Digitalisierung für das Gemeinwohl gestalten: Handlungsfelder digitaler Ordnungspolitik

Kommentar

Digitale Technologien sowie die zunehmende Vernetzung und Datennutzung verändern Gesellschaft und Wirtschaft. Wichtig ist nun, die Digitalisierung für alle zu gestalten, um Missstände zu vermeiden.

Baumkrone mit Verzweigung vieler Äste

Digitale Technologien sowie die zunehmende Vernetzung und Datennutzung verändern Gesellschaft und Wirtschaft, wie wir es allenfalls von der industriellen Revolution kennen. Diese löste Fortschritt ebenso wie verheerende gesellschaftliche Missstände aus. Staaten reagierten auf die soziale Frage seit Ende des 19. Jahrhunderts mit verschiedenen Maßnahmen. Sie bilden noch heute das Grundgerüst unserer Sozialen Marktwirtschaft.

Heute geht es darum, dieses Grundgerüst in das digitale Zeitalter mit seinen wirkmächtigen Technologien zu transferieren – und die soziale Marktwirtschaft zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft weiter zu entwickeln. Immer mehr Entscheidungen werden automatisiert und autonom getroffen, es werden immer mehr Daten gesammelt. Es entstehen neue Ausprägungen von Machtkonzentration. Digitalisierung und Industrie 4.0 verbrauchen enorme Ressourcen. All diese Entwicklungen stellen uns vor neue, regulative Herausforderungen.

Wir brauchen einen ordnungspolitischen Rahmen, innerhalb dessen wir wirtschaftlich handeln und Werte schöpfen können. Eine digitale Ordnungspolitik schafft Regeln, formuliert Ziele und setzt Grenzen, um einen fairen und funktionierenden Wettbewerb zu ermöglichen. Sie weiß um das sensible Verhältnis von Markt und Staat, um deren jeweilige Aufgaben und ihre gemeinsame Zugkraft. Vor diesem Hintergrund wollen wir entsprechende Handlungsfelder und Grundlagen aufzeigen und diskutieren.

Es geht uns dabei um Grundsatzfragen zur Zukunft unserer Demokratien, unseres Wohlstands und unserer Freiheit. Digitale Technologien sollen die Offenheit, Mitbestimmung und Innovationsfreude unserer Gesellschaft unterstützen und dürfen sie nicht untergraben.

Freiheit und Teilhabe

Die Selbstbestimmung der Menschen in einer digitalisierten Welt ist die Basis einer grünen digitalen Ordnungspolitik. Die Menschen sollen sich darin souverän bewegen und neue Technologien selbstbestimmt nutzen können. Privatsphäre ist dafür eine elementare Voraussetzung. Angesichts von vielfältigen Überwachungsmöglichkeiten und Datenmissbrauch ist sie umso schützenswerter.

Digitale Räume bieten Bürger*innen neue Möglichkeiten, an Gesellschaft, Demokratie und Institutionen teilzuhaben. Doch dafür müssen strukturelle Barrieren abgebaut werden. Am Beispiel algorithmischer Entscheidungsfindung zeigt sich, wie sich Diskriminierung im digitalen Raum verstärken kann, wenn sie sich selbst überlassen wird.

Die Wirtschaft ist maßgeblicher Treiber des digitalen Wandels. Auch ökonomisches Handeln orientiert sich an bestimmten Werten. Um es an Freiheit und Teilhabe auszurichten, braucht es entsprechende Anreize, Instrumente und Grenzen.

Datenzugang und Gemeinwohl

Daten sind die Treiber der Digitalisierung. Wer Zugang zu Daten hat und diese auch verwerten kann, hat potenziell unzählige Wertschöpfungsmöglichkeiten. Mithilfe von Daten lassen sich Produkte und Dienstleistungen verbessern, die dann wiederum neue Daten generieren. Darin steckt eine effiziente Rückkopplungsschleife, aber auch eine Barriere für alle, die sich neu auf den Markt wagen.

Datenzugang und Datennutzung sind eine Frage des Gemeinwohls. Sie betrifft nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die öffentliche Verwaltung, Bildungseinrichtungen, Gesundheitsbehörden, Energieversorgung, Verkehr, Wissenschaft und NGOs. Zu einer digitalen Ordnungspolitik gehört ein zukunftsgewandter Umgang mit öffentlichen Daten. Geht es um den Zugang zu Daten, müssen wir über ausgewählte Modelle des Datenteilens diskutieren, etwa über dezentrale Datenpools oder Datentreuhänder.

Plattformen und Wettbewerb

Digitale Ordnungspolitik bedeutet auch, durch einen fairen Wettbewerb Potenziale für datenbasierte Wertschöpfung freizusetzen. Es ist Aufgabe des Staates, Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Unternehmen unter gleichen und fairen Wettbewerbsbedingungen agieren können.

Digitale Märkte weisen Besonderheiten auf, deren regulatorische Herausforderungen sich bei großen Plattformen bündeln. Wir beobachten starke Netzwerkeffekte und haben es mit disruptiven Unternehmen zu tun, die nicht nur neue Märkte schaffen, sondern diese auch dominieren. Am Beispiel von Facebook sehen wir, wie Wettbewerbshüter den Kauf von Unternehmen durchgehen lassen, nur um wenige Jahre später deren Zerschlagung zu prüfen. Diese Entwicklungen können dem Gemeinwohl und der Innovationskraft schaden und werfen die Frage auf, wie man klug reguliert. Das EU-Gesetzespaket zu digitalen Dienstleistungen (Digital Services Act) ist hierfür ein Beispiel, das wir beleuchten wollen.

Innovation und Nachhaltigkeit

Digitale Ordnungspolitik soll zu einem fairen Wettbewerb beitragen, sie ist jedoch nicht neutral oder industriepolitisch blind. Sie kann den Wettbewerb auch in eine Richtung lenken. Der Staat kann mit rechtlich-organisatorischen Maßnahmen die Entwicklung von Technologien fördern, die den Kampf gegen die Klimakrise unterstützen und Gesundheitsinnovationen fördern. Es geht jetzt um die Frage, welche Chancen die digitalen Technologien für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft bieten.   

Um neue Ideen und Entwicklungen zu fördern, kann der Staat Start-ups unterstützen und die Macht von Konzernen einschränken. Wir wollen deshalb insbesondere digitalpolitische Instrumente zur Innovationsförderung beleuchten. Dazu gehören zum Beispiel die Schnittstellen zur Übertragung von Kundendaten, die die EU mit der Zahlungsdiensterichtlinie eingeführt hat.

Ziel des Wirtschaftskreises

Es gibt viele Fragen, auf die Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Antworten finden müssen – und zwar sehr bald und möglichst kontinuierlich. Denn der technologische Wandel ist bereits in vollem Gange und zudem nicht immer vorhersehbar. Diese Ansätze zu finden, ist das Ziel des von uns geleiteten Wirtschaftskreises Digitale Ordnungspolitik der Heinrich-Böll-Stiftung. Dafür werden wir auch im Jahr 2021 Expert*innen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft für einen regelmäßigen Austausch zusammenbringen.

Die Ergebnisse werden wir auf unserer Website festhalten, zur weiteren Diskussion stellen und auf dieser Basis gerne weiterdenken.