Russlands Krieg gegen die Ukraine: Neugestaltung der östlichen EU-Nachbarschaftspolitik

Analyse

Die russische Aggression gegen die Ukraine schwächt Russlands Hegemonie im postsowjetischen Raum. Drittstaaten wie die Türkei und China werden zu wichtigen Akteuren in der Neugestaltung der regionalen Ordnung. Die EU muss ihre Politik gegenüber der östlichen Nachbarschaft aufwerten, um nicht abgehängt zu werden.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und der Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel in Kiew.
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Treffen des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und des Präsidenten des Europäischen Rates Charles Michel in Kiew, 2022.

Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine beendet nicht nur die nach dem Ende des Kalten Krieges vereinbarte kollektive europäische Sicherheitsordnung, sondern schafft auch eine neue Realität für die Nachbarschaftspolitik der Europäischen Union (EU) im östlichen Europa. Spätestens seit der Annexion der Krim 2014 und dem Krieg im Donbass definiert die russische Führung die EU als Gegner. Moskau hat deutlich gemacht, dass es die Integration der postsowjetischen Staaten in die EU und die NATO nicht akzeptieren wird und bereit ist, dies mit militärischen Mitteln zu verhindern. Der Krieg gegen die Ukraine seit Februar 2022 ist der Versuch Russlands, Europa mit militärischer Gewalt in Einflusssphären aufzuteilen und ist Teil einer imperialen Politik. Jedoch beschleunigt dieser Krieg eher das Ende russischer Hegemonie und wird Russlands globale Rolle dauerhaft schwächen. Für die EU ist es von entscheidender Bedeutung, wie sie ihre Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik der neuen Realität anpasst und dabei die gesamte Nachbarschaft in den Blick nimmt. Das Zusammenspiel zwischen Östlicher Partnerschaft (ÖP) im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik mit der EU-Erweiterungspolitik bedarf einer strategischen Neuausrichtung und einer stärkeren Fokussierung auf integrierte Sicherheit in ihren verschiedenen Dimensionen.

Versicherheitlichung der Nachbarschaft

Die russische Invasion in der Ukraine hat jede kooperative Politik der EU mit Moskau in der gemeinsamen Nachbarschaft beendet. Russland ist aktuell die größte sicherheitspolitische Bedrohung für die EU-Mitgliedsstaaten und die Länder der östlichen Nachbarschaft. Die bisherige EU-Politik schrittweiser Reformen und der Transformation der Länder der östlichen Nachbarschaft ohne eine realistische Beitrittsperspektive wurde von einer neuen sicherheitspolitischen Notwendigkeit abgelöst, der Ukraine militärisch und finanziell zu helfen, als Staat zu überleben, sowie die Auswirkungen des Krieges auf Länder wie Moldawien und Georgien zu begrenzen. Diese Versicherheitlichung der östlichen Nachbarschaft hat Auswirkungen auf Fragen der Sicherheit von Infrastruktur, Konnektivität, Handel und Energieversorgung, und beeinflusst die Machtbalance in den regionalen Konfliktzonen. Das alte Modell der östlichen Nachbarschaftspolitik ohne Beitrittsperspektive und eines nicht endend wollenden Erweiterungsprozesses gegenüber dem Westlichen Balkan war bereits vor dem Krieg an seine Grenzen gestoßen und hatte der Glaubwürdigkeit der EU massiv geschadet. Ihr stark bürokratisierter Ansatz und die langsamen Aushandlungsprozesse der EU-Mitgliedsstaaten unter Berücksichtigung von nationalen Interessen reichen nicht mehr aus, um den sicherheitspolitischen Herausforderungen und der sich schnell verändernden Realität in der östlichen Nachbarschaft gerecht zu werden. Die prinzipielle Handlungsfähigkeit der EU wurde zwar durch ihre Rolle in der Sanktionspolitik gegenüber Russland und der ad-hoc Unterstützung der Ukraine und Moldawiens in den Bereichen Budgetfinanzierung, Energieversorgung und Flüchtlinge unterstrichen. Jedoch braucht eine zukünftige EU-Nachbarschaftspolitik strukturelle Veränderungen, damit Brüssel mittel- und langfristig die Weichen für mehr Sicherheit, Nachhaltigkeit und demokratischen Wandel in der östlichen Nachbarschaft stellt.

