Wie hängen nukleare Drohungen, nukleare Aufrüstung und gewisse Formen militanter Außenpolitik mit männlichen Rollenbildern zusammen? Die dritte Folge unserer Podcast-Reihe.

Dieser Podcast ist Teil unseres Dossiers zu feministischer Außenpolitik.
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Open external content on original siteWillkommen zu einer neuen Podcast-Reihe von „Our Voices, Our Choices!“ zu feministischer Außenpolitik.
Eine feministische Außenpolitik bietet die Möglichkeit, Außenpolitik neu zu denken. Sie stellt anstelle von staatlichen Interessen die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum und gründet sich auf einem Sicherheitsverständnis, das auf Gleichheit und Gerechtigkeit beruht statt auf Waffen und Krieg. Sie fordert, dass Frauen und andere marginalisierte Akteure an Entscheidungsprozessen beteiligt und ihre Belange politisch umgesetzt werden.
In dieser dritten Folge geht es um eine feministische Betrachtung der Atomwaffenpolitik. Wie hängen eigentlich nukleare Drohungen, nukleare Aufrüstung und gewisse Formen militanter Außenpolitik mit männlichen Rollenbildern zusammen? Inwieweit ist die Unterstützung für Atomwaffen geschlechtsspezifisch und dient dem Machterhalt von einigen wenigen? Welche Alternativen gibt es?
Diesen Fragen möchte ich in dieser Folge nachgehen! Mein Name ist Mandy Schielke und ich freu mich, dass sie dabei sind!
Soziale Kategorien lähmen den Diskurs
Als der nordkoreanische Vorsitzende Kim Jong-un Anfang 2018 drohte, auf seinem Schreibtisch stünde immer ein Atomwaffenknopf, twitterte US Präsident Donald Trump erbost: „Mein Knopf ist größer und mächtiger und er funktioniert!“ Was als unfreiwillige Parodie männlichen Dominanzgebarens begann, steigerte sich bald in eine handfeste geopolitische Krise, an deren Spitze Trump drohte, Nordkorea „vollständig zu zerstören“. Ein Paradebeispiel für die unheilvolle Verquickung von militanter Gewalt und der Idee von Männlichkeit, sagt Ray Acheson. Sie kommt aus Kanada, lebt in New York und engagiert sich als Verteidigungs- und Abrüstungsexpertin bei der Women‘s International League for Peace and Freedom. Sie ist außerdem im Vorstand von ICAN International, einer Partnerorganisation der Heinrich-Böll-Stiftung, die sich für die Abschaffung von Atomwaffen einsetzt und 2017 den Friedensnobelpreis bekommen hat.
Wichtig ist Ray Acheson, dass man bei unserem Thema zunächst einmal versteht, wie eigentlich Sprache, wie Begrifflichkeiten den Weg in einem Diskurs weisen. Was ist männlich, was ist weiblich? Das habe nichts mit dem Geschlecht zu tun, das seien soziale Kategorien, Konventionen, die die Rollenbilder formen, Verhaltensweisen und Eigenschaften zuordnen. Männlichkeit werde traditionell mit Macht gleichgesetzt, Weiblichkeit mit Schwäche. Das lähme den Diskurs.
„Und diese Normen - was ist männlich, was gilt als weiblich - schaden uns allen. Ich finde es super, dass wir über feministische Außenpolitik sprechen. Aber uns muss klar sein, dass das Patriarchat immer noch ein dominantes und sehr machtvolles Konzept in unserer Gesellschaft ist. Ich freue mich darüber, dass es neuerdings vehementer in Frage gestellt wird. Feminismus, die Begrifflichkeit kommt mehr und mehr im Mainstream an und das hat auch viel mit der MeToo-Bewegung zu tun.“
Ray Acheson setzt sich seit Jahren für die Abschaffung von Atomwaffen ein. Auch für den Nuclear Weapon Ban Treaty, einen Vertrag, der im vergangenen Jahr in der UNO in New York verabschiedet wurde, hat sie sich eingesetzt.
