Autoritäre Repression unter dem Vorwand der Souveränität

Die Repressionen zivilgesellschaftlicher Aktivitäten werden in Ländern wie Ägypten und Russland mit dem "Schutz staatlicher Souveränität" und dem "Prinzip der Nichteinmischung" gerechtfertigt. Wenn unliebsame Kritik unterbunden wird, ist jede solidarische Unterstützung für Aktivist/innen umso wichtiger.

In den letzten Jahren beschränkten verschiedene Staaten – demokratische wie autoritäre – auf der gesamten Welt erheblich die Handlungsspielräume von zivilgesellschaftlichen Akteur/innen, Aktivist/innen und Organisationen, die sich unabhängig von Staats- und Wirtschaftsinteressen für politische, soziale und ökologische Teilhabe und Menschenrechte einsetzen. Häufig behaupten Regierungen, dass Aktivist/innen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Instrumente ausländischer Regierungen seien und begründen deren Repression mit dem Schutz staatlicher Souveränität und dem Prinzip der Nichteinmischung. Zudem fehle es insbesondere denjenigen mit Verbindungen ins Ausland an demokratischer Legitimation.

Zwei Beispiele derartiger Repression unter dem Vorwand der Verteidigung staatlicher Souveränität betreffen Ägypten und Russland: In Ägypten wurden 2011 Ermittlungen gegen verschiedene NGOs, wie etwa die Egyptian Initiative for Personal Rights, eröffnet. Diese seien ohne Lizenz tätig geworden und hätten ausländische Mittel erhalten, ohne dazu autorisiert gewesen zu sein. In der Folge haben mehrere internationale NGOs, darunter das International Center for Journalists, ihre Büros geschlossen und viele ihrer Mitarbeiter/innen wurden zu Haftstrafen verurteilt. Seit 2014 kann die nicht autorisierte Annahme ausländischer Mittel mit lebenslanger Haft bestraft werden.

In Russland gilt seit 2012 das „Ausländische-Agenten-Gesetz“, nach dem sich NGOs, die Mittel aus dem Ausland erhalten und einer politischen Betätigung nachgehen, als „ausländische Agenten“ registrieren müssen. In jeder Publikation und Stellungnahme müssen sie darauf hinweisen, dass sie "ausländische Agenten" sind. Es folgten Ermittlungen und Razzien, u.a. gegen Human Rights Watch und Memorial. Weitere Gesetze verbieten die Annahme von US-amerikanischen Geldern und ermöglichen das Verbot unerwünschter NGOs. Bis Juni 2016 haben sich mindestens 18 Organisationen, darunter das Anti-Folter-Komitee, aufgelöst. Präsident Putin begründete dieses Vorgehen damit, dass aus dem Ausland geförderte zivilgesellschaftliche Aktivitäten die Souveränität Russlands unterminieren würden und dass Akteure, die ausländische Interessen förderten, nicht für die russische Gesellschaft sprechen könnten.

Staatliche Souveränität wird von transnationalem Aktivismus nicht berührt

Völkerrechtlich ist der Vorwurf, transnationale Zusammenarbeit und Finanzierung der Zivilgesellschaft würden staatliche Souveränität und das Prinzip der Nichteinmischung verletzen, kaum haltbar. Artikel 2(1) der Charta der Vereinten Nationen hält die souveräne Gleichheit aller Staaten fest. Diese begegnen sich auf völkerrechtlicher Ebene als Gleiche und sind berechtigt, ihre Belange unabhängig zu regeln. Die Kehrseite der Souveränität ist die Nichteinmischung: Staaten ist es verboten, sich direkt oder indirekt in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Dies bedeutet nicht, dass jede transnationale Unterstützung eine/n zivilgesellschaftliche/n Akteur/in den Grundsatz der Nichteinmischung verletze. Der Internationale Gerichtshof hat im Nicaragua-Fall 1986 klargestellt, dass nur solche Aktivitäten das Prinzip der Nichteinmischung verletzen, die Zwang gegen den betroffenen Staat beinhalten. Beim transnationalen, zivilgesellschaftlichen Austausch und dessen finanzieller Förderung sowie der Tätigkeit internationaler Nichtregierungsorganisationen liegt kein Zwang vor.

Darüber hinaus gilt der Grundsatz der Nichteinmischung nur in Hinblick auf diejenigen Bereiche, über die Staaten entscheiden können, ohne an völkerrechtliche Normen gebunden zu sein. Spätestens seit Ende des zweiten Weltkriegs bedeutet Souveränität nicht mehr, dass Staaten frei wären, die eigene Bevölkerung und Zivilgesellschaft nach Gutdünken zu behandeln. Menschenrechtsverträge und das Völkergewohnheitsrecht garantieren vielfältige Freiheitsrechte des Individuums gegenüber dem Staat.