Kandidatenstatus und Differenzierung

Indem die EU-Mitgliedsstaaten im Juni 2022 der Ukraine und Moldawien den Status eines Beitrittskandidaten sowie Georgien den eines potenziellen Beitrittskandidaten verliehen haben, erkennen sie neue Realitäten im Umgang mit Russland an. Die EU lehnt mit dieser Entscheidung russische Einflusssphären in der gemeinsamen Nachbarschaft ab und beendet eine Politik der Kompromisse und Rücksichtnahme mit Moskau. Damit verschiebt sich die bisherige Trennung zwischen Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik, und angesichts des Krieges in der Ukraine erscheint die Aufnahme neuer Mitglieder zur Stabilisierung Osteuropas plötzlich nicht nur möglich, sondern aus Sicht der EU-Mitgliedsstaaten auch notwendig. Der Krieg gegen die Ukraine hat ein Momentum geschaffen, das nicht nur zu einem Umdenken in der Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik führt, sondern auch Reformen innerhalb der EU mit Blick auf Mehrheitsentscheidungen erfordert und eine neue Kostenkalkulation hinsichtlich möglicher weiterer Beitritte notwendig macht.

Damit lässt sich eine stärkere Differenzierung innerhalb des "assoziierten Trios" Georgien, Moldawien und Ukraine zugunsten Kiews beobachten. Die Stabilisierung der Ukraine als Staat und Gesellschaft, ihr Sieg im Krieg gegen Russland und ihre Integration in die EU werden zu einer gemeinsamen Kraftanstrengung der EU und ihrer Mitgliedstaaten. Die meisten Ressourcen und die größte Aufmerksamkeit werden in den nächsten Jahren für die Ukraine zur Verfügung gestellt werden müssen. Dabei sollte der Wiederaufbau der Ukraine eng mit deren EU-Beitritt verknüpft werden. Für Moldawien kam der Kandidatenstatus trotz einer reformorientierten und pro-europäischen Regierung überraschend. Das Land hat begrenzte Ressourcen zur Erfüllung der Kriterien für einen EU-Beitritt. Das Land sollte dauerhaft finanzielle und personelle Unterstützung für den Beitrittsprozess sowie eine größere energiepolitische Unabhängigkeit von Russland durch die EU bekommen.

Gleichzeitig ist es wichtig, aktuell schwierigen Ländern wie Georgien die Möglichkeit eines Beitritts offen zu halten, damit die mehrheitlich pro-europäische Gesellschaft nicht weiter die Orientierung verliert und trotz demokratischer und rechtsstaatlicher Rückschritte unter der Regierung der Partei Georgischer Traum bei einem Regierungswechsel Reformen im Sinne eines Beitritts wiederaufnehmen kann. Der Fokus auf die Ukraine sollte nicht dazu führen, den anderen Ländern im östlichen Europa nur begrenzte Aufmerksamkeit zu schenken, da auch deren Entwicklung eng mit dem Ausgang des Krieges verbunden ist.

So wäre es nur konsequent, auch Armenien eine Beitrittsperspektive zu geben, sollte es diese wollen, da das Land auf Druck Russlands kein Assoziierungsabkommen mit der EU abgeschlossen hat und die aktuelle Regierung unter Premier Nikol Paschinyan trotz langsamer Fortschritte versucht, den Reform- und Demokratisierungspfad beizubehalten. Armenien hat ein Umfassendes und erweitertes Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (CEPA) mit der EU abgeschlossen, was mindestens so ambitioniert ist, wie die drei Assoziierungsabkommen, jedoch ohne ein Freihandelsabkommen. Auch für die Staaten des Westbalkans wird es immer wichtiger, wieder Dynamik in den Beitrittsprozess zu bringen; die Wiederbelebung des Berliner Prozesses zum Westbalkan weist in die richtige Richtung. Mit diesen Entwicklungen weicht die geografische Trennung zwischen der südöstlichen und der östlichen Nachbarschaft weiter auf, und Fortschritte bei den Reformen und der Annäherung an EU-Standards werden zu wesentlichen Kriterien für ihre künftigen Beziehungen zur EU. Jedoch besteht auch mit Blick auf den Westbalkan die Gefahr, dass die Unterstützung der Ukraine zu weniger Aufmerksamkeit führt und die EU ihren massiven Glaubwürdigkeitsverlust aufgrund des verschleppten Beitrittsprozesses auf absehbare Zeit nicht wettmachen kann. Die geopolitischen und -ökonomischen sowie sicherheitspolitischen Verbindungen dieser Regionen müssen sich in einer aktualisierten Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik stärker widerspiegeln.

