„Wir sollten jeden Tag auf die Straße gehen!“

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Podiumsdiskussion am 27. Oktober 2016 in der Heinrich-Böll-Stiftung

Die Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft werden kleiner, Nichtregierungsorganisationen und Aktivist/innen auf der ganzen Welt geraten zunehmend unter Druck. Woran liegt das? Und vor allem: Was können wir tun? Darüber diskutierte ein international besetztes Podium in der Heinrich-Böll-Stiftung.

Einschüchterungsversuche. Unterdrückung. Gesetzesverschärfungen. Physische Gewalt bis hin zu Lebensgefahr: Die Bedrohungen, denen sich zivilgesellschaftliche Akteure täglich aussetzen, haben viele Gesichter. Und: Sie werden schlimmer. Immer massiver gehen Regierungen gegen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) vor, gegen Bürgerrechtler/innen oder Menschenrechtsaktivist/innen, beobachtet Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Das Stichwort lautet „shrinking spaces“: Die Handlungsräume der Zivilgesellschaft werden immer kleiner und sind vielerorts im Begriff, sich ganz zu schließen. Mehr denn je, so Unmüßig, wehrten Menschen überall auf der Welt sich gegen politische Willkür. Das gelte längst nicht mehr nur für ferne Länder mit autokratischem Regime, sondern zeige sich mitten in Europa, beispielsweise in Ungarn und Polen.

Die „shrinking spaces“ sind ein Phänomen, das uns in Deutschland dennoch ganz weit weg erscheint – und deshalb umso mehr unsere Solidarität fordert. Wer könnte darüber besser berichten als Menschen, die täglich mit Repressionen kämpfen oder sie in ihrer Arbeit vor Ort beobachten? Mit Barbara Unmüßig auf dem Podium saßen deshalb drei internationale Gäste: Chak Sopheap aus Kambodscha sieht sich als geschäftsführende Direktorin des Cambodian Center for Human Rights immer stärkeren Unterdrückungsversuchen der kambodschanischen Regierung ausgesetzt. Der Kenianer Eric Gitari kämpft im Namen der – von der kenianischen Regierung nicht offiziell anerkannten – National Gay and Lesbian Human Rights Commission für die Rechte von LGBTI-Menschen. Und Maina Kiai, ebenfalls aus Kenia, ist als Sonderberichterstatter der UNO für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit tätig und seit vielen Jahren aufmerksamer Beobachter schwindender Handlungsspielräume der Zivilgesellschaft. Neben den internationalen Gästen war auch Dr. Friedrich Kitschelt, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, eingeladen. Das Ministerium sieht zivilgesellschaftliche Akteure als wichtigen Partner in der Entwicklungszusammenarbeit.

Immer mehr Repressionen im Namen des Anti-Terror-Kampfes

Besorgniserregend erscheint die Lage besonders in Kambodscha. Chak Sopheap berichtete, dass die kambodschanische Zivilgesellschaft in den letzten Monaten quasi einen Zusammenbruch erlebt habe. Vor allem das Versammlungsrecht werde immer weiter ausgehöhlt, zunehmend gerieten auch Gewerkschaften unter Druck, die von dem 2015 verabschiedeten NGO-Gesetz noch nicht betroffen gewesen seien. Auch im Netz, einer der letzten freien Räume zivilgesellschaftlich Engagierter in Kambodscha, werde zunehmend durchgegriffen: „Die Regierung lernt schnell. Sie verfolgt verstärkt Nutzer, die sich kritisch äußern“, so Chak Sopheap. Und auch die Gefahr physischer Attacken ist real: Erst im Juli wurde der prominente Regierungskritiker Kem Ley ermordet.

