Lektionen über Kohle und die Welt (3/6): Das Kapital der Kohle

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Minen, Kraftwerke, Infrastruktur - woher bekommt die Kohleindustrie ihre Milliarden? Was passiert mit den Geldanlagen im Falle eines Kohleausstiegs? Die Divestment-Bewegung hat erkannt, wie alles zusammenhängt - und zeigt einen Weg aus dem Geschäft mit der Kohle.

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In Münster hat die "Fossil Free"-Bewegung ihr Zuhause

Das Manuskript zum Mit- und Nachlesen der dritten Folge unserer Podcast-Reihe zu Kohleausstieg und Energiewende:

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Meine Recherche hat mich bisher an den Rand eines Tagebaus geführt, um zu sehen, woher die Kohle kommt.

René Schuster: Das Loch selbst, diese Rinne ist vier Kilometer lang, 500 Meter breit, aber sie wandert durch die Landschaft, nach Süden haben wir zehn Kilometer umgewühltes Land.

Dabei ist mir bewusst geworden, dass der Kohleabbau Jahrzehnte die Natur belastet. Sind die Bagger verschwunden, rutscht plötzlich die Erde. Ich habe mich gefragt, wer dafür bezahlt, wenn so ganze Landschaften zerstört werden. Eigentlich müssen die Konzerne dafür aufkommen und Geld zurücklegen. Aber...

Daniela Setton: Die ganze Berechnung dieser Rückstellungspraxis ist intransparent. Das wissen eigentlich nur die Bergbaubetreiber, auch die Behörden kontrollieren das aus unserer Sicht nur unzulänglich, weil sie teilweise auch nicht die Kapazitäten haben. Das heißt, die ganze Frage ‚sind die Rückstellungen in der ausreichenden Höhe kalkuliert‘ ist eine Frage, die die Öffentlichkeit nicht kontrollieren kann.

Das ist ziemlich problematisch. Zumal Deutschland Weltmeister bei der Förderung von Braunkohle ist. Die klimarelevanten und gesundheitsgefährdenden Emissionen richten auf der ganzen Welt Schaden an

Tina Löffelsend: Ausgerechnet die armen Länder sind stark betroffen, es ist regional verschieden. Die Effekte sind: Gletscher schmelzen, Wetterextreme, Fluten, mehr Dürren... Der Meeresspiegel steigt, Regionen werden unbewohnbar.

Kohle, Klima, Kosten, Kapital und Kredite. Heute nehmen wir die K-Fragen in den Blick und wie das alles zusammenhängt. Merke: Die Kohleindustrie senkt durch Steuergelder ihre Preise und zahlt nicht für die Kosten der Klimakrise und Erkrankungen. Alles klar. Aber wer macht dieses Spiel mit? Wer gibt der Kohleindustrie das notwendige Kleingeld?

Der Bau von Minen, Kraftwerken und Infrastruktur kostet ja Milliarden. Und was passiert mit diesen Geldanlagen, wenn das Kohlegeschäft nicht mehr läuft? Ich hatte ja schon in den ersten beiden Folgen erzählt, wie das Geschäft auf der Kippe steht. Die Erneuerbaren Energien werden eine ernstzunehmende Konkurrenz und immer mehr Staaten nehmen Klimaschutz ernst.

Kohlekraftwerke werden indirekt auch durch die Bundesregierung finanziert

Mit Investmentfragen und -risiken beschäftigen sich Banker/innen und Fondmanger/innen. Für diese Folge habe ich mir einen Kollegen ins Boot geholt, denn ich sitze schon im Zug nach Münster, um die beiden Aktivistinnen zu treffen. Während ich also der Sonne entgegenfahre und letzte Interviewvorbereitungen treffe, ist Robert Dobe in der Schaltzentrale der Berliner Republik angekommen.

An der Schleuse: So, das ist dann ihr Gastausweis….

Robert ist mit Steffen Brunner und Christian Bothe verabredet. Christian Bothe arbeitet für den Grünen Politiker Reinhard Bütikofer im Deutschen Bundestag. Steffen Brunner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter von Gerhard Schick, dem finanzpolitischen Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag.

Robert Dobe: Die ersten Assoziationen mit Kohle sind Abbau, dann wird das verbrannt, dann entsteht Wärme, was hat das mit dem Finanzmarkt zu tun?