„Aus meiner Sicht sind Atomwaffen Werkzeuge des Patriarchats. Atomwaffen erlauben es manchen Staaten zu kontrollieren, die internationalen Beziehungen zu bestimmen, zu verändern und zu beherrschen und zwar in dem sie mit der totalen Zerstörung drohen, der Auslöschung der Menschheit und des gesamten Planeten. Die Theorie der nuklearen Abschreckung ist ein Konzept, das ich für sehr abstrakt halte und vehement kritisiere. Diese Theorie besagt, dass Atomwaffen so gefährlich sind, dass sie niemals benutzt werden. Und daraus schlussfolgern die Anhänger der Idee, dass Atomwaffen uns tatsächlich beschützen und mehr noch: Stabilität bewahren, die Ordnung in der Welt bewahren können. Aber das ist gefährlich und verkennt so eklatant die Wahrheit, die alle kennen, die schon mal mit Atomwaffen in Berührung gekommen sind, die beispielsweise Atomtests erlebt haben. Und noch mehr: Von dieser Gefahr sind wir letztendlich alle betroffen!“
Jeder Gedanke an Abrüstung gilt als die schwache Entscheidung
Abrüstung wird als unrealistische, weibliche Mission begriffen. Das erfahre sie fast täglich in ihrer Arbeit als Abrüstungsaktivistin, sagt Ray Acheson. Mit dieser Zuschreibung nehme man der Kritik jede Rechtfertigung, mache sie sogar lächerlich. Eine Strategie, um an einer konventionellen Ordnung und politischen Machtstrukturen festzuhalten: Nukleare Waffen - etwas Rationales. Abrüstung als irrational und ein Zeichen der Schwäche - einfach zu durchschauen doch unheimlich wirkmächtig. Ein konservatives Verständnis, das dringend überholt werden muss
„Das ist auch Teil der Beschützer-Idee, der Vorstellung, dass Männer Waffen benötigen um Frauen zu beschützen - und wir sehen dies bei allen Rüstungs- und Bewaffnungs-Debatten, auch wenn es um Nuklearwaffen geht. Männer müssen Frauen mit Waffen beschützen, auch so ein männliches Rollenmuster, das auf der internationalen Bühne immer wieder auf den Tisch kommt. Und in diesem Konstrukt gilt jeder Gedanke an Abrüstung als die schwache Entscheidung! Und ja es ist wirklich nett, dass über patriarchale Strukturen und Feminismus jetzt wirklich offener gesprochen wird. Aber ich muss sagen, in der Abrüstungswelt schauen mich die Beteiligten immer noch so an, als sei ich verrückt.“
Und doch trifft Ray Acheson in ihrer Arbeit immer häufiger auch auf Diplomaten, die das alte Spiel, wie sie selbst, in Frage stellen.
Omid Nouripour ist außenpolitischer Sprecher der Grünen im Deutschen Bundestag und beobachtet auch dort, dass die Debatten mehrheitlich in den von Ray Acheson gezeichneten Linien verlaufen. Feminismus bedeute für ihn Gleichberechtigung.
„Wenn es ein Thema gibt, das gleiche Augenhöhe und Gleichberechtigung schafft, dann ist es Feminismus und wenn es ein Thema gibt, das sich damit ausschließt, dann ist es das Thema Atomwaffen: Atomwaffen sind eigentlich nur aus zwei Gründen da: Abschreckung. Abschreckung ist kein Dialog, Abschreckung ist Angst und Schrecken. Das zweite ist Vernichtung. Nichts davon hat irgendwie mit Demokratie zu tun. Nichts davon hat mit Ausgleich zu tun.“
Feminismus fordert dominante Sichtweisen und Strukturen heraus
Unsere Podcast-Serie beschäftigt sich mit feministischer Außenpolitik. In unserer Folge geht es um die feministische Kritik an Atomwaffen und dem Militarismus allgemein.
Ray Acheson, was interessiert Sie an der feministischen Perspektive von Außenpolitik?
„Mich hat das interessiert, weil der Feminismus dominante Sichtweisen und Strukturen herausfordert, die unsere Welt bestimmen. Feminismus war für mich schon in ganz jungen Jahren wichtig. Weil er in Frage stellt, dass Männer und Frauen unterschiedliche Möglichkeiten haben oder unterschiedliche Fähigkeiten haben sollen. Ich habe immer an die Gleichheit der beiden Gruppen geglaubt. Und natürlich gibt es Menschen, die sich keiner dieser Gruppen zuordnen lassen wollen. Der Feminismus hat dabei geholfen, das zu erkennen und hilft dabei die Perspektive ganz unterschiedlicher Menschen zu integrieren. Die Idee eines intersektionalen Feminismus gefällt mir dabei besonders gut, um Machtstrukturen herauszufordern, in Frage zu stellen – Dieser Feminismus bedenkt die Unterschiedlichkeit über Geschlechtergrenzen hinaus, thematisiert unterschiedliche Zugehörigkeiten, sozial, ethnisch, thematisiert Gendernormen. Nur so kann man doch die Welt wirklich verstehen, verstehen wie Machtstrukturen wirken und organisiert sind - um dann Alternativen anzubieten. Narrative, Konzepte, die für alle Menschen funktionieren und nicht nur für eine Gruppe.“
Was hat Sie ganz persönlich dazu bewogen, sich gerade in diesem Feld zu engagieren? Gibt es da Schlüsselerfahrungen, Anekdoten, die Sie uns erzählen wollen?
