Ein gemeinsamer Kampf gegen Plastik – ob mit oder ohne Brexit

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Im Zuge der Klimakrise gerät auch der Plastikverbrauch zunehmend ins Blickfeld von Politik und Gesellschaft. Im Vereinigten Königreich gilt der Brexit als Chance für eine eigene britische Regulierung unabhängig von den Richtlinien der EU.

Ein gemeinsamer Kampf gegen Plastik - Das Bild zeigt eine große Menge leerer Plastikflaschen

London wirkt wie eine verwandelte Stadt, wenn die Sonne ihre Frühlingsstrahlen zum Vorschein bringt. Zwar haben die Londoner/innen nichts von ihrer Hektik auf den Straßen verloren. Doch wenn ich um die Mittagszeit mit dem Fahrrad fahre, wird jeder Meter für die Mittagspause im Grünen genutzt. Lange Schlangen bilden sich vor den vielen Schnellimbissen und Sandwichketten, um noch einen frischen Wrap, Suppe oder Sandwich in Plastikverpackung zu kaufen. Für unsere Lernpause im Park gehen wir noch schnell ins Café nebenan für einen Coffee to go – aber mit dem Plastikdeckel, sonst schwappt der Kaffee immer so über.

Die Gastronomie-Ketten sind für die Mitnehmkultur gewappnet. Für jedes Essen bekomme ich Plastikbesteck dazu, manchmal auch schon als Set verpackt – Strohhalm inklusive, auch wenn ich vor Ort esse. Freitag nachmittags geben die Pubs prinzipiell nur noch Bier in Plastikbechern aus, vor allem, wenn sich vor den Türen schon Menschentrauben gebildet haben. Ähnlich ergeht es mir beim Einkaufen im Supermarkt. Plastik über Plastik türmt sich in der Obst- und Gemüseabteilung, egal ob ich nach Blumenkohl, Avocado, Gurken oder Äpfeln Ausschau halte.

Britische Wegwerfkultur

Das Vereinigte Königreich steht laut Eurostat in absoluten Zahlen nach Italien und Deutschland auf Platz 3 der Plastikverbraucher in der Europäischen Union. Etwa 2,6 Millionen der insgesamt 17,6 Millionen Tonnen Plastikmüll, also knapp 15% des Plastikmülls in der EU, wurde im Jahr 2016 vom Vereinigten Königreich produziert. Die britische Regierung selbst spricht von über 5 Millionen Tonnen.

 

Nina Locher

Nina Locher ist die Autorin des Brexit-Blogs der Heinrich-Böll-Stiftung und schreibt über die aktuellen Entwicklungen in Großbritannien. 

Derzeit absolviert sie den Master of Public Administration an der London School of Economics and Political Science (LSE). Von 2016 bis 2018 war sie in der Berliner Zentrale der Heinrich-Böll-Stiftung für Projekte zur Türkei und zu Griechenland, sowie zur Europäischen Energiewende zuständig.

Im Brexit-Blog thematisiert sie aktuelle Entwicklungen in Großbritannien sowie übergreifende Themen wie Gender und LGBTQ+, Bregret und die Generation-Brexit.

Als viertgrößter Exporteur von Plastikmüll weltweit verschifft das Land 9,5% davon nach Südostasien, seitdem China seinen Müllhandel im letzten Jahr eingestellt hat. Gleichzeitig ist das Vereinigte Königreich Hauptsitz führender Plastikproduzenten – insbesondere der Konzern Ineos – welche im Falle eines harten Brexit und steigenden Produktions- und Exportpreisen um ihren Weltrangplatz fürchten.

Einmalprodukte in Öko

In den letzten Jahrzehnten hat sich im Vereinigten Königreich eine Kultur entwickelt, welche den Einweg-Verbrauch fast schon zelebriert. Produkte für unterwegs wurden perfektioniert und in das Konsumverhalten vieler Brit/innen integriert. Um der Klimakrise entgegenzuwirken, steigen nun mehr und mehr Betriebe auf biologisch abbaubares Besteck, Teller, Becher und Mülltüten um.

