Fleischproduktion: Die Geiz-ist-geil-Mentalität bekommt Risse

Nach der Demo: Supp'n Talk in der Heinrich-Böll-Stiftung
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Nach der Demo: Supp'n Talk in der Heinrich-Böll-Stiftung

Massenproduktion und Megaställe sind Alltag in Deutschland. Um einen Wandel in der Fleischindustrie einzuleiten, braucht es politischen und zivilgesellschaftlichen Druck. Ein Überblick über die neuesten Entwicklungen.

Seit mehr als vier Jahren arbeiten der BUND und die Heinrich-Böll-Stiftung gemeinsam am Thema Fleisch. Als 2013 der erste Fleischatlas veröffentlicht wurde, war das Thema kaum in den Medien. Inzwischen sind weit mehr als 200.000 Atlanten (Print) allein in Deutschland unter die Menschen gebracht. Damit haben die Böll-Stiftung und der BUND dazu beigetragen, das Bewusstsein für die ökologischen, sozialen und tierrechtlichen Folgen des globalen Fleischkonsums zu schärfen. Auch international hat der Fleischatlas Einfluss: Mittlerweile ist er in sieben Sprachen übersetzt und medial in vielen Ländern des globalen Südens aufgegriffen.

Der Fleischatlas Deutschland Regional liefert Wissen zu den Ausmaßen und den Auswirkungen des Ausbaus der Massentierhaltung in Deutschland. Hoffentlich werden diese Informationen vielen regionalen und lokalen Akteur/innen im Kampf gegen den weiteren Ausbau von Megaställen nützlich sein.

Warum wieder ein Fleischatlas – diesmal ein Regionaler?

Um einen Wandel in der Fleischindustrie einzuleiten, braucht es politischen und zivilgesellschaftlichen Druck. Politische Entscheidungsträger/innen in Bund und Ländern müssen endlich umsteuern für eine soziale, ökologische und artgerechte Fleischproduktion. Die vorherigen Fleischatlanten haben gezeigt, dass der hohe Pro-Kopf-Fleischkonsum in Deutschland (immer noch knapp über 60 Kilogramm) und die deutsche Fleischproduktion für verheerende ökologische und soziale Wirkungen weltweit mitverantwortlich sind. Globaler Fleischkonsum ist Treiber für den Klimawandel, vor allem für den Verlust biologischer Vielfalt, zerstört Böden, Wälder und die Existenzgrundlagen vieler Menschen.

In den jeweiligen Bundesländern machen die BUND-Gruppen und die Landesstiftungen der Heinrich-Böll-Stiftung ähnliche Erfahrungen: Immer mehr Menschen wollen einen Wandel in der Tierproduktion. Daher bündelt dieser Atlas die Arbeit der Landesstiftungen und der BUND-Gruppen. Der Fleischatlas Regional deckt jedes Bundesland ab und zeigt, wie vielfältig die Probleme in der Tierhaltung sind und wie aber auch lokale Alternativen und Chancen aussehen können.

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Gesellschaftliche Kritik und der Wunsch nach Wandel

Die gesellschaftliche Kritik an der Art und Weise, wie wir unser Fleisch herstellen, hat in den letzten Jahren Fahrt aufgenommen. Immer mehr Menschen in Deutschland wollen wissen, wie ihre Lebensmittel, vor allem wie Fleisch, hergestellt werden. Sie wollen Informationen zu Umwelt und Gesundheit und wollen wissen, ob es bei der Futtermittel- und Tierproduktion faire und gerechte Arbeits- und Lebensbedingungen gibt und wie die Tiere gehalten werden, von denen Wurst und Fleisch stammen. Laut jüngster repräsentativer Umfrage des Bundesministeriums für Landwirtschaft und Ernährung (BMEL) wollen viele Menschen, dass die Landwirtschaft insgesamt umweltverträglicher wird, 86 Prozent der befragten deutschen Bürgerinnen und Bürger sind dafür, dass die Bauern mehr Geld bekommen und 88 Prozent wollen, dass die Tiere besser gehalten werden.

Auch wächst die Bereitschaft mehr Geld für Fleisch auszugeben stark an. Die gleiche Umfrage des BMEL stellt fest: Fast 90 Prozent der Deutschen sind bereit, mehr für ihr Fleisch zu zahlen, wenn dadurch die Tiere besser gehalten werden. Die "Geiz ist geil"-Mentalität bekommt Risse, vorbei ist sie noch nicht (siehe Studie, S. 26).