„Mit dem Thema Atomwaffen und nukleare Abrüstung bin ich in Kontakt gekommen durch ein Praktikum, das ich zu Beginn meines Studiums gemacht habe. Da war eine Frau, ihr Name war Randy Forsberg. Sie gehörte zu den führenden Köpfen der so genannten Nuclear-Freeze Bewegung in den 1980er Jahren. Sie hat so sehr dabei geholfen, Menschen von überall her in den USA zu mobilisieren und das Ende der atomaren Abrüstung zu fordern. Damals ein Appell gleichermaßen an die USA und die Sowjetunion. Ihr ultimatives Ziel war die Abschaffung von Atomwaffen, Frieden statt Krieg. Für mich hat sie das so eindrücklich zusammengebracht. Sie hat mich inspiriert. Eine der größten Demonstrationen in den USA war 1982 als Millionen Menschen im New Yorker Central Park für Abrüstung demonstriert haben. Von Randy Forsberg habe ich viel darüber gelernt, wie man Protest organisiert. Und ich habe verstanden, dass Atomwaffen sehr viel mit sozialer Gerechtigkeit zu tun haben. Denn ihre Produktion verschwendet so unendlich viel Geld, Ressourcen, die so viele andere Probleme in der Welt lösen könnten. Und ich habe verstanden, wie nachhaltig Atomwaffen Machtpositionen von nur wenigen Regierungen in der Welt bewahren.“
Sie kämpfen vor allem für die Abschaffung, das Verbot von Atomwaffen. Als der nordkoreanische Vorsitzende Kim Jong-un Anfang 2018 drohte, auf seinem Schreibtisch stünde immer ein Atomwaffenknopf twitterte der US-Präsident: „Mein Knopf ist größer und mächtiger und er funktioniert“ Was haben Sie gedacht, als Sie diesen Satz zum ersten Mal gelesen haben?
„Ich habe mich an einen Essay von 1987 erinnert, einen Essay in dem die feministische Wissenschaftlerin Carol Cohn über den Sprachgebrauch von Politikern und Diplomaten schreibt. Phrasen, die bei strategischen Besprechungen im Kalten Krieg immer wieder verwendet wurden. Diese Sprache, die Waffen sexualisiert und die die Verwendung von Atomwaffen sexualisiert. Waffen, die penetrieren. Waffen die mit Geschlechtsteilen verglichen werden. Jetzt will man darüber lachen als wäre das ein Witz aber das war und ist real. Und dass der amerikanische Präsident solch eine Sprache verwendet, ist für mich geradezu ein Flashback. Mein zweiter Gedanke war, ich hoffe Menschen verstehen nun, worüber wir reden, wenn wir von dem Zusammenhang von Gender und Atomwaffen sprechen. Das ist ein Paradebeispiel für das, was wir meinen mit patriarchalen Machtstrukturen im Zusammenhang mit Waffen.“
Frauen kommen in der Außenpolitik in aller Regel nur als Opfer vor
Und so hat Donald Trump der feministischen Kritik an Atomwaffen vielleicht sogar einen Dienst erwiesen. Einer Kritik, der es - so Ray Acheson - darum geht, Barrieren zu beseitigen, um neue Räume für Alternativen, den Diskurs über Alternativen zu eröffnen. Und Platz für neue Narrative zu konstruieren, in denen die Sorge um die Menschen auf diesem Planeten nicht als schwach angesehen, sondern als Stärke begriffen wird. Genau das würde in ein Sicherheitskonzept münden, das sich an den menschlichen Bedürfnissen orientiert. Eine Auffassung, die Dr. Ines Kappert teilt. Sie leitet das Gunda-Werner-Institut für Feminismus und Geschlechterdemokratie der Heinrich-Böll-Stiftung und weist darauf hin, dass Frauen in nationalen und internationalen Gremien der Außen- und Sicherheitspolitik nach wie vor stark unterrepräsentiert sind.
