Polen: Hohe Erwartungen an eine neue Bundesregierung

Kommentar

Polens Innenpolitik dominiert die heimischen Medien. Die regierende Partei instrumentalisiert bei jeder Gelegenheit außenpolitische Ereignisse und europäische Politik in den internen Auseinandersetzungen im Land. Die Bundestagswahl in Deutschland wurde vor allem unter dem Gesichtspunkt des Endes der Merkel-Ära betrachtet. Beide Seiten, die Regierung und die Opposition, erhoffen sich aber einiges vom neuen Parlament in Berlin.

Der Hauptsaal des polnischen Parlaments in Warschau
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Die Bundestagswahl wurde in Polen genau beobachtet. Die Erwartungen an die neue deutsche Regierung sind hoch.

Die Bundestagswahl erregte in Polen große Aufmerksamkeit, genauso wie die laufenden Sondierungsgespräche. Polnische Think-Tanks bildeten spezielle Expertengruppen für die Wahlanalysen und beobachteten genau den deutschen Wahlkampf, den Tag der Wahl und werden nicht müde, über die Sondierungen und mögliche Koalitionen zu sinnieren. Wobei die demokratische Kultur des Wahlkampfes und insbesondere der Trielle wie auch die „unaufgeregte“ deutsche Art, Politik zu machen, mit einer leichten Bewunderung beobachtet wird.

Wahlspecials liefen zur Prime-Time

Medial stand zunächst die Personalie Merkel im Mittelpunkt, mit Interesse verfolgte man die Entwicklung der Grünen und mit Erstaunen das neue Machtverhältnis, das sich zwischen der SPD und der Union auftat. Am Wahltag selbst lieferten die privaten und staatlichen Medien Wahlanalysen, ganze Radiosendungen und Wahlspecials zur Prime-Time. Die Lesart war allerdings eher simpel. Nach 16 Jahren ende die Ära der Kanzlerin Angela Merkel und Deutschland stehe nun vor einer großen Herausforderung und einer Art Zäsur. „Wir werden die Kanzlerin noch vermissen“, hieß es in zahlreichen Kommentaren.

Dabei bezogen sich die Analyst*innen auf die Merkelsche Polen-Politik, die sich durch viel Sympathie und politische Geduld gegenüber dem Land ausgezeichnet habe. „Andere werden nicht so viel Verständnis mit unserer Regierung haben“, so der Grundtenor. Zumal die polnische Seite eine neue Generation von Politiker*innen in Deutschland aufkommen sieht. Diese hätte weniger oder gar keinen Bezug zu Polen, die historische Verantwortung sei nicht mehr maßgebend, vielmehr werden künftig die deutsch-polnischen Beziehungen daran gemessen, wie man sich als Europäer*innen in Europa positioniert, was letztendlich eine Entwicklung der Beziehungen weg vom Bilateralen hin zum Gesamteuropäischen impliziere.

Gut zu beobachten war dies jüngst bei dem Thema der Rechtsstaatlichkeit und der jüngsten Entscheidung des polnischen Verfassungsgerichtes, das stark politisiert und von der Regierung kontrolliert wird. Die Entscheidung betraf den Vorrang des nationalen polnischen über das europäische Recht und sah Teile der EU-Verträge als nicht vereinbar mit der polnischen Verfassung an, was in Europa zu heftigen Diskussionen führte und in Polen selbst zu großen Demonstrationen angesichts der Gefahr eines juristischen Polexits.

Positionierung gegenüber Russland gewünscht

Die Erwartungen an die neue Regierung in Deutschland sind hoch. Polens Regierung würde sich mehr Engagement in der Sicherheitspolitik wünschen, eine starke Positionierung gegenüber Russland und ein Wiederbeleben der Kontakte zwischen Berlin und Warschau, während die Opposition sich klare Signale zu Fragen der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte erhofft, zumal die SPD und die Grünen in diesen Fragen stärker an Prinzipien orientiert seien als Christdemokraten – so der Tenor vor Ort. Viele Kommentare sehen eine mögliche grüne Regierungsbeteiligung als eine Art Ansage, dass die Wahrung dieser Werte besonders stark in den Fokus gerät und keine falschgemeinte Toleranz mehr möglich sein werde gegenüber Polen. In Zeiten, in denen Europa von vielen Krisen erschüttert werde, seien eine stabile Bodenhaftung und starke Fundamente noch wichtiger als sonst, und diese seien u.a. Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

