Die Elf gegen Kohle

Zeche Zollverein
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Die Zeche Zollverein in Essen ist stillgelegt - NRWs Wirtschaft zehrt aber bis heute besonders stark von der Kohle

Auf einen großen Kompromiss im Kohlestreit zielt der „Elf-Punkte-Plan“ von Agora Energiewende. Demnach muss 2040 Schluss sein mit der Kohle. Was genau steht drin? Stefanie Groll hat nachgelesen und Schlüsse gezogen.

Die Einschätzung darüber, welche Konsequenzen das Pariser Abkommen politisch haben sollte, gehen auseinander. Umweltministerin Barbara Hendricks sagte: „Wir müssen noch ehrgeiziger werden". Sie kündigte an, einen nationalen „Klimaschutzplan 2050“ zu erarbeiten, der noch vor der parlamentarischen Sommerpause 2016 das Kabinett passieren soll. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnte hingegen erwartungsgemäß „vor Alleingängen Deutschlands oder der Europäischen Union“. BDI-Präsident Ulrich Grillo erklärte, es sei „nicht die Zeit, überstürzt über neue EU-, geschweige denn nationale Ziele, nachzudenken.“ Hendricks beschwichtigte, die deutsche Industrie werde in alle Überlegungen einbezogen und habe gar nichts zu befürchten.

In dieser Gemengelage hat nun der Think Tank Agora Energiewende einen 11-Punkte-Plan zur schrittweisen Dekarbonisierung des Stromsektors vorgelegt. Die Dekarbonisierung soll durch einen „Nationalen Kohlekonsens“ klar gemacht werden. Im Jahr 2040 soll Schluss sein mit der Kohleverstromung. Der ganze Prozess macht gezielt Anleihen beim 2001 zwischen Regierung und Energiekonzernen vereinbarten Atomkonsens.

Der Wirtschaftsminister wägt ab

Wirtschafts- und Energieminister Sigmar Gabriel hatte letztes Jahr in der Instrumentendebatte „Klimabeitrag“ und „Klimareserve“ einbüßen müssen. Im politischen Berlin wurde vermutet, dass „Kohleausstieg“ mindestens bis zur Bundestagswahl in den Kamin geschrieben ist. Es ist kein Geheimnis, dass Agora sehr gute Kontakte ins Wirtschaftsministerium pflegt. Die Publikation könnte ein Testballon für Gabriels kohlepolitische Strategie sein: Wie reagieren Gewerkschaften, Verbände und Energiekonzerne auf den Vorschlag eines „Nationalen Kohlekonsens“? Lohnt es sich für Gabriel das Thema doch noch mal anpacken? Politexpert/innen halten es für unwahrscheinlich, dass das federführende Wirtschaftsministerium einen solchen Schritt zeitnah unternehmen würde. Industrie, Gewerkschaften und große Teile der SPD, vor allem in Nordrhein-Westfalen, lehnen ein schnelles Ende der Kohle ab.

Was schlägt Agora konkret vor? Als erstes soll die Bundesregierung einen „Runden Tisch Nationaler Kohlekonsens“ einberufen. Interessensausgleich ist das Grundprinzip des ganzen Plans, so ist auch das Ausstiegsdatum 2040 ein Kompromiss. Agoras Berechnungen zufolge reicht das für die deutschen Reduktionsziele (95 Prozent weniger Treibhausgase bis 2050), ist energiewirtschaftlich tragfähig, bietet Planungssicherheit und Verlässlichkeit für die betroffenen Unternehmen. Die Maxime des Vorschlags ist: „Die Energiewende kann ökologisch nur erfolgreich sein, wenn sie es auch ökonomisch ist“ (Seite 8).

Ökonomisch und klimatisch sinnvoll ist es, zuerst die ältesten, ineffizienten und dreckigsten Kraftwerke abzuschalten. Je älter die Anlagen, desto höher die CO2-Vermeidungskosten, desto unwirtschaftlicher. Die ältesten Braunkohlekraftwerke gehören der RWE in Nordrhein-Westfalen. Wie man es dreht und wendet: Das SPD-Stammland, geprägt von der energieintensiven Industrie und der Kohle, wird von Klimaschutzpolitik am meisten betroffen sein.