Immer mehr Menschen organisieren sich gegen Massentierhaltung. Am 14.01.2016 endete das bundesweit erste Volksbegehren gegen Massentierhaltung, das in Brandenburg mit großem Erfolg organisiert wurde. Mehr als 100.000 Menschen also 24.000 Menschen mehr als notwendig erhoben ihre Stimme gegen Massentierhaltung und für strengere Regelungen des Tierwohls. Nun muss sich der Landtag mit dem Thema beschäftigen, mit einem SPD geführten Landwirtschaftsministerium, das eng mit der Agrarindustrie verbunden ist.

Die stärkere Vernetzung der Gegner/innen der heutigen Fleischproduktion sieht man aber auch bei der jährlichen Demonstration "Wir haben Agrarindustrie satt". Jahr für Jahr gehen mehrere 10.000 Menschen auch bei eisigen Temperaturen auf die Straße, um für eine bessere Agrarpolitik zu kämpfen.

Ein weiteres positives Zeichen setzt die Biobranche: Immer mehr Betriebe stellen auf Bio um und die ökologisch bewirtschaftete Fläche wächst in Deutschland um mehr als zwei Prozent. Der Umsatz der Biobranche insgesamt ist in 2015 um sechs Prozent gestiegen.

Außerdem produziert die Branche Jahr für Jahr mehr Schweine und Geflügelfleisch. Und, obwohl der Konsum von Bio-Fleisch noch immer ein absolutes Randdasein fristet und nur circa ein bis zwei Prozent des gesamten deutschen Fleischkonsums deckt, sind die Fleischprodukte dennoch absolute Wachstumsmärkte. Der Umsatz im Geflügelbereich zum Beispiel ist um mehr als 25 Prozent gestiegen. Auch vegane und vegetarische Ersatzprodukte für Fleisch boomen und zeigen, dass Menschen sich immer bewusster und aus ganz unterschiedlichen Gründen fleischfrei ernähren.

Die Trends in Deutschland: Massenproduktion und Megaställe

Anstatt auf Klimaverträglichkeit und gesellschaftliche Ansprüche und Wünsche zu achten, geht der Trend zu einer Tierhaltung weiter, die dem Tierwohl und dem Umweltschutz nicht entsprechen: immer weniger Betriebe halten immer größere Tierbestände und das auf Kosten der Umwelt, weiter Teile der Bevölkerung und der Tiere. Megaställe mit hohen Tierbeständen sind beantragt und werden genehmigt. So zeigt der Fleischatlas basierend auf einer Erhebung des BUND, dass zusätzliche 720 000 Schweinemastplätze beantragt sind. Die Produktion boomt –  für Schweinefleisch stieg sie von 3,7 Mio Tonnen 1994 auf mehr als 5,5 Mio Tonnen; die Geflügelproduktion von knapp 350 Tausend Tonnen in 1994 auf fast eine Millionen Tonnen in 2014.

Gleichzeitig sinken die Preise zum Beispiel für Schweine Jahr für Jahr: Während das Schlachtgewicht im Mittel zwischen 1,60 und 1,70 Euro pro Kilogramm 2013 betrug, schwanken die Preise heute zwischen 1,25 und 1,30 pro Kilogramm.

Das Resultat: Mehr als 90 Prozent der Betriebe in weiten Teilen Deutschlands haben in den letzten Jahren die Haltung von Schweinen oder Geflügel aufgegeben. Allein in Niedersachsen sind es zwischen 2001 und 2015 fast 14.000 Betriebe, die in der Schweinehaltung das Handtuch warfen; in Bayern 27.800. Das sind mehr als 80 Prozent aller schweinehaltenden Betriebe in Bayern und mehr als 60 Prozent in Niedersachsen.

Was die Schweinehaltung betrifft, ist NRW die bundesweite Ausnahme: Es ist das einzige Bundesland, in dem nur um 50 Prozent der Betriebe die Schweinehaltung aufgegeben haben. In acht Bundesländern sind es über 80 Prozent und in den anderen drei Ländern mehr als 60 Prozent der Betriebe.

Umweltfolgen und Abhängigkeit von Futtermittelimporten verschärfen sich

Eine weitere Folge ist, dass es durch die Verdichtung der Tierbestände in wenigen Regionen zu noch massiveren lokalen, regionalen Amoniakemissionen und Gülle kommt, die Grund- und Oberflächenwasser verseuchen. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie aus dem Jahr 2000 verpflichtete alle EU-Länder, ihre Gewässer bis 2015 unter den Toleranzwert von 50 Milligramm Nitrat pro Liter zu bringen.  Doch bis heute werden beispielsweise in einigen Teilen NRWs Spitzenwerte von 300 Milligramm pro Liter, also die sechsfache Toleranzmenge, gemessen.