Polen und Deutschland sind wirtschaftlich sehr eng miteinander verwoben. Polen ist mittlerweile weltweit fünftwichtigster Handelspartner der Bundesrepublik – zumindest in diesem Feld scheinen die Beziehungen zwischen den beiden Ländern zu florieren. Nichtsdestotrotz mahnen viele Beobachter*innen, sich nicht davon blenden zu lassen und die Konfliktfelder, die das deutsch-polnische Verhältnis belasten, nicht kleinzureden. Zu nennen wäre hier neben dem Abbau des Rechtsstaats in Polen und der widerspenstigen Europa-Politik der polnischen Regierung vor allem das deutsch-russische Energieprojekt: die Gaspipeline Nord Stream 2 (NS2). Dieses Vorhaben erschütterte das Vertrauen in Berlin. Sämtliche Parteien, nicht nur die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS), sehen es als Gefahr für die Energiesicherheit Europas.

Rolle der SPD wird beobachtet

Vor allem die SPD wird mit NS2 in Verbindung gebracht. Umso vorsichtiger beobachtet das Land die führende Rolle der Sozialdemokraten in der neuen deutschen Regierung. Man hoffe, dass die „Partei der Russlandversteher“, wie sie in Polen nicht zuletzt wegen des Engagements von Gerhard Schröder für russische Energiekonzerne oder der Aussagen anderer führender SPD-Politiker oft genannt wird, ihren Kurs gegenüber Russland relativiert oder gar angesichts der Bedrohungen seitens des Kremls ändert.

Es ist dieses Prisma, durch das Polen auf die Sondierungen und Koalitionsverhandlungen in Deutschland und eine zukünftige Bundesregierung blickt: Wie wird Berlin sich zu Russland, zur Ukraine, zu den Herausforderungen an der Ostflanke der Nato verhalten? Wie sieht es mit dem Engagement der Grünen bezüglich Sicherheitspolitik und möglicher Militäreinsätze aus? Was ist mit Themen wie nuclear sharing - wo stünde Deutschland?

Mit einer gewissen Sympathie nehmen polnische Politiker Äußerungen der Grünen wahr, die sich sehr entschieden gegen Nord Stream 2 positionieren und Kritik an der aggressiven Außenpolitik Moskaus üben, so deutlich wie keine andere deutsche Partei. Gleichzeitig ist die Sorge der polnischen Führung groß, dass eine Bundesregierung unter Beteiligung der Grünen noch offener Kritik am Abbau des Rechtsstaats in Polen üben könnte als bislang. Es dürften andere Töne angeschlagen werden etwa bei Themen wie der Diskriminierung der sexuellen Minderheiten oder zur Lage der Pressefreiheit in Polen. Außerdem könnten auf Polen weitere Forderungen in Sachen Klimapolitik zukommen – immer noch bezieht das Land mehr als 70 Prozent seiner Energie aus Kohle.

Hoffnung liegt auf den Liberalen

In diesem Zusammenhang bekommt die grüne Partei in Polen oftmals das negative Attribut „ideologisch“ angeheftet. In Polen hofft man auf die Liberalen, sie würden allzu radikale Forderungen der Grünen im Bereich Klimapolitik ausbremsen, hieß es. Beide Juniorpartner gemeinsam würden aber SPD oder CDU/CSU möglicherweise dazu drängen, bei für Polen wichtigen Themen wie Geschichtspolitik oder den herausfordernden Beziehungen zu Russland – inklusive Nord Stream 2 – ein offensiveres Vorgehen an den Tag zu legen.

Zwar kam das deutsch-polnische Verhältnis unter der Regierung von Angela Merkel kaum voran, doch ihre passive Haltung gegenüber den polnischen Nationalkonservativen oder auch eine gewisse Untätigkeit haben Gesprächskanäle in die PiS offen gehalten. Wird der Ton aus Berlin mit der neuen Regierung schärfer, kann in Warschau der Ton auch rauer werden und damit die bestehenden Dialogfelder noch weiter reduzieren, sagen Beobachter hinter den Kulissen. Dies betreffe allerdings genauso auch die Beziehungen zu Brüssel und der EU.