Sie wollte nicht leise sein

Die Juristin Agnieszka Grzelak bekam nach dem Regierungswechsel in Polen Drohnachrichten. Man wollte nicht, dass sie kritisch gegen die PiS ermittelt. Sie ließ sich aber nicht unterkriegen.

Agnieszka Grzelak
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Agnieszka Grzelak: „Wenn ich meine wissenschaftliche Karriere nicht gefährden wolle, solle ich etwas „leiser“ sein“

Dieses Porträt enstand im Rahmen einer Studienreise nach Warschau. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des „Medienvielfalt, anders“-Programms erzählen in ihren Geschichten von den verschiedenen Gesichtern Polens.

Agnieszka Grzelak trägt einen schwarzen Hosenanzug, ihre schwarzen Haare sind zu einem akkuraten Bob geschnitten. Sie sitzt aufrecht und erzählt, was aus ihrer Sicht erzählt werden muss. Ihr Aussehen passt zu der Art, wie sie spricht – sie drückt sich präzise aus, lächelt freundlich und es scheint, als sage sie genau das, was sie gerade denkt. Und dabei wirkt sie keinesfalls streng, sondern offen und sympathisch.

Agniezska Grzelak ist Professorin für Europäisches und Internationales Recht an der Kozminski-Universität und arbeitet im Büro des Beauftragten für Bürgerrechte in Warschau. Sie kümmert sich dort um die Unterstützung bei Verfassungsbeschwerden. Im Jahr 2016 hat das Büro über 25.000 neue Individualbeschwerden erhalten.

Bevor sie zum Büro des Beauftragten für Bürgerrechte kam, hat Agnieszka Grzelak zwölf Jahre lang im Recherche-Büro für das polnische Parlament gearbeitet, das bei der Gesetzgebung beratend tätig ist. Im Dezember 2015, nach dem Wahlsieg der ultrakonservativen PiS-Partei und dem Regierungswechsel, entschied sie sich dazu, hinzuschmeißen, da sie ihre Arbeit und die des gesamten Büros als bedroht ansah und eine unabhängige Expertise nicht mehr möglich gewesen sei, behauptet sie.

Ihre Kollegen, die zurückgeblieben sind, dürften schreiben, was sie wollen. Tatsächlich verließen allerdings nur Expertisen das Recherchebüro, die zur Linie der aktuellen Regierung passen.

Die PiS-Regierung versucht durch Reformen ihren Einfluss zu erweitern

Agnieszka Grzelak erzählt, sie, habe Drohnachrichten erhalten: „Wenn ich meine wissenschaftliche Karriere nicht gefährden wolle, solle ich etwas „leiser“ sein.“ Doch davon lässt sie sich nicht einschüchtern. Sie hat eine achtjährige Tochter, sie habe sich bewusst dafür entschieden, sie auf eine deutsche Schule zu schicken. Sie selbst hat in Belgien studiert, beim Europarat in Brüssel, in Florenz und auf dem Balkan gearbeitet.

In Deutschland war sie am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg tätig. Daher sei ihr auch die weltoffene Erziehung ihrer Tochter so wichtig: „Ich möchte, dass sie offen wird gegenüber Ausländern, dass sie Fremdsprachen lernt, dass sie eine europäische Bürgerin wird.“

Dass Agnieszka Grzelak den Verlust ihrer Unabhängigkeit fürchtete, war die Folge der Beobachtungen, die sie gemacht hatte. Denn Polens Regierungswechsel brachte einige signifikante Veränderungen, auch in der Justiz, mit sich. Die Einflussnahme der PiS-Regierung auf die Justiz verlief in mehreren Schritten. Zunächst begann die Umstrukturierung des Verfassungsgerichts in Polen. Grund dafür ist aus Agnieszka Grzelaks Sicht, dass das Verfassungsgericht der Regierung ein Dorn im Auge war, da es Gesetze für verfassungswidrig erklären könnte.

Dann wurde die Medienreform für öffentliche Medien verabschiedet. Denn diese öffentlichen Medien sollten lediglich Informationen verbreiten, die zur Meinung der stärksten Fraktion im Parlament passen. „Das ist nicht unabhängig, nicht unparteiisch, sondern schlechte journalistische Arbeit, es handelt sich um Propaganda.“, sagt Grzelak. Dann folgte die Einflussnahme auf die Staatsanwaltschaft. Die Regierung hatte im Sinn, auch dort ihren Einfluss zu stärken.

Dann folgte die Justizreform. Diese begann mit dem Gesetz zum Nationalen Justizrat und den ordentlichen Gerichten. Die Regierung begründete den Reformbedarf mit der schlechten Lage der Justiz in Polen. Aber aus Sicht von Grzelak ging es bei der Justizreform lediglich darum, einen Personalwechsel herbeizuführen.