Diese Entwicklung wird nicht zuletzt durch den großen Nährstoffüberschuss ausgelöst, der daraus resultiert, dass Futtermittel importiert werden. Die Stallhaltung der Tiere ist heute verknüpft mit immensen Futtermittelimporten. Der wichtigste Eiweißlieferant für die Tiere ist Soja, und das kommt vor allem aus Argentinien, Brasilien und den USA. Das US-Agrarministerium geht von einer weltweiten Sojaernte 2014/15 in Höhe von 310 Millionen Tonnen aus.

Jährlich werden circa 32 Millionen Tonnen Sojabohnen und -schrot aus Nord- und Südamerika in die Europäische Union geliefert. Alleine in Brasilien ist die Anbaufläche für Soja von elf Millionen in den Jahren 1993/94 auf fast 30 Millionen Hektar in 20013/14 explodiert. Die Erträge werden durch Flächenausweitung gesteigert, denn in Brasilien hat sich der Ertrag pro Hektar in den letzten 20 Jahren nur von zwei auf etwa drei Tonnen pro Hektar entwickelt.

Deutschland importiert circa sieben Millionen Tonnen Soja pro Jahr – und ist verantwortlich dafür, dass riesige Flächen für den Sojaanbau vor allem in Argentinien, Brasilien und Paraguay umgepflügt werden. Zu Lasten von Artenvielfalt und den dortigen bäuerlichen Familien und zu Lasten der deutschen und europäischen Gewässer und Böden, die die riesigen Tierbestände und die damit anfallenden Gülleaufkommen nicht tragen können.

Noch mehr Gentechnik, Glyphosat und Antibiotika

Der Anteil an gentechnisch verändertem Soja liegt je nach Land zwischen 92 und 100 Prozent für die USA, Brasilien und Argentinien. Der größte Vorteil der gentechnisch veränderten Pflanze: Sie ist resistent gegen das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat, das in großen Mengen beim Sojaanbau eingesetzt wird. Glyphosat ist ein Breitbandherbizid. Das heißt, es tötet alle Unkräuter auf dem Acker außer der gentechnisch veränderten Pflanze. Verkauft werden weltweit 720.000 Tonnen Glyphosat mit einem geschätzten Marktwert von 5,5 Milliarden US-Dollar.

In Argentinien hat sich der Verbrauch der Wirkstoffe von Unkrautvernichtungsmitteln, von denen Glyphosat das wichtigste ist, in den letzten zehn Jahren mehr als verzehnfacht. Von etwas mehr als 19.000 Tonnen auf 212.000 Tonnen – reiner Wirkstoff. Das Mittel wird aus Flugzeugen auf die Felder gespritzt. Absolut dramatisch für die dort lebende Bevölkerung, die aufgrund des zunehmenden Kontaktes zu den Giften immer stärkere gesundheitliche Probleme bekommt. Atemwegs- und Hauterkrankungen steigen genauso wie Krebsraten.

Auch in Deutschland führen wir seit letztem Sommer eine ausführliche Debatte um Glyphosat. 80 Prozent der Deutschen meinen - laut der Nationalen  Verzehrstudie von 2008 - dass Pestizide eines der größten Risiken in ihren Lebensmitteln sind. Dennoch steigt auch hierzulande der Einsatz von Glyposat Jahr für Jahr. Die Anwendung ist aber nicht mit der in Argentinien oder Brasilien zu vergleichen – in den letzten Jahren wurden kontinuierlich zwischen 5000 und 6000 Tonnen des Wirkstoffs eingesetzt. Diese Zahlen beziehen sich auf den Gesamteinsatz von Glyphosat in Deutschlands Landwirtschaft. Nicht zuletzt führt der Trend, mehr Tiere auf engem Raum zu halten, dazu, dass immer mehr Antibiotika in der Tierhaltung verwendet werden. Es ist absolut leichtsinnig – in Anbetracht der großen Bedeutung, die Antibiotika für die Humanmedizin haben - deren Wirkung dermaßen aufs Spiel zu setzen, indem wir einen leichtfertigen Umgang in der Tiermedizin zulassen. Verdichtung intensiviert Antibiotikaeinsatz.

