Gesucht: Eine neue Gangart - Klimaproteste in Zeiten der Corona-Krise

Analyse

Schon vor der Covid-19-Pandemie kämpfte die Fridays-for-Future-Bewegung mit sinkenden Teilnehmer*innenzahlen und kaum greifbaren Ergebnissen. Nun passen die Aktiven ihre Strategien an – und rüsten sich für die nächste Phase des weltweiten Kampfes gegen die Erderwärmung.

Junge Menschen von Fridays For Future protestieren auf der Straße für mehr Klimaschutz

Über mehr als ein Jahr verwandelte sich der Invalidenpark in Berlins Zentrum an jedem Freitagmittag in einen Ort pulsierenden Lebens. Jugendliche Aktivist*innen, Musik- und Tanzgruppen drängten sich auf einer handgezimmerten Bühne; in bestem Miteinander mit Deutschlands führenden Klimawissenschaftler*innen. Im Publikum: Tausende junge Menschen, die meisten noch Schüler*innen, mit Bannern, die Slogans trugen wie „Es gibt keinen Planeten B“, „Schulstreik für das Klima“ oder „Wir streiken, bis ihr handelt!“. Ihre lautstarken Rufe gegen fossile Energien und für entschlossenes Handeln im Kampf gegen die globale Erwärmung, hallten von den Wänden gleich zweier großer Bundesministerien zurück: Sowohl das Wirtschafts- als auch das Verkehrsministerium liegen am Invalidenpark.

Eine erfolgreiche Bewegung

So sah er aus, der wöchentliche „Schulstreik“ der deutschen Fridays-for-Future-Bewegung; ausgelöst durch die schwedische Schülerin Greta Thunberg, die 2018 zunächst im Alleingang gegen die halbherzigen Bemühungen der Politik im Kampf gegen den Klimawandel mobil machte. Ihre Idee, einmal wöchentlich nicht in die Schule, sondern zum Protestieren – in Thunbergs Fall vor den schwedischen Reichstag – zu ziehen, löste eine Bewegung von Schüler*innen in wohlhabenden wie ärmeren Ländern aus, wie es sie noch nie gegeben hatte. Auf dem vorläufigen Höhepunkt der Kampagne für die Zukunft zogen von Kapstadt bis Anchorage, von Südafrika bis Alaska, Millionen Menschen in tausenden Städten für ein gemeinsames Ziel auf die Straße: um ihre Regierungen mit Macht und Nachdruck aufzufordern, den CO2-Ausstoß zu verringern und die Welt bis 2050 treibhausgasneutral zu machen.

Eine „brillante Logik“ habe die weltweiten Proteste möglich gemacht, sagt der US-amerikanische Umweltaktivist und Autor Bill McKibben: „Wenn (die Erwachsenen, die Red.) sich nicht aufraffen können, eine Welt zu schaffen, in der Leben auch für mich möglich ist – warum sollte ich mich aufraffen, in der Schule zu sitzen und mich auf eine Zukunft in dieser Welt vorzubereiten?“. „Dieser Gedanke schlug allerorten ein,“ erklärt Bryant, dessen Organisation 350.org bereits 2009 einmal weltweite Proteste im Kampf gegen die Klimaerwärmung auf den Weg brachte. Dank dieser Logik gelang es Fridays for Future (FFF) dann auch, bemerkenswerte Erfolge zu verzeichnen: von der Schärfung des öffentlichen Bewusstseins für die Notwendigkeit einer besseren Klimapolitik bis zu einem Aufschwung der grünen Parteien in einer Reihe europäischer Länder. Richtig ist allerdings auch: Schon bevor das neue Coronavirus Menschenansammlungen unmöglich machte, war das Momentum beachtlich abgeflaut. Die Zahl der Jugendlichen, die zu den freitäglichen Treffen kamen, sank; die Führungsfiguren der FFF-Bewegung suchten – mit gemischtem Erfolg – neue Strategien, hin zu kleineren und gezielten Aktionen, etwa angesichts von Wahlen oder gegen Konzerne, die mit fossilen Energien Geld verdienen.