Ein Phänomen konnten alle drei internationalen Gäste zur Genüge beschreiben: Im Namen des Anti-Terror-Kampfes kommt es zu immer mehr Repressionen gegenüber Nichtregierungsorganisationen. Maina Kiai schilderte, welchen Hürden sich NGOs schon bei ihrer Gründung (oder zumindest dem Versuch) beispielsweise in Kenia oder Ruanda ausgesetzt sehen. Es sei dort ein unvergleichlich langwieriger Prozess, beispielsweise eine Menschenrechtsorganisation offiziell anerkennen zu lassen. Für ein Unternehmen hingegen dauere das Prozedere höchstens sechs Stunden. Diese Absurdität ist Teil einer größeren Schieflage, wie Maina Kiai befand: Firmen würden in vielen Teilen der Welt automatisch positiv wahrgenommen, weil sie für Wohlstand und Fortschritt stünden. Zivilgesellschaftliche Akteure hingegen, seien sie nun Menschenrechtsaktivist/innen oder NGOs, gelten schnell als Feind. „Warum eigentlich? Mit welchem Recht? Haben etwa NGOs damals die Finanzkrise ausgelöst?“

Gerade das Beispiel Afrika spielt bei dieser Frage eine wichtige Rolle. Lange Zeit sei es oberste Prämisse gewesen, die Armut zu besiegen, dass die Freiheit der Menschen und die Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft eine untergeordnete Rolle gespielt habe, analysierte Maina Kiai. „Bürgerrechte? Egal, wir brauchen Entwicklung, Fortschritt, Wachstum!“ – nach diesem Motto habe das postkoloniale Afrika viel zu lange mehr schlecht als recht funktioniert. Das habe sich mit den Jahrzehnten derart verfestigt und institutionalisiert, dass auch die Gesellschaften regelrecht verlernt hätten, ihre Rechte einzufordern, sie zu verteidigen und dafür zu kämpfen. „Und der Treppenwitz ist – Afrika ist immer noch arm. Das alles hat überhaupt nichts gebracht.“

Mehr Solidarität, mehr Unterstützung, mehr Mut

Was also tun? Eine mögliche Lösung, bestechend einfach noch dazu: Für NGOs müssten schlicht dieselben Maßstäbe und Arbeitsbedingungen gelten wie für Unternehmen, schlug Maina Kiai vor. Selbe Rechte, selbe Pflichten – ein Ansatz, der auch im Publikum für spontanen Applaus sorgte. Bis zu einer so allumfassenden Vereinfachung zivilgesellschaftlichen Engagements ist es allerdings ein langer Weg.

Wie sehr die Arbeit von NGOs allein dadurch erschwert wird, dass sie gar nicht erst anerkannt werden, davon konnte Eric Gitari zur Genüge berichten. Zur Anerkennung der National Gay and Lesbian Human Rights Commission habe die Organisation schon 2013 vor dem kenianischen Verfassungsgericht geklagt – vergeblich. Ohne Anerkennung aber ist die Infrastruktur eine ganz andere, gibt es beispielsweise große Probleme, Bankkonten zu eröffnen. „Wir verbringen mehr Zeit vor Gerichten als auf der Straße“, sagte Eric Gitari, selbst Jurist. Momentan führt er drei Prozesse gleichzeitig.

Dabei sollte es anders laufen, darin waren sich die Aktivist/innen einig. Alle wünschten sich mehr Solidarität, mehr Unterstützung, mehr Mut – und positive Signale vor allem aus Deutschland. Für dessen Regierung war ebenfalls ein Vertreter gekommen: Dr. Friedrich Kitschelt, Staatssekretär im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Er betonte immer wieder, dass es seit Jahrzehnten eine klare politische Wertschätzung der Zivilgesellschaft gebe. Beispielsweise habe es mit Kambodscha erst vor eineinhalb Jahren langwierige Verhandlungen über die Lebensgrundlage für Kleinbauern gegeben, die schlussendlich in einen Eklat gemündet hätten: „Wir stellen kein Feigenblatt für eine menschenrechtsverachtende Politik dar, für eine Regierung, die nur so tut, als würde sie Nichtregierungsorganisationen in den politischen Prozess einbinden.“

Die Entwicklungspolitik der Bundesregierung

Hier kam das Gespräch an einen schwierigen Punkt. Nicht nur Barbara Unmüßig wollte wissen, wie sich die Entwicklungspolitik der Bundesregierung und ihre Zusammenarbeit mit zunehmend repressiv agierenden Regierungen wie beispielsweise in Ägypten mit dem vereinbaren ließe, was Kitschelt wiederholt hervorhob: „Nachhaltige Entwicklung geht nur mit mehr Zivilgesellschaft.“ Auch aus dem Publikum kam mehr als nur einmal die Frage: Wie geht das eigentlich zusammen? Kitschelt stellte sich der Diskussion und rang um Antworten, musste aber auch zugeben: „Wir können uns keine Zivilgesellschaft backen“.