Die EU als umfassender Sicherheitsakteur in der Nachbarschaft

Je schwächer Russland wirtschaftlich und militärisch wird, desto weniger wird es in der Lage sein, für "autoritäre Stabilität" in der gemeinsamen Nachbarschaft der EU zu sorgen. Das hat auch Einfluss auf die seit Jahrzehnten eingefrorenen Konflikte in der Region, wie um Transnistrien, Bergkarabach, Abchasien und Südossetien, in die Russland entweder als Konfliktpartei oder Verhandler involviert ist. Konflikte wie den in Bergkarabach zwischen Armenien und Aserbaidschan einfach an Moskau auszulagern wie in der Vergangenheit, ist mit dem Krieg in der Ukraine nicht mehr möglich. Russland ist kein akzeptabler Verhandlungspartner mehr für die westlichen Partner in den Formaten sowie die Teilnehmerstaaten und blockiert oder umgeht die OSZE wo es kann. Gleichzeitig sind multilaterale Formate, an denen Russland beteiligt ist, wie 5+2 Gespräche zu Transnistrien und die OSZE Minsk Gruppe zu Bergkarabach blockiert. Die Rolle von Charles Michel als Präsident des Europäischen Rats bei den Verhandlungen über ein Friedensabkommen für Bergkarabach und ein Grenzabkommen zwischen Armenien und Aserbaidschan ist von entscheidender Bedeutung, um die Präsenz und Rolle der EU in der Region bei der Konfliktlösung aufzuwerten. Monitoring und friedenserhaltende Maßnahmen sollten auch in dieser Region ein wichtiger Bestandteil einer zukünftigen EU-Politik sein. Die Stärkung der EU als Friedensakteur in der östlichen Nachbarschaft bedarf mehr Ressourcen und politischer Unterstützung durch die Mitgliedsstaaten.

Die geopolitischen und sicherheitspolitischen Veränderungen in den postsowjetischen Staaten als Folge des russischen Angriffskrieges werden dazu führen, dass Drittstaaten wie die Türkei, China und der Iran auf Kosten Moskaus und der EU zunehmend zu Gestaltern in dieser Region werden. Sie werden versuchen, mit ihren autoritären Regierungsmodellen eigene Normen und Standards zu setzen; ob dies in Konkurrenz oder im Schulterschluss mit Moskau passieren wird, wird sich in verschiedenen Kontexten zeigen. Hier könnten neue regionale Ordnungen entstehen, mit Folgen für die Staaten selbst, aber auch für die EU. Auch wenn die USA unter Präsident Biden aktiver in dieser Region agieren, wird es kein umfassendes Engagement Washingtons in der Region mehr geben. Daher muss die EU ihre Nachbarschaftspolitik um eine Sicherheitskomponente erweitern, kombiniert mit innerer Resilienz, Förderung von Rechtsstaatlichkeit sowie sozialen Normen und Standards. Das gilt auch für die Ukraine, die trotz des Krieges Reformfortschritte machen muss, um in der Integration mit der EU weiterzukommen und dafür auch mit den aktuellen politischen Strukturen noch einen langen Weg zu gehen hat. Darüber hinaus werden Investitionen in die Infrastruktur und die Integration der Energie- und Strommärkte der östlichen Nachbarländer der EU dazu beitragen, die Energiesicherheit und die Konnektivität auf beiden Seiten zu stärken und den Einfluss Russlands auf diese Staaten zu begrenzen. Hierbei können erneuerbare Energien zukünftig eine wichtige Rolle in der Diversifizierungspolitik dieser Staaten spielen, was wiederum umfassenderer Investitionen bedarf und im Rahmen des Green Deals der EU erfolgen kann.