Der Nationale Justizrat ist zuständig dafür, die Kandidaten für das Amt des Richters zu nominieren. Momentan besteht dieser Nationale Justizrat sowohl aus Politiker/innen als auch aus Richter/innen. Die Richter/innen, die im Nationalen Justizrat sitzen, werden wiederum vorgeschlagen von Richter/innen.

Das Ziel ist eine Machtkonzentration

Im neuen Gesetz sollten die Kandidat/innen nun von Politiker/innen aus dem Parlament gewählt werden. Dadurch erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit, dass nur noch politisch liebsame Kandidaten gewählt werden. Somit hätte die PiS die Macht, über die Zusammensetzung des Nationalen Justizrats zu entscheiden.

Außerdem wollte die Regierung die Richterämter der ordentlichen Gerichte neu besetzen. Alle Gerichtspräsident/innen sollten vom Justizminister ohne Angabe von Gründen entlassen werden können. Während der Ferienzeit, im Juli 2016, haben die Abgeordneten außerdem das Gesetz über den Obersten Gerichtshof präsentiert. Ziel des Gesetzes war es, alle Richter/innen zu entlassen. Der Justizminister sollte die Möglichkeit erhalten, zu entscheiden, welche/r Richter/in in seiner/ihrer Position verbleiben darf.

Grzelak sieht dies als einen erheblichen Verstoß gegen das Prinzip der Gewaltenteilung. Außerdem erhalte der Justizminister auf diese Weise eine enorme Macht. Man muss nicht Jura studiert haben, um dieser Ansicht zu sein.

Der Gegenprotest war nur in Teilen erfolgreich

Doch auch in der Bevölkerung regte sich, trotz der Ferienzeit, Protest. Menschen gingen auf die Straße, es gab große Proteste, und dies nicht nur in Warschau, sondern fast vor jedem Gericht in Polen. In kleinen Städten ist es schwieriger, auf die Straße zu gehen, denn jeder kennt jeden, in Warschau geht das viel anonymer.

Tatsächlich zeigten die Reaktionen der Bevölkerung Wirkung: Präsident Andrzej Duda weigerte sich, zwei der Gesetze zu unterschreiben. Das Gesetz für die ordentlichen Gerichte ist allerdings in Kraft getreten, mittlerweile gab es auch schon die ersten Personalwechsel.

Grzelak sieht durchaus Handlungsbedarf in der polnischen Justiz. Sie habe immer wieder Beschwerdebriefe an den Justizminister geschickt, mit Lösungsvorschlägen und Ideen. Als die Justizreform bevorstand, hat sie diese ganzen Briefe noch einmal gesammelt an das Justizministerium geschickt, um zu zeigen, dass es mögliche Lösungsansätze gibt. Aber, wie so oft, wurden diese Stellungnahmen nicht wahrgenommen.

Der Präsident hat daraufhin seine eigenen Entwürfe veröffentlicht. Der Unterschied zu den vorherigen Gesetzen: Was den obersten Gerichtshof betrifft, verlangt das Gesetz des Präsidenten nun nicht mehr, alle Richter zu entlassen, sondern nur diejenigen Richter, die älter als 65 Jahre alt sind, eingeschlossen die Gerichtspräsidentin.

Zufälligerweise ist diese Präsidentin des Obersten Gerichtshof bekannt, beliebt und regierungskritisch. Man könnte fast vermuten, dass das Motiv hinter dem Gesetz darin lag, diese Gerichtspräsidentin zu entlassen. Grzelak und ihre Kollegen gehen davon aus, dass dieses Gesetz gegen europäische Standards verstößt. Ein ähnlicher Fall aus Ungarn ging an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, dort wurde eine Verletzung der Rechte festgestellt.

Der Rechtsstaat muss verteidigt werden

Grzelak klingt ernüchtert: Polen sei der EU beigetreten, um die europäischen Werte anzunehmen, um politischen Abstand zu seinen Nachbarn im Osten zu gewinnen. „Aber ich glaube, dass das für die Regierung gerade nicht wichtig ist. Vor 2015 wussten Menschen wahrscheinlich nicht mal, was das Verfassungsgericht ist. Seitdem wird nur berichtet, was dort schiefläuft und wieso die Reformen notwendig waren.“

Für den Fall, dass Grzelaks Arbeit durch die Situation erneut in Gefahr gerät, hat sie einen Alternativplan. Sie ist als Anwältin zugelassen und würde dann, wenn sie nicht mehr im Büro des Beauftragten für Bürgerrechte arbeitet, beginnen, den Rechtsstaat anders zu verteidigen.