Keine Proteste auf der Straße mehr

Nun hat die sich immer weiter zuspitzende Covid-19-Pandemie auch Fridays for Future voll erwischt; Greta Thunberg und weitere Vordenker*innen sind gezwungen, ihre Taktik weiter anzupassen. In Deutschland wie in vielen anderen Ländern wurden öffentliche Versammlungen verboten, und damit jene Hauptquelle, aus der sich via medialer Begleitung die öffentliche Wahrnehmung, und in deren Folge auch das Spendenaufkommen der Bewegung speiste. Der nächste globale Klimastreik, der am 24. April stattfinden sollte, ist abgesagt. Greta Thunberg twitterte Anfang März. „In einer Krise ändern wir unser Verhalten und passen uns den neuen Umständen zum Wohle der Gesellschaft an“. Ihr Vorschlag: Statt den Straßen das Internet mit Botschaften zu pflastern.

Worauf der Tweet nicht hinweist, ist, wie schwer es nun für eine Bewegung werden könnte, die ohnehin schon damit kämpfte, an ihre Erfolge von 2019 anzuknüpfen. Die Ratlosigkeit unter jenen, die die nötige Anpassung an die „neuen Umstände“ in der Praxis vollziehen müssen, dürfte immens sein: Wie soll sie auf Regierungen und Unternehmen Druck ausüben, wenn sie sich in der Öffentlichkeit nicht zeigen darf? Wie, im Zeitalter einer weltweiten Pandemie, die Aufmerksamkeit der Medien erreichen? Und selbst wenn ihr das gelingt: Wie groß ist das Interesse am Weltklima bei Menschen, deren Welt aus den Fugen geraten ist, die nun zuhause ihre Kinder unterrichten und betreuen, die Angehörige pflegen müssen, keine Arbeit mehr haben? Und: Werden nicht auch selbst an einer nachhaltigeren Klimapolitik vergleichsweise interessierte Regierungen Energien wie Geld bis auf weiteres in den Kampf gegen das Virus statt in jenen gegen den Kohlendioxidausstoß investieren?

„Im zurückliegenden Jahr war der Klimawandel Thema Nummer eins. Jetzt ist es Corona“, konstatiert Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin und einer jener Wissenschaftler, die sich aktiv daran beteiligen, Regierungen unter Druck zu setzen. Ähnlich nüchtern drückt es der Soziologe Moritz Sommer vom Institut für Protest- und Bewegungsforschung in Berlin aus: „Fridays for Future hatte eine unglaubliche Präsenz. Jetzt ist die Bewegung aus den Medien so gut wie verschwunden. Nichts spricht dafür, dass sich das dieses Jahr noch einmal ändert.“

Luisa Neubauer, Deutschlands prominenteste Aktivistin, war auf dem Höhepunkt der Proteste 2019 in Talkshows wie Nachrichten zu einem vertrauten Anblick geworden. Auch sie, oft als „deutsche Greta“ bezeichnet, konstatiert im Gespräch mit Yale e360 einen Veränderungsprozess: „Wir sind dabei, uns zu sortieren. Das neue Virus zu bekämpfen hat oberste Priorität. Darüber darf der Kampf zur Rettung des Klimas aber nicht aufhören. Das wird er auch nicht. Er wird auf anderen Wegen fortgesetzt. Und wenn die Coronakrise vorbei ist, wird auch die Klimakrise anders aussehen.“

Vielleicht, so hofft Luisa Neubauer, gehe FFF sogar mit besseren Aussichten, etwas zu bewirken, aus der Krise hervor: „Schließlich erleben wir zurzeit, dass politischer Wille Berge versetzen kann.“  Sie sagt, Greta Thunbergs Aufruf zu digitalem Aktivismus könne das Engagement auf der Straße nicht ersetzen. Allerdings: „Unsere Generation wie die Klimabewegung denken und handeln ohnehin digital. Es gibt also durchaus Dinge, die wir tun können.“ Was es zum Beispiel bereits gibt, ist ein Youtube-Lernprogramm, das in der deutschen FFF-Bewegung für Millionen Kinder entwickelt wurde, die zurzeit nicht in der Schule lernen können.