Transformation und Geopolitik

Die EU verfügt über Finanzierungsinstrumente zur Unterstützung von Reformen und der Transformation in ihrer östlichen und südlichen Nachbarschaft. Sie ist weiterhin attraktiv durch ihren Binnenmarkt, Rechtsstaatlichkeit, einen hohen Lebensstandard und ihre Reisefreiheit. Politiken der Konnektivität, Resilienz und grünen Transformation sind attraktiv für den wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Wandel in diesen Staaten. Die Östliche Partnerschaft könnte eine wichtige Rolle dabei spielen, die Staaten, die derzeit keine EU-Mitgliedschaft anstreben (Armenien, Aserbaidschan), näher an die EU-Normen und -Standards heranzuführen und einer autoritären Regierungsführung vor allem in Aserbaidschan und Belarus entgegenzuwirken. Darüber hinaus bedarf es einer flexibleren Teilintegration in die EU, sei es in den Binnenmarkt, den Energie- und Strommarkt, den Schengen-Raum, in Bereichen wie der Digitalisierung oder Roaming. Das würde für die Bürger*innen der östlichen Nachbarstaaten Vorteile bringen und eine weitere Integration mit der EU beschleunigen.

Neben innerer Resilienz spielen Energiesicherheit und Konnektivität eine wachsende Rolle in der EU-Politik gegenüber der östlichen Nachbarschaft. Hier geht es einerseits um die Aufwertung des Mittleren Korridors zwischen Europa und Asien über das Schwarze Meer, den Südkaukasus, das Kaspische Meer und Zentralasien. Andererseits könnten damit neue Lieferländer für Öl und Gas unter Umgehung Russlands in der Kaspischen Region erschlossen werden. Es wird davon abhängen, wie schnell die EU-Mitgliedsstaaten die Energietransformation zu den Erneuerbaren umsetzen, ob diese Rohstoffe aus dem Kaspischen Raum noch gebraucht werden. Wichtig bei Investitionen in neue Energieinfrastruktur in der Region ist, dass diese auch mit Investitionen in erneuerbare Energie für diese Länder einhergehen und die neue Infrastruktur potenziell für grünen Wasserstoff genutzt werden kann. Die Länder des Südkaukasus und Zentralasiens haben enormes Potential für Solar- und Windenergie und zum Teil auch für Wasserkraft. Diese würde es ihnen nicht nur erleichtern, unabhängiger von russischem Öl und Gas zu werden, sondern auch eine Integration in den Europäischen Energie- und Elektrizitätsmarkt zu ermöglichen. Gleichzeitig soll das Global Gateway Projekt der EU andere Akzente als die chinesische Belt and Road Initiative setzen, indem es höhere soziale und ökologische Standards für Infrastrukturinvestitionen setzt.

Die von Frankreich vorgeschlagene Idee einer Europäischen Politischen Gemeinschaft würde eine Klammer für die erweiterten Nachbarschaften bilden, in der die Zusammenarbeit mit der EU in bestimmten Politikbereichen verstärkt werden würde. Dieser "Wartesaal für den Beitritt" wäre eine Neuinterpretation des Konzepts "Wider Europe" unter neuen Vorzeichen und würde der bisherigen geografischen Differenzierung entgegenwirken. Gleichzeitig würde er eine Struktur für Länder schaffen, die mit der russischen Aggression nicht einverstanden sind, aber nicht unbedingt Teil der EU werden wollen. Damit würden strukturelle Kooperation und Integration an Bedeutung gewinnen, die neben wirtschaftlicher Transformation, Reform von Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungsführung vor allem durch eine Komponente der inneren und äußeren Sicherheit ergänzt werden würde. Dass diese Veränderungen von EU-internen Reformen mit Blick auf Mehrheitsentscheidungen begleitet werden müssen, hat Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner Europa-Rede in Prag Ende August 2022 gefordert.