„Wenn Frauen überhaupt vorkommen in der Außenpolitik, kommen sie in aller Regel als Opfer vor, sie werden nicht als Expertinnen zur Kenntnis genommen. Dass man Opfer und Expertin gleichzeitig sein kann, eigentlich eine Alltagserfahrung von jedem von uns, das ist schon in der Außenpolitik nicht mehr denkbar. Dass wir ein anderes Denken von Sicherheit brauchen, Sicherheit nicht als Massenmord, sondern über ein Konzept der menschlichen Sicherheit. Das ist ein wichtiger Baustein einer feministischen Außenpolitik. Das bedeutet, dass es nicht um die Staatssicherheit geht, sondern um Menschen, die in den unterschiedlichen Regionen der Welt sicher sein können.“
Bei der feministischen Perspektive in der Außenpolitik geht es viel um Rollenbilder, um Sprache aber auch um andere Gewohnheiten, Konventionen, die in der immer noch von Männern dominierten Außenpolitik seit Jahrhunderten gelten, erläutert Kristina Lunz vom Centre for Feminist Foreign Policy am Beispiel des Spannungsfeldes zwischen Diplomatie und Aktivismus.
„Ich bin davon überzeugt, dass Diplomatie und Aktivismus nicht solch konträre Begriffe sind, wie das weitläufig oft angenommen wird. Diplomatie und die Verhaltensweisen, die darin angenommen werden, welche Themen darf man ansprechen, welche sind angebracht, welche nicht, was ist undiplomatisch, das sind Kodizes, die vor vielen Jahren festgelegt wurden, was denn angebracht wäre. Und ich glaube, Aktivismus und Diplomatie muss zusammen gehören. Einer Margot Walström, der schwedischen Außenministerin, wird ständig vorgeworfen, sie würde Diplomatie mit Aktivismus verwechseln mit ihrer feministischen Außenpolitik. Das können ihr aber auch nur diejenigen vorwerfen, für die Außenpolitik und Diplomatie eben schon lange so funktioniert und die eigenen Ideen und Realitäten wiederspiegelt.“
Und Omid Nouripour ergänzt:
„Der Stellenwert der feministischen Außenpolitik ist einfach zu klein. Es ist offenkundig, dass wenn man Frieden stiften will - und das ist ja das oberste Ziel von Außenpolitik, dass man da unterschiedliche Sichtweisen zusammenbringen muss. Das passiert zu wenig. Es passiert bei der Einbindung von Akteuren zu wenig, das passiert aber auch im Amt selber zu wenig, wenn man sich anschaut, dass wirklich ein Bruchteil derjenigen, die Botschaften leiten, dass ein Bruchteil von denen Frauen sind.“
Es fehlt der Wille von oben
Und deswegen braucht man den Feminismus dringend als Wert in der Debatte.
Die Debatten, die wir im Bundestag hören, sind in der Außenpolitik sowieso eher Männer-dominiert. Fehlentwicklungen in der deutschen Rüstungspolitik haben allerdings aus Sicht von Omid Nouripour, auch nicht automatisch damit zu tun, ob Politik von Männern oder von Frauen gemacht wird. Im Auswärtigen Amt beispielsweise gebe es sehr viele Frauen in Verantwortung. Das führe nicht automatisch zu einer stärker feministischen Perspektive. Und der Politiker nennt noch ein anderes Beispiel.
„Es geht in erster Linie um die Frage von Willen und Fähigkeiten, nicht um die Geschlechterfrage. Frau von der Leyen macht mit Sicherheit keine feministische Außenpolitik. Und die Staatssekretärin, die sie mitgebracht hat, hat am Ende vieles nicht hinbekommen, weil da der Wille von oben gefehlt hat, dass sie da aufräumt im Rüstungsbereich. Und jetzt rede ich nicht mehr nur über das Verteidigungsministerium: Da geht es häufig um diese altmodischen, teilweise klischeehaften Männerfreundschaften.“
Wie sähe Rüstungspolitik denn aus feministischer Perspektive aus, habe ich den Politiker gefragt.
„Wenn ich voraussetze, dass Feminismus auch einen herrschaftsfreien Diskurs haben will, Atomwaffen passen da nicht rein. Atomwaffen sind das Ende des Diskurses.“
Und das war die dritte Folge unserer Podcast-Serie zur Feministischen Außenpolitik, in der ich mich mit einer feministischen Analyse der Atomwaffenpolitik beschäftigt habe.
Der erste Teil unserer Podcastreihe führt in das Konzept feministische Außenpolitik ein und diskutiert seine Chancen. Der zweite Teil blickt auf die feministische Außenpolitik in der Praxis und ihre Bedeutung in Konfliktlösungsprozessen. Alle Folgen finden Sie auf der Internetseite der Heinrich-Böll-Stiftung sowie bei Spotify, Itunes, oder Soundcloud. Dort können Sie auch Beiträge zu anderen Themen der Reihe „Our Voices, our Choices!“ hören. >> zum Podcast!
Ich bin Mandy Schielke und sage Danke fürs Zuhören!