Mit Eifer propagiert, aus Ekel verweigert – wo Insekten nicht traditionell verzehrt werden, verbreiten sie sich als neues Nahrungsmittel für Mensch und Tier nur langsam. Dabei sind die ökologischen Vorteile enorm. ➢ Jetzt den Fleischatlas online lesen, kostenlos bestellen oder downloaden!
Insekten zu essen ist für viele Europäerinnen und Europäer noch immer eine gruselige Vorstellung. Da helfen auch ernährungswissenschaftliche und ökologische Argumente wenig, die für den Verzehr von Krabbeltieren, Raupen und Larven sprechen. Immerhin schaffen es einige wenige Sterneköche, mit Mehlwürmern und Grillen zu experimentieren.
Gelassen führen sie vor, dass solche Insekten auch bloß aus Eiweiß, Fett und Kohlenhydraten, Vitaminen und Mineralstoffen bestehen. Mit anderen Worten: Es sind die ganz normalen Nähr- und Wirkstoffe, die wir auch in unserer gewohnten Nahrung finden.
„Humans Bite Back“, Menschen beißen zurück: So lautete – in Anspielung auf die Wahrnehmung in der westlichen Welt von Insekten als eine Plage – der Titel einer von der UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO organisierten Tagung in Thailand im Jahr 2008. Zum ersten Mal wurde auf internationaler Ebene die Bedeutung der Insekten für die Ernährung, die Gesundheit, die Umwelt und die Existenzsicherung von Menschen in den ärmsten Ländern der Welt thematisiert.
Was in Europa fast als Speisetabu gilt, ist in weiten Teilen der Welt ein selbstverständliches Nahrungsmittel
Die FAO geht davon aus, dass Insekten zukünftig eine immer wichtigere Rolle in der Ernährung der Weltbevölkerung spielen werden, zumal sie das in vielen Teilen der Welt heute schon tun. In Asien, Afrika und Lateinamerika gehören Mahlzeiten mit Heuschrecken, Schaben, Ameisen & Co. zumindest in der jeweiligen „Ernte“- oder „Jagd“-Saison für einen – oft den ärmeren – Teil der Bevölkerung zum Alltag.
Mehr als 2.100 unterschiedliche Arten von Insekten und Spinnen werden derzeit weltweit konsumiert. Allerdings gibt es kaum wissenschaftliche Zahlen, welche besonders begehrt sind. Die FAO geht davon aus, dass mit mehr als 30 Prozent vor allem Käfer gegessen werden, gefolgt von Raupen, Bienen, Wespen und Ameisen.
Seit einigen Jahren ist der Genuss dieser Tiere auch in europäischen und amerikanischen Medien ein Thema, entweder mit missionarischem Eifer oder abwertender Ironie behandelt. In Europa geht es dabei weniger um die Frage, wie gut oder weniger gut sie schmecken, es werden vor allem ökologische, wirtschaftliche sowie tierethische Gründe diskutiert.
Ernährungsphysiologisch betrachtet zählt ein Großteil dieser Kaltblütler tatsächlich zu den wertvollen Nahrungsmitteln, auch wenn ihr Gehalt an Proteinen, Vitaminen und Mineralien je nach Spezies, Fütterung und Lebenszyklus – Ei, Larve, Puppe – stark variiert.
Mit Weizenkleie gefütterte Heuschrecken weisen zum Beispiel einen doppelt so hohen Proteingehalt auf wie Artgenossen, die mit Mais gefüttert werden. Termiten und Ameisen sind extrem energiereich, je nach Art zwischen 100 und 500 Kilokalorien pro 100 Gramm. Der Energiegehalt von Mehlwürmern dagegen gleicht jenem von magerem Rinderfilet, und der von Heuschrecken liegt deutlich darunter.
Auch wenn Insekten also unterschiedlich bewertet werden müssen, sind sie unzweifelhaft eine brillante Alternative zu Fleisch. Als Proteinlieferanten übertreffen sie auch pflanzliche Nahrungsmittel wie etwa Hülsenfrüchte, Getreide- und Pseudogetreide, Nüsse und Sprossen, da tierische Eiweiße dem Bedarf des menschlichen Körpers besser entsprechen.
Beim Einsatz von Insekten ist die Ökobilanz günstig
Auch ökologisch und mit Blick auf das Wohl der Tiere spricht vieles für die Insekten – im Vergleich zu der traditionellen Viehhaltung. Noch wissen wir wenig darüber, ob und wie schmerzempfindlich Insekten sind; die übliche Tötung durch Einfrieren kommt dem „natürlichen Schicksal“ der Kaltblütler, die bei geringen Temperaturen in „Winterschlaf“ fallen, aber sehr nahe.
Um sie zu züchten, könnten viele Arten auch in großen Mengen artgerechter gehalten werden als Schweine, Rinder und Geflügel. Unbestritten ist die hohe Effizienz bei der Verwertung von Futter: Während Rinder rund acht Kilogramm benötigen, um ein Kilogramm Fleisch aufzubauen, Schweine etwa fünf Kilogramm, reichen den Insekten dafür durchschnittlich zwei Kilogramm Futter. Auch der Wasserverbrauch, der bei der traditionellen Viehzucht sehr hoch ist, fällt bei der Insektenzucht gering aus.
In Europa gibt es primär ein Interesse daran, Insekten als Futtermittel für die traditionelle Fleisch- und Fischzucht zu nutzen, um den Importbedarf an Soja zu verringern. Das ist derzeit nicht erlaubt. Als ersten Schritt für die Zulassung gab die EU im Juli 2017 grünes Licht dafür, aus Insekten gewonnene Proteine in Aquakulturen zu verfüttern.
Auch für den menschlichen Konsum gibt es in vielen europäischen Ländern Vorbehalte. Die Forschungen zu möglichen mikrobiologischen und toxikologischen Gefährdungen seien noch nicht ausreichend, heißt es. Für den menschlichen Verzehr geduldet (das Lebensmittelrecht ist hier sehr unpräzise) sind in fast allen europäischen Ländern vorerst nur Insekten in unverarbeiteter Form, also ganze Heuschrecken, Grillen und Würmer.
Vorreiter bei der schrittweisen Zulassung von verarbeiteten Insekten sind Belgien, die Niederlande und die Schweiz, wo entsprechende Produkte seit Mitte 2017 im Supermarkt zu kaufen sind. Sobald verarbeitete Insekten auch in Deutschland und Österreich zugelassen werden, versprechen sich Produzenten rasche Erfolge in dem boomenden Markt der High-Protein-Produkte und der Spezialnahrung für Sportlerinnen und Sportler.