Steffen Brunner: Der Finanzmarkt stellt ja die Dienstleistung zur Verfügung, dass Kapital bereitgestellt wird. Und das kann man dann in Kohlekraftwerke investiert. Und der Finanzmarkt ist insofern wichtig, um zu gucken welche Art von wirtschaftlichem Kapital entsteht in Zukunft. Und deshalb ist es wichtig darauf zu achten, wohin fließt unser Finanzkapital in welche wirtschaftlichen Sektoren.

Sagt Steffen Brunner und Christian Bothe ergänzt:

Christian Bothe: Wenn ein Kohlekraftwerk gebaut wird oder wenn eine Kohlegrube geöffnet wird und Kohle abgebaut wird, dann muss das ja erst einmal jemand finanzieren.

Und wer finanziert das? Private Banken und Anlegerinnen und indirekt auch die Bundesregierung. Etwa über Hermes-Bürgschaften. Das läuft unter dem Label „Entwicklungszusammenarbeit“. Laut einer Studie von mehreren Umweltorganisationen, unter anderem vom WWF, hat die Bundesregierung zwischen 2007 und 2015 über 8 Milliarden US-Dollar in Kohleprojekte gesteckt.

Der Hammer: Deutschland steht damit auf Platz zwei innerhalb der G7, noch vor den USA. Wie passt das zusammen? Auf der einen Seite höre ich, dass die Zukunft den sauberen Energiequellen gehört. Auf der anderen Seite höre ich, dass privates und öffentliches Kapital weiterhin in die fossile Energieinfrastruktur fließt.

Steffen Brunner: Die Anreizsysteme im Finanzmarkt sind immer noch so, dass kurzfristiges Denken dominiert und eben nicht nachhaltiges Denken, dass eher so investiert wird, dass man auf kurzer Frist einen guten Profit macht. Wir haben immer noch ein Finanzmarktsystem das hohe Risiken begünstigt.

Mit fossilen Geschäften sind langfristige Gewinne nicht mehr möglich

Man muss die K-Fragen auf der Zeitschiene betrachten. Goldman Sachs ist eine der größten und bekanntesten Investment-Banken. Die Analystinnen und Analysten von Goldman Sachs glauben, dass die große Zeit der Stein- und der Braunkohle vorbei ist. „The Decline Of The Coal Industry Is ‘Long-Term’ And ‘Irreversible’”, schrieb Goldman Sachs bereits 2013.

Industriekomplex in Münster - um die Ecke sitzt "Fossil Free"
Das ist eine recht unverblümte Warnung weiterhin Millionen und Milliarden von Euros und Dollars in Kohleprojekte zu stecken. Damit kann zwar kurzfristig Rendite gemacht werden. Eine langfristige und sichere Investition ist es aber nicht. Fortschreitende Klimaschutzpolitik und Umweltregulierung schmälern die Renditen bei fossilen Geschäften, prognostiziert Goldman Sachs.

Aufgabe der internationalen Politik ist es, den Druck auf die Anlegerinnen und Anleger noch zu erhöhen. Raus aus den Fossilen, weg von kurzfristigen Profiten. Rein in die Erneuerbaren, her mit langfristigen, nachhaltigen Renditen. Hört sich gut an: Wie kann dieses schädliche De-Investieren auf der einen Seite und nachhaltiges Investieren auf der anderen Seite konkret aussehen? Antworten erhoffe ich mir in Münster.

Folge 1/6

Fördern und Fordern
Unterwegs im Tagebau: Woher kommt die Kohle? Welche Folgen hat der Abbau für die Lausitz? Und wer haftet für die Folgeschäden? Die erste Folge unserer sechsteiligen Podcast-Reihe.

Folge 2/6

Feiner Staub, großer Schaden
Wie entsteht aus Kohle Strom? Wie sauber ist das Steinkohlekraftwerk Hamburg-Moorburg wirklich? Und was hat das mit der peruanischen Gletscherschmelze zu tun? Antworten in der zweiten Folge.

Folge 3/6

Das Kapital der Kohle
Minen, Kraftwerke, Infrastruktur - woher bekommt die Kohleindustrie ihre Milliarden? Was passiert mit den Geldanlagen im Falle eines Kohleausstiegs? Die Divestment-Bewegung zeigt einen Weg aus dem Geschäft mit der Kohle. Mehr in der dritten Folge.

