung des Bewusstseins für die humanitären Konsequenzen von Kernwaffen.

Die OEWG wird in diesem Jahr ein deutliches Zeichen setzen. Die fruchtlosen Abrüstungsgespräche, die sich seit Jahrzehnten in der Genfer Abrüstungskonferenz und in den NVV-Konferenzen im Kreis drehen – das haben die meisten Staaten begriffen – können so nicht mehr fortgesetzt werden. Zumindest, wenn sie mehr darstellen sollen als puren Selbstzweck. Von Seiten der Kernwaffenbesitzer wird stets argumentiert, dass nukleare Abrüstung einzig und allein im Rahmen des Nichtverbreitungsvertrags vorangetrieben werden könne. Durch das Einsetzen der OEWG wird dieser jedoch weder an Bedeutung verlieren noch unterwandert. Sie stellt lediglich ein paralleles Organ dar, das die Dringlichkeit substanzieller Abrüstungsfortschritte in einer prekären globalpolitischen Lage verdeutlicht und der Mehrheit der internationalen Gemeinschaft, die sich mit der ihnen aufoktroyierten nuklearen Hierarchie nicht länger abfindet, einen neuen Handlungsspielraum bietet. Gleichzeitig würde ein Verbot von Kernwaffen den Nichtverbreitungsvertrag vielmehr ergänzen und stärken.

Die Chancen, dass bald Verhandlungen über ein Atomwaffenverbot beginnen könnten, stehen damit gut. Sollte sich eine Mehrheit der an der OEWG teilnehmenden Staaten für derartige Verhandlungen aussprechen, werden sie eine dementsprechende Empfehlung an die nächste Generalversammlung adressieren. Weil dort dieselben Länder vertreten und die Mehrheitsverhältnisse deckungsgleich sind, dürfte die Empfehlung in der Generalversammlung auch angenommen werden – selbst für den Fall, dass die OEWG den Beginn von Verbotsverhandlungen mandatieren sollte.

Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird die Luft für die abrüstungspolitischen Blockierer dünn werden. Es wird dann lediglich eine Frage der Zeit und des Durchhaltevermögens sein, wie lange Staaten wie Deutschland ihre Haltung noch rechtfertigen und sich dem humanitären Gedanken verschließen können.