100 Tage Merz: Wahlgeschenke für einzelne statt Wohlstand für alle

Vorstandskolumne

Die neue Bundesregierung hat so viel Geld wie nie eine Regierung vor ihr und vergibt doch die Chance, unser Land zu modernisieren und fit für die Herausforderungen der nächsten Jahrzehnte zu machen. Damit setzt sie die Zukunft der Volkswirtschaft und unserer Kinder aufs Spiel.

Foto von Jan Philipp Albrecht, Vorstand Heinrich-Böll-Stiftung

Bundeskanzler Friedrich Merz ist seit 100 Tagen im Amt. Die Rahmenbedingungen für seine Regierung waren von Beginn an deutlich besser, als sie es für die Vorgängerregierung waren. Dennoch sind die ersten 100 Tage gezeichnet von gebrochenen Versprechen und Koalitions-Chaos, wie zuletzt wieder bei der Richterwahl. Mit Blick auf die Prioritäten im Rekordhaushalt gilt: Kurzfristige Interessen Einzelner wiegen deutlich mehr als der Wohlstand, die Gesundheit und Sicherheit aller.

Merz und Klingbeil brechen ihr Versprechen, dass die zusätzlichen Mittel aus dem Sondervermögen für zusätzliche Investitionen genutzt werden. Der Haushaltsentwurf ist gespickt mit Tricks, die verschleiern, dass die Mittel in vielen Fällen für eine Reihe von teuren Wahlgeschenken ohne Wachstums- oder Modernisierungsimpulse wie die Mütterrente und die Mehrwertsteuerentlastung in der Gastronomie genutzt werden statt für schlaue Investitionen in Schulen, Schienen und Städteumbau.

Geld für Fossile statt für Energiewende und Infrastruktur

Gleichzeitig wird an Subventionen von fossilen Energien festgehalten, die die Klimakrise weiter anheizen: Allein 3,4 Milliarden Euro aus dem Klima- und Transformationsfonds sollen für die Subventionierung des Gaspreises zweckentfremdet werden. Das Sondervermögen nimmt historisch hohe Schulden auf und kommt gleichzeitig nicht im Alltag der Menschen an: Brücken, Schulen und Schwimmbäder werden nicht saniert, neue Busse nicht beschafft, die kommunalen Wärme- und Energienetze nicht modernisiert.

Die angekündigte Abschaffung der Stromsteuer wird entgegen einhelligen Sachverstands aus Wirtschaft und Wissenschaft nun doch nicht vorgenommen. Dabei hätte sie nicht nur alle privaten Haushalte und Unternehmen in Zeiten hoher Energiepreise entlastet, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Beseitigung der abgabeninduzierten Benachteiligung von Erneuerbaren Energien gegenüber fossilen Energieträgern geleistet.

Wirtschaftsministerin sägt an Klimazielen

Wirtschaftsministerin Reiche stellt die Klimaziele in Frage, während die Mehrheit der Menschen im Alltag längst mit den Auswirkungen kämpft. Es bräuchte nun dringend Investitionen in Klimaanpassung, Vorsorge und Schutz statt ein Infragestellen dessen, was nicht länger zu ignorieren ist. Passend zum Kleinreden der Klimakrise soll nun auch der Klimaschutz durch den Umbau des Waldes, durch nasse Moore und wiederhergestellte Ökosysteme mittelfristig um die Hälfte gekürzt werden. So schützen wir uns nicht vor den Auswirkungen der Klimakrise und halten das verheerende Artensterben nicht auf.

Unter Reiches Vorgänger Robert Habeck wurde die Energiewende entfesselt und ein erneuerbares Energiesystem erschien in Greifweite. Statt den Ausbaurekorden bei Erneuerbaren weitere Schritte folgen zu lassen, gezielt in neue Technologien zu investieren und der Wirtschaft Planungssicherheit zu verschaffen, entscheidet sich die Bundesregierung für einen teuren, klimaschädlichen und wirtschaftlich gefährlichen Irrweg: Der staatlich gesteuerte Neubau von 20-Gigawatt-Gaskraftwerken wird uns allen auf der Stromrechnung teuer zu stehen kommen. Ganz davon abgesehen, dass wir ihn gar nicht brauchen.

Was Katherina Reiche als „technologieoffen“ verkauft, ist in Wahrheit das Gegenteil: Eine Festlegung auf fossile Infrastruktur – gegen jede Vernunft. Damit laufen wir geradewegs in eine Gas-Planwirtschaft. 

Dies wird den Strompreis an der Börse nach oben treiben und dafür sorgen, dass die Einspareffekte der günstigen Erneuerbaren Energien nicht bei den Menschen ankommen. Was Katherina Reiche als „technologieoffen“ verkauft, ist in Wahrheit das Gegenteil: Eine Festlegung auf fossile Infrastruktur – gegen jede Vernunft. Damit laufen wir geradewegs in eine Gas-Planwirtschaft. Stattdessen müsste nun in Zukunftstechnologien investiert werden, die unseren Wohlstand sichern könnten. Doch Reiche kürzt selbst die Förderung für private Solaranlagen und nimmt den Menschen den letzten Bereich, wo sie selbst etwas zur Energiewende beitragen können.

Merz und Klingbeil haben zugesichert, dass aus dem Sondervermögen insgesamt 300 Milliarden Euro zusätzlich in Infrastruktur investiert werden sollen. Im Haushaltsentwurf sind statt 30 Milliarden Euro pro Jahr nun nur noch 5 Milliarden Euro zusätzlich für Straßen- und Schieneninfrastruktur eingestellt. Kein einziges Schienenprojekt soll zusätzlich umgesetzt werden. Außerdem sollen die Einnahmen aus der LKW-Maut – bei denen die Grünen durchgesetzt hatten, dass sie auch zur Finanzierung des Schienenausbaus genutzt werden sollen – nun wieder ausschließlich in die Straße fließen. Entlastungen bei den Mobilitätskosten bleiben aus: Das Deutschlandticket wird sich verteuern und es drohen 2025 historische Preissteigerungen von weit über zehn Prozent bei den Bahntickets.

Merz verspielt die Chance auf eine nachhaltige Zukunft

Die ambitionierte Modernisierung Deutschlands – für die der Ampel wegen des Widerstands der Union und des FDP-Finanzministers Lindner das Geld fehlte – wurde innerhalb der ersten 100 Tage der Regierung Merz abgewickelt. Dabei steht der Koalition aus CDU, CSU und SPD mehr Geld zur Verfügung als jeder Bundesregierung zuvor. Friedrich Merz verspielt damit die einzigartige Chance, diesem Land eine ökonomisch, ökologisch und sozial nachhaltige Zukunft zu geben. Es ist allerhöchste Zeit, diesen Fehlstart zu korrigieren und noch zu retten, was zu retten ist.


 

Imme und Jan Philipp

Einmischen - die Vorstandskolumne

Einmischen! Als einzige Möglichkeit, realistisch zu bleiben. So hat es Heinrich Böll formuliert und diese Ermutigung inspiriert uns bis heute. Mit dieser Kolumne mischen wir uns als Vorstand der Stiftung in den aktuellen politisch-gesellschaftlichen Diskurs ein. Jeden Monat schreiben hier im Wechsel: Jan Philipp Albrecht und Imme Scholz.

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