Folge 4/6

Der Strukturwandel
Der Kohleausstieg steht auf der politischen Agenda: Minen müssen geschlossen, Kraftwerke abgeschaltet werden. Welche Aspekte muss die Politik dabei beachten? Wie können neue Arbeitsplätze mit vergleichbaren Standards geschaffen werden? Antworten in der vierten Folge.

Folge 5/6

Die Energiewende
Wie schaffen wir Energiesicherheit ohne Kohle? Der Strommarkt muss sich radikal verändern, damit die Energieversorgung unabhängiger, dezentraler und regionaler wird. Die fünfte Folge.

Folge 6/6

Die Sektorenkopplung
Für eine komplette Energiewende darf der Strom aus erneuerbaren Energien nicht nur für die Steckdose reichen, sondern muss den Energiebedarf des gesamten Verkehrs und der Wärme decken. Wie kann das klappen? Die Antwort in der letzten Folge.

Münster ist kein Finanzzentrum. Statt verglaster Wolkenkratzer ein ehrwürdiger Dom, statt Maßanzügen und Luxuskarossen Fahrräder und Funktionsbekleidung. 300.000 Einwohner, viel Backstein, hübsch eben. Spießig ist Münster aber nicht. An den Laternenpfosten und Hauswänden Sticker und Schablonengraffitis, viele davon politisch. Und dazwischen entdecke ich einen auf dem steht: Fossil free - Frei von fossilen Brennstoffen.

Tine Langkamp: Ich bin Tine Langkamp, 32 Jahre. Ich arbeite seit drei Jahren für 350.org als Koordinatorin der Fossil Free Kampagne.

Die Fossil-Free-Kampagne bzw. 350.org wurde 2007 von Bill McKibben gegründet. Der Name 350 leitet sich aus einer Studie des Klimaforschers James Hanson ab. Dort steht, dass die Kohlenstoffdioxidkonzentration 350 Teile pro Million nicht übersteigen darf, wollen wir das 2-Grad-Ziel erreichen.

Was ist die Divestment-Bewegung?

Die Klimaschutzorganisation hat das ehrgeizige Ziel, dass kein Geld mehr in den Finanzmarkt mit fossilen Brennstoffen gesteckt wird und mehr noch: es sollen auch alle Gelder aus dem Sektor abgezogen werden. Divestment nennen das die Experten. Es grenzt an Ironie, dass Goldmann Sachs und Fossil Free zu den gleichen Analysen kommen, wenn es um Kohle, Kredite, Kapital und Klima geht.

Das Büro von 350 befindet sich in einem alten Industriekomplex in Münster. Die Silos und Rohre haben längst Rost angesetzt. Zugegeben – es hat etwas Symbolkraft, denn für 350 ist die Kohleindustrie ein Wirtschaftszweig, der selbst Rost angesetzt hat und nicht mehr zeitgemäß ist.

Bevor Tine Langkamp und ich loslegen, klingelt erst einmal ihr Telefon. Als Koordinatorin bei 350 Deutschland ist sie die Ansprechpartnerin für die lokalen Gruppen, am Wochenende steht eine Demo an, die noch besprochen werden muss. Ich nutze die kurze Wartezeit, um mich im Büro umzuschauen.

Neben einem Plakat zu "Ende Gelände" in der Lausitz hängt an der Wand ein Zeitungsausschnitt aus dem Wirtschaftsteil der Zeit. In dem Artikel  "Holt das Geld da raus" ist ein Bild zu sehen auf dem ein Demonstrant ein Schild in die Kamera hält: "Divest" steht drauf. Tine Langkamp setzt sich wieder zu mir und erklärt.

Tine Langkamp: Divestment ist das Gegenteil von Investment. Also der Abzug von Geldern aus Finanzanlagen, Aktien, Anleihen, Mischfonds.

Tine Langkamp kam 2012 in den USA mit der Divestment-Bewegung in Kontakt.