Dabei sollte es mit der Aufnahme neuer EU-Mitgliedern auch die Möglichkeit geben, Mitgliedsstaaten auszuschließen, u.a. wenn sie sich nicht mehr an die Werte und Prinzipien der EU halten (wie z.B. Ungarn). Der innere Zusammenhalt der EU, ihre Reform- und Handlungsfähigkeit müssen gestärkt werden, um ein relevanter geopolitischer und normativer Akteur in der Nachbarschaft zu werden. Dies erfordert Führungsstärke und mehr Verantwortung der EU-Mitgliedsstaaten und allen voran Deutschlands als ökonomisch wichtigstes Mitglied, mit Interesse an der östlichen Nachbarschaft. Fehlende Ambitionen der EU mit Blick auf eine Erneuerung der Nachbarschafts- und Erweiterungspolitik werden in diesem sich schnell ändernden geopolitischen Umfeld zu einem Bedeutungsverlust der EU führen. 

Aktualisierung und Aufwertung der Nachbarschaftspolitik

Die Gewährung eines (potentiellen) Kandidatenstatus für Moldawien, die Ukraine und Georgien ist ein starkes politisches Signal, stellt aber noch keine neue Politik dar. Einerseits gibt es als Reaktion darauf keine größere Veränderung in der Erweiterungspolitik und fehlt es an Ambitionen unter den Mitgliedsstaaten, eine größere Rolle in der östlichen Nachbarschaft zu spielen. Darüber hinaus haben die Institutionen und mehrere Mitgliedstaaten ein Interesse daran, die ÖP als Rahmen für die Politik beizubehalten, insbesondere mit Blick auf Armenien und Aserbaidschan sowie potentiell Belarus. Andererseits werden aufgrund der neuen Herausforderungen und der sich schnell verändernden Situation parallel dazu neue Politiken und Bausteine über bilaterale Schienen und Ad-hoc-Förderprogramme wie im Energiesektor oder die Unterstützungsgruppe für die Ukraine geschaffen. Die bestehenden Instrumente sind nicht in der Lage, auf kurzfristige Herausforderungen zu reagieren. Diese Flexibilität mag zwar im Hinblick auf die neue Realität positiv sein. Aber das institutionelle Design, die Ambitionen, die Entscheidungsfindung und die Prozesse müssen dringend aktualisiert werden, um Frustration und damit Instabilität in der Nachbarschaft zu vermeiden. Wir sehen aktuell im Westlichen Balkan, wie gefährlich diese Zögerlichkeit ist und wie externe Akteure wie Russland, China und die Türkei diese Schwäche der EU versuchen zu nutzen.

Die russische Hegemonie im postsowjetischen Raum endet jetzt und wird größere Anforderungen als im Jahr 1991 an die EU-Nachbarschaftspolitik stellen, die neben der traditionellen EU-Politik der Förderung von Transformation und wirtschaftlicher Entwicklung stärker strategische Fragen und Konkurrenzen in den Blick nehmen muss. Die Politik gegenüber den Ländern der ÖP kann nicht erfolgen, ohne sie mit der Politik gegenüber der Türkei, der Schwarzmeerregion, den Staaten Zentralasiens und den westlichen Balkanländern zu verknüpfen. Die Integration dieser Regionen mit der EU in den Bereichen Energie, wirtschaftliche Entwicklung sowie das Setzen von Normen und Standards in Konkurrenz zu China, gewinnt an Bedeutung. Dabei wird Russland trotz wirtschaftlicher und militärischer Schwächung für längere Zeit noch genug Störpotential haben, um die EU zu diskreditieren und die Länder der Region zu destabilisieren. Als Europäische Union eine glaubwürdige wirtschaftliche Integrationsperspektive zu geben, mit stärkeren Institutionen in den Ländern aufzutreten, als aktiver Friedensakteur stabilisierend zu wirken sowie der Normsetzer für soziale und ökologische Standards zu sein wäre die richtige Antwort auf die aktuellen geo- und sicherheitspolitischen Herausforderungen. Dabei ist ein Sieg der Ukraine, ihr langfristiger Wiederaufbau und ihre Integration in die EU eine Schlüsselaufgabe für die EU-Mitgliedsstaaten, die bei Erfolg positive Auswirkungen auf die gesamte Nachbarschaft der EU sowie den Wandel in Russland haben wird.