Doch Libby Peake, Politikberaterin von Green Alliance, sieht diese Entwicklung kritisch: „Das Plastik-Problem wird im Vereinigten Königreich in einem Vakuum betrachtet. Die Umweltverschmutzung durch Plastik wird beispielsweise durch die Ressourcen- und Abfallstrategie der britischen Regierung adressiert, indem Einmalplastikprodukte und -verpackungen durch abbaubare Produkte ersetzt werden. Doch wir werden die Umweltkrise nicht nachhaltig lösen, indem wir direkte Ersatzprodukte verwenden und dabei unsere Wegwerfkultur erhalten.“

Ironischerweise war laut Peake Plastik selbst in den 1860ern ein Material, welches in den Vereinigten Staaten als Ersatz für das teure Elfenbein in Billardkugeln dienen sollte. Denn die Nachfrage an Elfenbein war so hoch, dass Elefanten in einigen Regionen vom Aussterben bedroht waren. Jetzt hat der Plastikkonsum eine Umweltkrise erschaffen, welche nur auf systemischer Ebene gelöst werden könne.

Der europäische Ansatz gegen Plastik

In den letzten vierzig Jahren der britischen Mitgliedschaft in der Europäischen Union wurden fast alle Abfallgesetze im Vereinigten Königreich von der EU veranlasst. Laut Peake wurde das Vereinigte Königreich dabei von den Gesetzespaketen vielmehr „mitgezogen“, als dass es als Vorbild fungiert hätte. Während England sich auf die erforderlichen Umsetzungen der europäischen Gesetze beschränkte, strebten Wales und Schottland zusätzliche Ergänzungen mit eigenen Gesetzen an. Die Beschwerde vieler Brexiters, die EU hätte Großbritannien „zurückgehalten“, sei in diesem Zusammenhang fast ironisch.

2016 verabschiedete die EU ein Gesetzespaket zur Kreislaufwirtschaft, welches grundlegende Reformen des Abfallmanagements in den Mitgliedsländern erforderte. Die EU-Forderung, mindestens 50% des Abfalls zu recyclen, hat das Vereinigte Königreich bis heute nicht erreicht. Zusätzlich brachte die EU im März 2019 ein Gesetz durch das Parlament, welches ab 2021 Einmalplastik-Produkte wie etwa Ohrenstäbchen, Strohhalme und Plastikbecher in allen Mitgliedsländern verbieten soll. Sollte das Vereinigte Königreich die EU noch im Jahr 2019 verlassen, wäre es nicht mehr von dem Gesetz betroffen.

Trotz des Brexit das Momentum nutzen

Dennoch sieht Peake eine positive Entwicklung darin, dass seit dem Brexit-Referendum das Interesse an britischen Ressourcen gewachsen ist. Es sei daher im Interesse von Umweltschützer/innen, dass mit dem Ziel nach mehr „britischer Souveränität“ durch den Brexit auch lokale Produkte stärker nachgefragt werden.

Mit der anhaltenden Klimakrise wird Plastik zunehmend zum Mainstream-Thema in Politik und Gesellschaft. Zivilgesellschaftliche Initiativen wie etwa „Break Free From Plastic“ versuchen den steigenden Plastikkonsum öffentlichkeitwirksam zu bekämpfen. Auf europäischer Ebene haben sich mit 68 von 277 Organisationen mehrheitlich britische Initiativen dem Bündnis angeschlossen.

Gesunder Wettbewerb als „Race to the Top“

Auf politischer Ebene wurde der Austritt aus der Europäischen Union als Chance für eine eigene, britische Regulierung von Plastik deklariert. Im Februar 2018 lieferten sich Michael Gove, Umweltminister der Tory-Regierung und Kandidat für die Nachfolge von Theresa May, und Frans Timmermans, Spitzenkandidat der sozialdemokratischen Fraktion bei den Europawahlen, einen Twitter-Streit darum, wer im Kampf gegen Plastik eine führende Rolle übernehmen würde. Während Gove kritisierte, dass ein mögliches Verbot von Plastik-Strohhalmen im Vereinigten Königreich von der EU erschwert würde, erwiderte Timmermans, dass die EU ihm „einen Schritt voraus sei“ und das europäische Verbot von Einmalplastikprodukten bereits im Gesetzgebungsprozess sei.

Vor dem Hintergrund dieser Machtspielchen zeigt die Auseinandersetzung eine positive Entwicklung: Sie zeigt, dass der Kampf gegen Ressourcenkonsum und Plastikmüll auf der politischen Agenda steht. Ob dies für das Vereinigte Königreich noch innerhalb der Europäischen Union geschehen wird, bleibt offen. Im Falle eines Brexit könnte dies in einen gesunden Wettbewerb zwischen dem Vereinigten Königreich und der Europäischen Union münden – zugunsten der Umwelt, so Peake. Oder, laut Timmermans, in einem „race to the top“.