Transnationaler zivilgesellschaftlicher Aktivismus ist legitim

Für die Frage, ob transnationale zivilgesellschaftliche Vernetzung und Finanzierung eine Verletzung staatlicher Souveränität bedeutet dies: Erstens sind zivilgesellschaftliche Aktivitäten, auch in transnationaler Form, selbst durch menschenrechtliche Normen wie die Organisations-, Versammlungs- und Ausdrucksfreiheit geschützt. Beinahe alle Staaten, auch Russland und Ägypten, haben sich Kraft ihrer Souveränität rechtlichen Normen unterworfen, die die Handlungsfreiheit der Zivilgesellschaft schützen.

Zweitens bedürfen menschenrechtliche Normen unabhängiger Akteure, die ihre Umsetzung überwachen. Es ist absurd, dass sich Staaten zum Respekt der Menschenrechte verpflichtet haben, der transnationalen Zivilgesellschaft aber verwehren, auf deren Einhaltung zu dringen. So hat die UN-Generalversammlung 2006 in Resolution 60/251 klar geäußert, „dass den nichtstaatlichen Organisationen auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene eine wichtige Rolle bei der Förderung und dem Schutz der Menschenrechte zukommt“. Ähnliches gilt auch für zivilgesellschaftliche Akteur/innen in anderen Bereichen. Erst Anfang Juli hat UN-Menschenrechtsrat eine Resolution zur Förderung und zum Schutz der Zivilgesellschaft verabschiedet (A/HRC/32/L.29).

Schließlich gilt das Gebot der Nichteinmischung nur für Staaten. Der Vorwurf der Verletzung staatlicher Souveränität unterstellt, transnationale zivilgesellschaftliche Akteur/innen handelten als verlängerter Arm fremder Staaten. Zwar hat insbesondere die US-Regierung durch Programme wie USAID und das National Endowment for Democracy zivilgesellschaftliche Gruppen und Parteien stark unterstützt, die eine Rolle während der sogenannten Farbrevolutionen in Georgien 2003, der Ukraine 2004 und der ukrainischen Maidanbewegung 2013/14 gespielt haben. Diese politisch sicherlich diskussionswürdige Vereinnahmung einiger zivilgesellschaftlicher Akteur/innen darf jedoch nicht dazu führen, die Authentizität der gleichzeitig stattgefundenen sozialen Kämpfe um politische und soziale Teilhabe zu verkennen. Ein großer Teil der transnationalen Förderung der Zivilgesellschaft kommt von unabhängigen Geldgebern und viele Organisationen, die staatliche Mittel erhalten, tun alles, um ihre Unabhängigkeit zu wahren – dennoch richtet sich die beschriebene Repression unterschiedslos auch gegen unabhängige und Graswurzelbewegungen.

Die Antwort auf Repression lautet Solidarität

Abseits davon ist auch der Vorwurf mangelnder demokratischer Legitimation transnationaler zivilgesellschaftlicher Aktivitäten nicht überzeugend. Es stimmt zwar, dass die Zivilgesellschaft mit keinem demokratischen Mandat durch Wahlen ausgestattet ist. Doch autoritäre Regime können dies schwerlich als Argument verwenden, um die Aktivitäten von NGOs als illegitim zu brandmarken. Und auch in Staaten, deren Regierung demokratisch legitimiert ist, hat die Zivilgesellschaft eine wichtige Rolle darin, für die Berücksichtigung der Interessen derjenigen einzutreten, die von der demokratischen Willensbildung ausgeschlossenen sind oder kaum öffentliches Gehör finden. Weiterhin bilden zivilgesellschaftliche Akteur/innen häufig ein wichtiges Gegengewicht zu anderen Akteur/innen ohne demokratisches Mandat, wie internationalen Wirtschaftsverbänden, klientelistischen Strukturen oder der Staatsmacht. Zudem kann auch eine transnational vernetzte Zivilgesellschaft nur dann Einfluss ausüben, wenn ihre Analysen überzeugen sowie ihre Arbeit integer ist und gesellschaftliche Resonanz findet.

Insofern gilt es, die beschriebenen Entwicklungen in Ägypten und Russland, aber auch in anderen demokratischen und autoritären Staaten, als das zu bezeichnen, was sie sind: Der Versuch, unliebsame Kritik zum Schweigen zu bringen. Die Antwort darauf darf nicht sein, die Zusammenarbeit einzustellen. Vielmehr brauchen die Aktivist/innen auch in Ländern wie Indien und Türkei jede solidarische Unterstützung, um der Repression widerstehen zu können.

Dieser Artikel ist ein Beitrag aus unserem Dossier: "Es wird eng – Handlungsspielräume für Zivilgesellschaft".