Tine Langkamp: Das hat mich super fasziniert und das ist super praktisch, also einmal ist sie dezentral anwendbar, immer da wo ich lebe, kann ich aktiv sein. Zweitens richtet es sich nicht nur gegen einen Konzern wie RWE, sondern gegen eine ganze Industrie die verantwortlich ist für den Klimawandel. Das hat mich total gepackt.

Zurück in Deutschland hat sie sich damit befasst, wie man Divestment nach Deutschland bringen kann. 2013 schließlich entschied sich die Organisation 350, das Konzept nach Europa zu bringen und warb dafür mit einem YouTube-Video.

Die Kohlenstoffblase - eine besondere Form der Finanzblase

Zur Erinnerung: Das Ziel des Paris Klimaabkommens ist es, die Erderhitzung auf unter zwei Grad zu beschränken. Um das zu schaffen, dürfen bis 2050 nur noch knapp 600 Milliarden Tonnen CO2 emittiert werden. Das ist unser Kohlenstoffbudget.

Tine Langkamp: Wir werden innerhalb von weniger als zwei Jahren unser Kohlenstoffbudget aufgebraucht haben und dann werden wir eine Erderwärmung von 1,5 Grad haben und für das Überleben von manchen Inselnationen ist das katastrophal. Das ist für Extremwetterereignisse katastrophal, das ist für die Landwirtschaft katastrophal, dass ist für Fluchtursachen oder den Klimawandel katastrophal und wir haben nur noch so wenig Zeit.

Das Kohlenstoffbudget spiegelt nicht die in der Erde vorhandenen fossilen Reserven wieder. Die sind viel höher. Experten gehen davon aus, dass im Boden noch etwa 2.795 Gigatonnen CO2 gespeichert sind, in Form von Öl, Gas und Kohle. Das hat Brunner meinem Kollegen in Berlin erklärt.

Steffen Brunner: Wenn man sagt: Wir machen eine stringente Klimapolitik. Das Zeug muss im Boden bleiben. Das könnt ihr nicht mehr verwerten. Eure Investitionen sind wertlos und das wäre dann das Platzen der Kohlenstoffblase am Finanzmarkt. Wenn es dann viele Banken und Versicherungen und große institutionelle Investoren gibt, die darin investiert haben und deren Anlagen über Nacht an Wert verlieren, dann könnte das auch die Stabilität des Finanzsystems gefährden.

In der Finanzwelt und in Aktivist/innenkreisen spricht man von „Stranded Assets“, zu deutsch „gestrandete Investitionen“. McKinsey und der Carbon Trust berechneten, dass eine Umsetzung der Klimaziele von Paris den Börsenwert von fossilen Energiekonzernen um bis zu 30 bis 40 Prozent reduzieren könnte. Hier müssen Konzerne und Anleger gegensteuern. Um eine besondere Form der Finanzblase zu verhindern, die Kohlenstoffblase. Wikipedia über Spekulationsblasen.

Wikipedia: Als Spekulationsblase oder Finanzblase wird eine Marktsituation bezeichnet, in der die Preise eines oder mehrerer Handelsgüter oder Vermögensgegenstände bei hohen Umsätzen über ihrem inneren Wert liegen.

Christian Bothe: Wir wollen nicht, dass diese Blase platzt und dass dann auf einmal alle Anleger, wo ja auch Großanleger dabei sind – institutionelle Anleger wie Krankenkassen, Pensionskassen, Banken usw. – wir wollen nicht, dass es zu einer großen Krise kommt durch das Platzen der Blase. Sondern wir wollen ja deswegen frühzeitig darauf hinweisen, dass es für diese Unternehmen in der jetzigen Form eigentlich keine Zukunft mehr gibt.

Anlegerinnen und Anleger denken um

Deswegen müssen Tine Langkamp und ihre Mitstreiterinnen und Mitstreiter die Unternehmen nicht direkt angehen. Es reicht jene zu sensibilisieren, die ihre Gelder in diese Unternehmen investiert haben. 

Tine Langkamp: Das ist sicherlich ein Aspekt, der diese Bewegung auch stärkt, weil dadurch ganz andere Akteure mit ins Boot geholt werden. Auf einmal können auch Investoren und Finanzmarktakteure mit in unserer Bewegung aktiv werden.