Agora schlägt vor, dass innerhalb von Kraftwerksflotten eine Übertragung von Restlaufzeiten möglich ist. Das gibt den Betreibern mehr Flexibilität. Eckpunkt 4, Vergleich Atomkonsens: Hier sollten die ältesten, störungsanfälligsten Meiler zuerst vom Netz gehen, eine Übertragung von Restrommengen von einem älteren auf einen jüngeren Meiler war – mit Sondergenehmigung des Umweltministeriums – hier auch erlaubt.

Günstiger Abschaltplan statt teurer Klimaschutzinstrumente?

Wenn ein Abschaltplan für Kohlekraftwerke festgelegt wird, soll die Bundesregierung auf „zusätzliche Klimaschutzregelungen“ verzichten. Das heißt, es würde keine zusätzliche Bepreisung von Kohlenstoffemissionen (vgl. „Klimabeitrag“) aber auch keine Stillegungsprämien (vgl. „Klima- und Kapazitätsreserve“) mehr geben. Von zusätzlichen Klimaschutzregelungen ausgenommen sind aber strengere Regelungen zur Luftreinhaltung und für den Gesundheitsschutz (Stichwort Quecksilber). Eckpunkt 5, Vergleich Atomkonsens: Als Gegenleistung für die Laufzeitbegrenzung von Atomkraftwerken hatte sich die Regierung Gerhard Schröder dazu verpflichtet, die Sicherheitsstandards für AKWs nicht weiter zu erhöhen.

Eckpunkt 7 behandelt das Thema Folgekosten des Bergbaus und dafür erforderliche Rückstellungen. Nach eigenen Angaben haben die Energieversorger im Jahr 2014 4,1 Milliarden Euro an Rückstellungen gebildet. Ob diese Summe ausreicht und wie sicher diese Rückstellungen sind, kann nicht objektiv beantwortet werden. Agora macht hier einen Prozessvorschlag für mehr Transparenz („unabhängiges Gutachten“) und schlägt zudem vor, ab dem Jahr 2018 2,50 Euro je MWh Braunkohle zu erheben. Alle Mittel zur Finanzierung von Rekultivierungs- und Nachsorgelasten sollen in einen öffentlich-rechtlichen Stiftungsfond übergehen. Allen Beteiligten muss daran gelegen sein, hier eine verlässlichere Lösung zu finden als für den Atommüll. Konsens ohne Nonsens, technisch-physikalisch gesehen ist es auf jeden Fall einfacher.

Ohne Druck von unten kann es keinen Kompromiss geben

Die Grünen und auch Umweltschutzorganisationen bewerteten den Aufschlag von Agora erst mal wohlwollend bis positiv. Sie drücken aber aufs Tempo: „Deutschland muss schon in den nächsten 15 bis 20 Jahren raus aus der Kohle“, sagte zum Beispiel Annalena Baerbock, klimapolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, in Einklang mit der Weimarer Erklärung ihrer Partei. Ein detaillierter Abschaltplan von Greenpeace sieht vor, dass bis 2030 das letzte Braunkohlekraftwerk, und bis 2040 das letzte Steinkohlekraftwerk vom Netz geht.

Für die Anti-Kohle-Bewegung lassen realpolitische Vorgaben wie der Agora-Plan viel Luft nach oben. Gestritten werden kann für einen schnelleren Ausstieg, sofortige Stilllegung von Kapazitäten, die nur für den Export produzieren und für eine weitere Dezentralisierung der Energieversorgung auf Basis von Erneuerbaren Energien. Die radikaleren Elemente der Klimabewegung bzw. der Anti-Kohle-Bewegung plädieren dafür, das Ende der Kohleverstromung für einen Neunanfang im gesamten Wirtschaftssystem zu nutzen (Systems Change statt Climate Change). Sie wollen auch nicht die Erfahrung der Anti-Atom-Bewegung machen, der mit dem Atomkonsens der Wind aus den Segeln genommen wurde. Politischen Befriedungsoptionen, Abschaltplänen und Ausstiegsgesetzen stehen Akteure aus dem Graswurzel- und Aktivistenspektrum naturgemäß skeptisch gegenüber. Für den politischen Verhandlungsraum sind derlei Positionen gut. Denn ohne maximalen Druck von unten kann es auch keinen Konsens geben.