Im Saal saßen zahlreiche internationale Teilnehmende der Global Perspectives Conference, die sich schon seit dem Vormittag mit ähnlichen Themen und Problemstellungen beschäftigt hatten. Sie hatten als Vertreter/innen von NGOs aus aller Welt nicht nur Fragen, sondern erzählten auch von ihrer eigenen Situation. Eine Teilnehmerin aus Thailand berichtete von der zunehmend aggressiven Stimmung in der thailändischen Gesellschaft nach dem Tod von König Bhumibol. Das Militär habe die Zivilgesellschaft in Thailand schon immer zu unterdrücken versucht; im jetzt aufgetretenen Machtvakuum aber habe es dafür quasi freie Bahn. Xhabir Deralla aus Mazedonien von der Organisation CIVIL sagte: „Was ich erlebe, ist kein Vergleich zu anderen, die täglich mit dem Tod bedroht werden. Aber in einem Land zu leben, dessen Regierung 26.000 Bürger/innen abhört, ist hart. Für meinen Premierminister bin ich ein Krimineller.“

Das Narrativ der Kriminalisierung zivilgesellschaftlicher Akteure blieb an diesem Abend aus dem „unzähligen Bündel“ von repressiven Maßnahmen, wie Barbara Unmüßig es eingangs formuliert hatte, eine der meistgenannten. Einig waren sich die Podiumsgäste, dass jetzt vor allem eins passieren muss: Die Zivilgesellschaft braucht wieder Stärke, die sich schließenden Handlungsspielräume müssen sich wieder öffnen können.

Politisches Handeln sei da nur einer von vielen Aspekten, sagte Maina Kiai in seinem Plädoyer: „Die Zivilgesellschaft muss sich ihrer selbst wieder bewusster werden. Wir sollten jeden Tag auf die Straße gehen – auch, wenn es gerade gar nichts Konkretes gibt, gegen das man protestieren muss. Wenn wir diesen Raum nicht nutzen, werden wir ihn verlieren.“ Und Chak Sopheap ergänzte, dass dies nicht nur die Aufgabe zivilgesellschaftlicher Akteure in Ländern sei, die zunehmend unter Druck von oben geraten. „Andere Zivilgesellschaften, zum Beispiel hier in Deutschland, können zum leuchtenden Beispiel für andere werden, indem sie sich für uns stark machen“, sagte sie. „Gewinnen können wir nur gemeinsam.“ Maina Kiai ergänzte: „Deutschland kann es noch besser machen als bisher. Um das zu sagen, sind wir heute gekommen.“

Laut bleiben, zusammenhalten, nicht aufgeben – dieses Podium sendete ein klares Signal für eine Zivilgesellschaft, die sich stärker denn je behaupten muss.

 

Video-Mitschnitt der Podiumsdiskussion "Es wird eng: Handlungsspielräume für Zivilgesellschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit" am 27. Oktober 2016

 

Es wird eng: Handlungsspielräume für Zivilgesellschaft zwischen Anspruch und Wirklichkeit - Heinrich-Böll-Stiftung

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Mit:
- Chak Sopheap​, Geschäftsführende Direktorin, Cambodian Center for Human Rights, Kambodscha
- Eric Gitari, National Gay and Lesbian Human Rights Commission, Kenia
- Maina Kiai, Sonderberichterstatter für Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Vereinte Nationen, Schweiz/Kenia
- Dr. Friedrich Kitschelt, Staatssekretär, Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Berlin

Moderation: Barbara Unmüßig, Vorstand, Heinrich-Böll-Stiftung

 

Fotos der Veranstaltung

 

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