Weltweiter Einfluss

Nicht schmälern kann die aktuelle Lage ohnehin die Erfolge, die die Fridays-for-Future-Bewegung bereits erzielt hat. Binnen eineinhalb Jahren ist es ihr gelungen, Menschen zu erreichen, denen zuvor nie in den Sinn gekommen war, den Klimawandel so ernst zu nehmen, dass er ihr Wahlverhalten oder ihren Lebenswandel beeinflusst. Und: Obwohl ihr Ursprung wie ihr Zentrum in Europa liegen, gelang es ihr, auch in den USA wirksam zu sein. Auch dort gingen im September 2019 an zahlreichen Orten eine Viertel Million Menschen für eine bessere Klimapolitik auf die Straße. Das hatte es zuvor nie gegeben. FFF hat entscheidenden Anteil daran, dass auch in den USA ein „Green New Deal“ entwickelt wurde, dessen Entwurf im kommenden Wahlkampf der Demokraten eine große Rolle spielen dürfte.

Außerhalb der USA belegen Wahlerfolge wie Umfragen die Durchschlagskraft der Bewegung: In Europa wie in China nannten Menschen – vor der Pandemie – den Klimawandel als größte Herausforderung. Auch dass quer durch Europa grüne Parteien ihre Stimmen bei kommunalen, nationalen und Europawahlen bis zu verdoppeln konnten, hat mit extremen Wetterereignissen in 2018 wie 2019 zu tun – Rekorddürre, Rekordhitze, Rekordfluten – und mit Fridays for Future.

Die Klimaaktivistin Insa Vries engagiert sich bei den Kohlegegner*innen von „Ende Gelände“, die seit 2015 immer wieder Tagebaustandorte besetzen. Sie weist darauf hin, dass FFF die Klimabewegung und ihre Aktiven ebenso verändert hat wie das Denken der Bevölkerung. So hätten die in der Protestlandschaft ganz neuen Jugendlichen Teile der Gesellschaft mobilisiert, die den länger Aktiven zuvor verschlossen waren: „Für Gewerkschaften gilt das ebenso wie für ältere Menschen, für Nichtregierungsorganisationen wie für die Popkultur,“ so Vries. Klimawissenschaftler Quaschning meint: „Binnen Monaten haben die Schülerinnen und Schüler etwas geschafft, was wir in zahllosen Debatten auf höchsten Ebenen in zehn Jahren nicht erreicht haben: Der Regierung den nötigen Ruck zu verschaffen, tatsächlich etwas zu tun.“ Noch vor einem Jahr sei undenkbar gewesen, eine Klima- in Form einer CO2-Steuer einzuführen: „Jetzt gibt es sie.“

Enttäuschung über die Politik

Dennoch setzte genau an diesem Punkt schon vor der Coronakrise Enttäuschung ein. Das im Pariser UN-Klimaabkommen von 2015 verankerte Ziel einer Begrenzung der Temperaturerwärmung auf 1,5 Grad im Vergleich zu vorindustriellen Zeiten blieb in weiter Ferne, weil es zu konkreten Maßnahmen der Regierungen kaum kam. In Deutschland wurde das frappierend deutlich, als an jenem Tag, an dem Zehntausende für eine bessere Klimapolitik demonstrierten, nur einen Steinwurf von den Berliner Demonstrierenden entfernt das Kabinett im Bundeskanzleramt über das sogenannte Klimapaket beriet. Was bei dem Treffen beschlossen wurde, blieb meilenweit zurück hinter den Forderungen all jener, die in zahlreichen deutschen Städten lautstark erklärt hatten, was es ihrer Ansicht nach braucht: einen kompletten Kohleausstieg bis 2030 und bis spätestens 2035 den vollständigen Umstieg der Stromversorgung auf erneuerbare Energien. Um das zu erreichen, hatten die Klimaaktivist*innen einen Preis berechnet: 180 Euro pro Tonne CO2. Die Antwort der Bundesregierung lautete: 10 Euro pro Tonne.

