Das Höfesterben gefällt vielen Menschen in Deutschland nicht. Um aber dagegen anzugehen, muss die Gesellschaft gemeinsame Ziele formulieren, wie die Landwirtschaft der Zukunft aussehen soll.
In Deutschland gab es im Jahr 2017 rund 270.000 Agrarbetriebe, die auf durchschnittlich rund 60 Hektar und mit insgesamt 940.000 Beschäftigten wirtschafteten. Rund jeder zweite Bauernhof wird im Nebenerwerb geführt, der Großteil des Haushaltseinkommens also außerhalb der Landwirtschaft erzielt. Die Agrarstrukturen unterscheiden sich stark. Das liegt an der jeweiligen Ausprägung der Landschaft und Natur, aber auch an den historischen, wirtschaftspolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen.
Beispiel Ostdeutschland: Dort wirtschaftet nur rund ein Zehntel der bundesdeutschen Betriebe. Sie sind im Durchschnitt sehr viel größer als in Westdeutschland: 224 im Vergleich zu 47 Hektar. Sie werden deutlich häufiger als GmbH, Genossenschaft oder Aktiengesellschaft geführt – 15 Prozent im Vergleich zu 0,7 Prozent in Westdeutschland. Besonders in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gibt es große Ackerbaubetriebe. Sie haben eher weniger Arbeitskräfte, nur 1,2 beziehungsweise 1,4 Beschäftigte pro 100 Hektar.
In Süddeutschland finden sich hingegen kleinteiligere Strukturen, hier werden weniger Tiere pro Betrieb gehalten und häufiger Sonderkulturen wie Obst und Wein angebaut. Entsprechend der Produktionsausrichtung arbeiten dort auch mehr Menschen. Im Weinbau- und Gemüseland Rheinland-Pfalz sind es 4,7 Arbeitskräfte je 100 Hektar. Eine starke Konzentration der arbeitsintensiven Schweine- und Geflügelproduktion gibt es im Nordwesten Deutschlands in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.
Die Landwirtschaft in Deutschland wandelt sich stark. Weniger Betriebe bewirtschaften zunehmend größere Flächen und Viehbestände mit deutlich höherem Kapitaleinsatz, weniger festen Arbeitskräften und mehr Lohnarbeitern und Lohnarbeiterinnen. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist die Zahl der Betriebe in Deutschland um die Hälfte zurückgegangen. Die Zahl der Arbeitskräfte sank um ein Drittel. Und die Landwirtschaft liegt mit einem Kapitaleinsatz von 536.000 Euro pro Erwerbstätigem deutlich über dem Durchschnitt der deutschen Wirtschaft mit 408.000 Euro pro Erwerbstätigem, worin sich die große Investitionsbereitschaft zur Senkung von Arbeitskosten zeigt. Während in den ostdeutschen Bundesländern große Betriebe die Regel sind, gab es 2016 in Westdeutschland bereits 47 Betriebe mit mehr als 1.000 Hektar, die meisten davon in Schleswig-Holstein und Niedersachsen.
Die Auslöser und Triebkräfte für die Entwicklung zu mehr Wachstum, Spezialisierung und Intensivierung sind vielfältig. Vielen Betrieben fehlt die gesicherte Nachfolge für den Hof. Technischer Fortschritt ermöglicht und erfordert Rationalisierung. Und es herrscht ein intensiver Preiswettbewerb, bei dem die Verlierer am Ende aufgeben. Zwar wird diese Entwicklung von vielen Menschen als Problem erkannt. Doch eine Politik, die diese Trends stoppt oder begrenzt, gibt es bisher nicht. Der Grund: Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der EU hält noch immer an einem Fördermodell fest, das vorrangig Prämien auf Flächen gewährt, die an wenige Bedingungen geknüpft sind.In der gegenwärtigen Förderperiode (2014–2020) stehen Deutschland jährlich rund 6,1 Milliarden Euro aus dem GAP-Budget zur Verfügung. Ein kleiner Teil davon, 1,3 Milliarden, fließt neben der Landwirtschaft auch anderen Akteuren zu, um Wirtschaft und Umwelt im ländlichen Raum zu fördern. Der Großteil aber, rund 4,8 Milliarden Euro, wird direkt an landwirtschaftliche Betriebe und weitgehend proportional zur bewirtschafteten Fläche ausgezahlt. Die Beträge liegen bei rund 280 Euro pro Hektar und Jahr.
Aufgrund ihrer großen Agrarflächen fließen mit Abstand die meisten Gelder in die Bundesländer Bayern und Niedersachsen – 976 beziehungsweise 775 Millionen Euro jährlich. Die fünf ostdeutschen Bundesländer hingegen erhalten zusammen rund 1,5 Milliarden Euro. Bei der Zahlung an einzelne Betriebe entscheidet vor allem ihre Größe: Im Jahr 2016 erhielten daher rund 1 Prozent aller Betriebe rund 20 Prozent der Direktzahlungen.
Wissenschaft und Zivilgesellschaft in Deutschland kritisieren stark, dass bei der Vergabe dieser Mittel nicht geprüft wird, welche Betriebe sie wirklich nötig haben, und dass sie nicht an gesellschaftliche Leistungen gebunden sind. Dennoch verzichtet die Bundesregierung derzeit darauf, ihren Spielraum zu nutzen und zu handeln. Sie könnte bis zu 15 Prozent der Direktzahlungen umwidmen, um damit umwelt- und klimabezogene Leistungen landwirtschaftlicher Betriebe zu honorieren. Sie tut dies aber nur mit 4,5 Prozent der Mittel.
Darüber hinaus könnte sie jährlich bis zu 30 Prozent der nationalen Direktzahlungen kleineren Betrieben zukommen lassen. Aus diesem Topf aber nimmt sie lediglich 7 Prozent. Deutschland könnte seine Landwirtschaft also bereits heute neu ausrichten, zumindest teilweise. Eine solche Umkehr scheitert nicht an den Möglichkeiten, die GAP sinnvoll umzusetzen: Sie scheitert an mangelndem politischen Willen, fehlenden Zielvorstellungen und der erfolgreichen Lobbyarbeit derjenigen, die von den Zahlungen profitieren.
Die aktuellen Vorschläge der EU-Kommission für die GAP nach 2020 würden ermöglichen, die Flächenprämien auf einen Maximalbetrag pro Betrieb festzulegen – damit aber gleichzeitig die Direktzahlungen weiter legitimieren und festschreiben. Um die Agrarstruktur in Deutschland nachhaltig zu gestalten, brauchen wir gesellschaftlich ausgehandelte Zielvorstellungen darüber, welche Aufgaben die Landwirtschaft hat.