Megaställe und Tierqualen verschärfen sich nochmals

Einer der Bereiche, der immer wieder übersehen wird, aber traurig eindrucksvoll zeigt, wie qualvoll die derzeitige Haltung von Schweinen ist, ist die Sauenhaltung.

Immer wieder kommt es in der Sauenhaltung zu Verstößen gegen das Tierschutzgesetz. Gravierender ist, dass das bestehende Recht selbst völlig ungenügend ist. Dieses erlaubt, dass die Sau nach der Besamung für fast vier Wochen in einem Kastenstand steht. Ein Gitterstand – nicht breiter als 75 Zentimeter, in dem die Sau sich nicht drehen oder laufen kann. Nicht mal mit dem Kopf am Hinterteil kratzen geht. Der Bewegungsentzug soll die Trächtigkeit sicher erhalten. Dann, nach dem Abferkeln, kommt die Sau wieder in Einzelhaltung: dieses Mal in die sogenannte Abferkelbucht. Auch darin kann sie sich kaum bewegen. Die Rechtfertigung ist, dass, wenn die Sau nicht fixiert wäre, eine größere Gefahr bestehen würde, dass sie ihre Ferkel erdrückt. Somit ist es rechtlich erlaubt, die Tiere fast fünf Monate im Jahr in absoluter Bewegungslosigkeit zu halten.

Einige Schweinehalter machen diese Buchten auch noch so eng, dass die Tiere sich nicht mit ausgestreckten Beinen hinlegen können. Hinzu kommen die Spaltenböden, die den Abtransport des Kots effizient machen, für die Schweine jedoch endlose Qualen bedeuten. Über 90 Prozent aller Schweine leiden an Gelenk- und Ballenentzündungen. Es gibt gute und viele Beispiele, wie Sauen anders gehalten werden können, mit mehr Platz und auch etwas Einstreu. So wird keine Sau ihre Ferkel zerdrücken, auch wenn sie nicht fixiert ist.

Unter den heutigen Haltebedingungen sind leider auch andere tierquälerische Methoden wie Ringelschwänze kupieren bei Schweinen, Schnäbel kürzen bei Geflügel oder andere Verstümmelungen gang und gäbe. Hier werden Tiere, an die ökonomisch effizienten Haltungsbedingungen "angepasst", sie werden zur Ware, sind keine Lebewesen mehr.

Immer wieder wird den Konsument/innen suggeriert, dass wir in Deutschland im europäischen Vergleich besonders hohe Tierschutzstandards haben. Dass dies nur zum Teil stimmt, zeigt das Tierwohlgutachten des wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik des BMEL (S.109):

"Häufig wird von deutscher Seite angeführt, die bestehenden Bestimmungen seien im internationalen Vergleich besonders streng. Tatsächlich ist festzustellen, dass bei der Umsetzung der EU-Richtlinien zum Tierschutz in einzelnen Punkten über die Mindestanforderungen hinausgegangen wurde (siehe Tabelle 5.7), was bei den süd- und osteuropäischen Ländern nicht der Fall ist. Allerdings ist das Niveau der Tierschutzregelungen insgesamt als vergleichbar mit den west- und nordeuropäischen Ländern einzustufen."

Andere Länder wie zum Beispiel Schweden und die Niederlande haben die Sauenhaltung in Kastenständen längst verboten. In Schweden sind Kastenstände ganz verboten, in den Niederlanden nur noch vier Tage nach der Besamung erlaubt. In einigen Bundesländern versuchen grüne Regierungen umzusteuern – das ist nicht leicht und vor allem in NRW und Niedersachsen gegen den extremen Widerstand der ansässigen Fleischindustrie enorm schwierig. Dennoch: Seit 2015 zahlt Niedersachsen eine Ringelschwanzprämie von 16,50 Euro pro Schwein. Dadurch wurden mehr als 115.000 Mastschweinen nicht die Schwänze kupiert. Das ist ein Anfang. Es wurden allerdings im Jahr 2014 rund 4,5 Millionen Schweine in Niedersachsen gemästet.

Ein radikaler Wandel in der der Fleischwirtschaft für eine artgerechte und ökologisch tragfähige Fleischproduktion ist überfällig. Sie nutzt vor allem den Bauern und Bäuerinnen selber, die endlich faire Preise für eine gute Produktion bekommen. Dafür bedarf es neuer Allianzen (zum Beispiel Handel und Bauern), aber auch klarer Gesetze und Richtlinien. Das größere Qualitätsbewusstsein der Konsumentinnen und Konsumenten für Lebensmittel schafft gute Ausgangsbedingungen dafür.