„Bizarr und skandalös“ nennt Luisa Neubauer die Ergebnisse: „Allen Demonstrationen und allem Lobbying für mehr Klimaschutz zum Trotz wurde nicht einmal versucht, die in Paris vereinbarten Ziele einzuhalten.“ Sie und andere führende Aktivist*innen hätten all den Unterstützer*innen daraufhin erklären müssen, „warum wir eigentlich Ergebnisse erwarten, wenn diese nicht eintreffen.“ In Folge sei ein neuer Geist in die Bewegung eingezogen; Hoffnung habe sich in Entrüstung verwandelt.

Wie geht es weiter?

Damit stehen die Fridays-for-Future-Aktiven in Deutschland nicht allein da. „Schulstreiks allein werden die Regierungen nicht zum Handeln bringen, das mussten wir auch feststellen“, erklärt Vipulan Puvaneswaran von „Youth for Climate France“, dem französischen Arm der FFF-Bewegung. Das System müsse sich verändern, „dafür braucht es radikalere Protestformen.“ Dass es bei der Theorie nicht bleiben sollte, zeigte sich im Februar 2020, als Youth-for-Climate-France-Aktivist*innen kurzzeitig das Pariser Büro des weltgrößten Vermögensverwalters Black Rock besetzten und seine Wände mit Graffiti versahen.

Der deutsche Arm erweiterte seine Strategie hin zu gezieltem Druck in Wahlkämpfen – und in Richtung einschlägiger Wirtschaftszweige. „Unternehmen sind flexibler, sie können schneller reagieren als Staaten“, erklärt Luisa Neubauer, „unser Ziel ist, dass sie uns helfen, einen Wandel auf Regierungsebene herbeizuführen.“ Im Fokus steht bisher vor allem der multinationale Mischkonzern Siemens, der noch kürzlich in ein australisches Kohleminen-Projekt investierte – für den Industriegiganten sozusagen „Peanuts“, für Fridays for Future eine attraktive offene Flanke.

Im Januar belagerten Klimaaktivist*innen die Siemens-Zentrale in München ebenso wie weitere Standorte und überreichten dem Vorstandsvorsitzenden Joe Kaeser eine Petition mit 57.000 Unterschriften. Es kam zu einem Vier-Augen-Gespräch von Kaeser und Luisa Neubauer. Die Folge: Eine Woche lang waren die Nachrichtenspalten voll damit; an der Beteiligung des Unternehmens an der australischen Kohlemine änderte sich nichts. Ende-Gelände-Aktivistin Insa Vries: „FFF hat wahnsinnig viele Menschen erreicht und für großen Wirbel gesorgt, und steht nun doch mit leeren Händen da. Wir müssen neu überlegen, wo und wie wir den Kampf für ein besseres Klima führen.“

Etwas besser ist die Bilanz auf der politischen Ebene, wenn man die Erfolge der grünen Parteien in den Blick nimmt. In Deutschland konnten die Grünen ihr Wählerpotenzial seit der Bundestagswahl im Jahr 2017 verdreifachen und stehen nun in Umfragen als zweitstärkste Partei da. In anderen Ländern zeigen sich ähnliche Entwicklungen. „Quer durch Nordeuropa hat Fridays for Future den grünen Parteien einen enormen Schub verschafft“, erklärt Ellen Ueberschär, Vorstand der grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung mit Sitz in Berlin. Auch sie beobachtet die Zukunft der Bewegung angesichts der aktuellen Lage mit Sorge.

Luisa Neubauer hat ihren Optimismus nicht verloren „Im besten Fall gelingt es uns, aus der Krisenerfahrung wichtige Lehren in Krisenmanagement zu ziehen,“ hofft sie. Schließlich lehre auch die gegenwärtige Pandemie: „Nur wenn wir gemeinsam, solidarisch und nachhaltig handeln, kommen wir mit der Krise und miteinander zurecht. Wenn wir das lernen und begreifen, kann uns das auch in der Klimakrise helfen.“