Mittlerweile denken Anlegerinnen und Anleger um. 2016 verabschiedete sich der Versicherer Allianz von fossilen Energieträgern, also so halb. Denn die Hermes-Bürgschaften wickelt die Allianz trotzdem im Auftrag der Bundesregierung ab. Die Rockefellerstiftung, deren Vermögen wesentlich auf fossilen Energieträgern beruht, bekannte sich schon 2014 zum Ausstieg aus dem Öl- und Kohlegeschäft. Ein Erfolg für die Divestmentbewegung. Trotz Divestment-Kampagnen wird den Unternehmen so schnell nicht die Kohle ausgehen.

Tine Langkamp: Das geht nicht, weil diese Industrie so wahnsinnig reich ist (lacht). Und das hat auch die Oxford University untersucht und gezeigt, dass die Divestment-Kampagnen auf einer gesellschaftlich moralischen Ebene funktionieren und nicht so sehr auf einer finanziellen Ebene. Und dass die Kampagnen es schaffen, eine neue gesellschaftliche Stimmung zu kreieren und tatsächlich die soziale Akzeptanz für ein Geschäftsmodell zu entziehen.

Im Büro von Fossil Free Deutschland
Die Divestment-Bewegung kratzt am sauberen Image der Unternehmen und lenkt den Blick der Investorinnen und Investoren auf ihren eigenen Geldbeutel.

Tine Langkamp: Man kann nicht jetzt in ein Kohlekraftwerk investieren, weil man weiß, dass das nicht 50 Jahre laufen wird. Das wäre eine reine Fehlinvestition. Und wenn Leute sagen, aber, aber wir können ja nicht sofort aussteigen. Das ist überhaupt nicht unsere Forderung. Aber unsere Forderung ist, dass fast alle Öl und Gasreserven im Boden bleiben und deswegen müssen jetzt – wie man im Englischen sagt "all hands in deck" – alle mitarbeiten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir schaffen müssen, weil es sonst auch bitter aussehen kann für die nachfolgenden Generationen.

In Deutschland engagieren sich 26 Gruppen dafür, dass Universitäten und Städte ihre Anlagen aus dem fossilen Sektor abziehen. 2016 hat sich beispielsweise Berlin entschlossen, die Pensionsrücklagen seiner Beamten aus fossilen Energien abzuziehen. 800 Millionen Euro werden nun nach ökologisch-ethischen Kriterien umgeschichtet.

Münster ist Vorreiter beim Divestment

Berlin ist damit das erste Bundesland, dass sich zum Deinvestieren entschieden hat. Vorreiter beim Divestment ist Münster. Als erste Stadt in Deutschland haben die Verantwortlichen ihre Investitionen komplett aus fossilen Energieträgern zurückgezogen. Ein großer Erfolg für die Fossil Free Bewegung in Deutschland. Leandra Praetzel ist maßgeblich beteiligt an diesem Erfolg. Seit 2013 ist die 27-jährige in der Bewegung aktiv.

Divestment heißt auch, Leute überzeugen und Unterschriften sammeln. Divestment, Investment, Kohle - keine Schlagwörter, um Leute in der Fußgängerzone vom Hocker zu hauen.

Leandra Pratzel: Klar man kann, ein beliebter Satz den man sagen kann ist: "Wussten Sie eigentlich, dass wenn wir den katastrophalen Klimawandel aufhalten wollen, dass dann 80% der bekannten Kohle, Öl und Gasreserven unter der Erde bleiben müssen und nicht gefördert werden dürfen?" Und dann heißt es erst einmal, "aha, ja wirklich, und warum?" Und dann kann man erklären, dass diese Unternehmen, die Kohle Öl und Gas fördern, davon profitieren und das öffentliche Institutionen indirekt unterstützen und dass die das nicht machen sollten mit ihrem öffentlichen Auftrag und so kann man das mit ein bisschen Übung eigentlich ganz gut runterbrechen.

Jährlich geben die Energieunternehmen Milliarden aus, um neue Vorräte zu finden. Dazu nutzen sie unter anderem das Geld, das sie an der Börse verdienen. Investor/innen tragen insofern eine Mitschuld an der Klimakrise. In Münster wurden sich die Akteure und Akteurinnen ihrer Verantwortung schnell bewusst. Gerade einmal ein Jahr verging, bis sich die Stadt Münster zum Deinvestieren entschlossen hat. Davor war viel Überzeugungsarbeit notwendig, erinnert sich Praetzel.

Leandra Praetzel: Ja, erstes Argument ist immer, nee solche Geldanlagen haben wir nicht, und das zweite Argument ist, ja das ist so wenig, das lohnt sich nicht, oder aber es ist zu teuer oder zu riskant, das umzuschichten. Das sind so die Argumente, die einem da in der ersten Zeit entgegenkommen und das ist natürlich schwierig, die da auszuräumen.

Münster hat zwei Fondsbeteiligungen mit rund 60 Millionen Euro - das ist nicht viel und sicher nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Rechnet man aber alle Fonds zusammen, sieht die Lage anders aus. Gerhard Joksch ist Bürgermeister der Stadt Münster und hat einen Artikel über Divestment für die Heinrich-Böll-Stiftung geschrieben. Dort heißt es, dass Kommunen wahrscheinlich zwischen fünf und zehn Milliarden Euro in Fonds und Aktien angelegt haben.

Investments nach ökologisch-ethischen Kriterien

Essen ist ein Beispiel dafür, dass Kommunen viel Geld durch Investitionen in Kohleunternehmen verlieren können. Die Stadt ist einer der größten Aktionäre von RWE und besitzt über 18 Millionen Aktien. Der Börsenwert von RWE ist aber in den letzten fünf Jahren um knapp 60 Prozent gefallen. Die schwächelnde Aktie bescherte der Stadt einen Verlust von etwa einer Milliarde Euro.

Aber so wie es aussieht, bleibt Essen RWE erst einmal treu und wird nicht deinvestieren. Schließlich ist die Stadt gerade erst frisch zur „Grünen Hauptstadt Europas“ gekürt worden.

Leandra Preatzel: Es ist total schwierig, weil es total entmutigend ist, weil man immer wieder zurückgeworfen wird und denkt, wir machen im ganz Kleinen und im Großen sieht es immer noch anders aus. Aber ich versuche mir dann immer zu sagen, dass man auch im Kleinen anfangen muss und dass man nicht direkt die ganz großen Fische angeln kann, sondern, dass wir vor Ort halt das machen, was wir können und in unserem Kreis, Umkreis, das machen, was wir leisten können.

Tine Langkamp: Was schön ist, auf der kleineren, auf der kommunalen Ebene, da hat es super geklappt, dass Münster eine Vorlage gemacht hat. Münster war ja die erste Divestment-Entscheidung in Deutschland und die haben sich dann direkt für eine Reihe von ethisch-ökologischen Anlagekriterien entschieden und haben gleichzeitig Atomenergie ausgeschlossen und Waffen und Kinderarbeit und das ist etwas, was auch andere Kommunen aufgenommen haben, also Stuttgart, Berlin, und teilweise weitergeführt haben. Und ich denke, dass wir da in Deutschland auch insgesamt über ökologisch-ethische Investments sprechen und nicht nur über fossile Brennstoffe und das ist ziemlich cool.

Ich weiß, dass diese ganzen guten Ideen und Forderungen nicht sofort die Welt umweltfreundlicher machen werden. Es wird noch lange Investor/innen und Anleger/innen geben, denen es egal ist, was mit der Kohle passiert: Waffengeschäfte? Kinderarbeit? Umweltzerstörung? Hauptsache Rendite! Der grüne Finanzmarkt ist alles andere als ausgereift. Gleichwohl: es sind erste Schritte in eine Welt ohne fossile Energieträger.

In der nächsten Folge bin ich in der Lausitz, um zu erfahren, wie sich der Widerstand gegen die Kohle organisiert hat und was es bringt, zu demonstrieren. Und ich werde erzählen, wie eine Welt ohne Kohle aussehen kann, auch dort, wo jetzt noch die Bagger stehen. Just Transition, der gerechte Ausstieg, beschäftigt mich in der letzten Folge.

Das war der erste von sechs Teilen einer Podcast-Reihe zum Ausstieg aus der Kohle. Sie können alle Episoden abonnieren, oder bei Soundcloud, Deezer und Spotify hören. Mehr zum Thema finden Sie in unserem Kohleatlas.

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Ein Böll.Spezial von Jan Schilling.
Ton und Technik: Jan Schilling
Redaktion: Stefanie Groll