Vorangehen heißt Aussteigen

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Aufnahme vom Aktionstag gegen Kohlekraft am 8.11.2014 in Hannover

Endlich wird auf höchster Ebene über den Kohleausstieg diskutiert. Stefanie Groll gibt einen Überblick über die politische Gemengelage hierzulande und beleuchtet, warum die Kohle weltweit im Boden bleiben muss.

Die deutsche Energiewende steht international unter Beobachtung. Mit einer Mischung aus optimistischer Faszination und abwartender Skepsis wird verfolgt, wie erneuerbare Energie ausgebaut und Atomkraftwerke vom Netz genommen werden. Und jetzt auch noch Kohleausstieg? Auf jeden Fall sind es nicht mehr nur „Öko-Radikalos“ und Umweltverbände, die genau das wollen.

Ihre Forderungen sind durch die Institutionen marschiert. Mit dem so genannten „Klimabeitrag“ liegt erstmals ein Instrument auf dem Regierungstisch, mit dem der schrittweise Kohleausstieg eingeleitet werden könnte. Für Klimaschutz im Stromsektor wäre das zumindest kleiner Schritt in die richtige Richtung. Erwartungsgemäß hagelt es Kritik von allen Seiten. Unerwartungsgemäß kommt die massivste Kritik an Sigmar Gabriels Aufschlag aber nicht von der parlamentarischen und der außerparlamentarischen Opposition. Nein, die massivste Kritik leisten sich der Regierungspartner CDU, die Interessenverbände der Energieindustrie und die Bergbau-Gewerkschaft IG BCE.

Letzteren wäre es am liebsten, dass der Klimabeitrag nicht nur entschärft wird, sondern komplett vom Tisch kommt. Die Kohlelobby will sich mit einem ganz anderen Vorschlag durchsetzen: Die „Kapazitätsreserve für Versorgungssicherheit und Klimaschutz“ plus eine Abwrackprämie für alte Heizungen, die der IG BCE vorschwebt, ist ein Frontalangriff auf den Klimabeitrag. Das Gewerkschafts-Paket wird als Geschenk für Kraftwerksbetreiber, Belegschaften und das Klima verkauft. Nur leider sind die IG BCE-Pläne für „Klimaschutz durch Investition in Effizienz und Versorgungssicherheit“ bisher wenig überzeugend, was Klimaschutz und andere Versprechen betrifft. Es ist darum wichtig, dass auch die kohlekritischen Stimmen im Energieministerium erhört werden.

Geld aus der Braunkohle für das strahlende Erbe

Die Debatte um den schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung in Deutschland läuft heiß. Man sieht das daran, dass Argumente zugespitzt werden, und dass mit unterschiedlichen Daten zu Beschäftigungs- und Preiseffekten des Kohleausstiegs hantiert wird. Strategisch brisant wird die Debatte nun auch, weil der Kohleausstieg bilanztechnisch in betriebswirtschaftliche Beziehung zum Atomausstieg gesetzt wird. Perfide ist die an Erpressung anmutende Argumentation von Energiekonzernen, die Kohle und Atom in ihrem Portfolio haben. Da wird Druck aufgebaut mit der Drohung: Wenn Ihr uns die Braunkohle nehmt, haben wir kein Geld mehr für Rückbau von Atomkraftwerken und Endlagerung von Atommüll. In diesem Zusammenhang wurde das n-tv-Interview von RWE-Chef mit Peter Terium mehrfach zitiert.

Man könnte von einem verfrühten Sommertheater im politischen Berlin sprechen. Nur leider ist die Sache zu ernst, um von Theater im Sinne von Spiel zu reden. Ernst ist die Sache, weil es ums Klima, ums Ganze, geht.

Klimaschutz und fossile Energieversorgung, das geht einfach nicht zusammen. Darf sich Deutschland ein Rumeiern in Sachen Treibhausgas-Reduktionen leisten? Weil Deutschland „nur“ auf Platz 7 der weltweitgrößten CO2-Emittenten liegt? Weil der hier produzierte Anteil an globalen Kohlenstoffdioxid-Emissionen „nur“ rund 2,2 Prozent beträgt? Mitnichten! Da die Energiewende international als Role Model für Klimaschutz und Wirtschaftswachstum gesehen wird, sollte hierzulande alles dafür getan werden, den Kohleausstieg entschlossen voran zu treiben. Es geht um verantwortliches Voranschreiten. Es reicht nicht, wenn die Regierung in Sonntagsreden von Voranschreiten spricht, am Montag Braunkohlemeiler weiter laufen lässt. Vom internationalen Publikum wird das Voranschreiten zuweilen stärker eingefordert, als im Inland. Der Pulitzer-Preisträger und New-York-Times-Kolumnist Thomas Friedmann erwartet in seinem Kommentar „Germany, the Green Superpower“ auch Leadership vom Energiewende-Musterland.

Es geht längst nicht mehr nur um Eisbären

Mit Kohle wird weltweit das Klima verheizt. Dabei geht es längst nicht mehr um Eisbären. Naomi Klein hat mit ihrem neuesten Buch dazu beigetragen, dass Klimawandel als die existenzielle Menschheits-Bedrohung ins öffentliche Bewusstsein rückt. Durch über 200 Jahre Kohleverfeuerung wurde die „planetare Grenze“ zum gefährlichen Klimawandel bereits überschritten. Die planetare Grenze sei gleichbedeutend mit einer Stabilisierung der globalen Temperaturen bei etwa 1,5 Grad über vorindustriellem Niveau, wie das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung berichtet. Das Zwei-Grad-Ziel, auf das sich die internationale Staatengemeinschaft geeinigt hat „sollte daher nicht nur als ein notwendiges Ziel betrachtet werden, sondern als ein Mindestziel der weltweiten Klimastabilisierung."

Naomi Klein taxiert auch einen anderen gefährlichen Nebeneffekt der Kohle, die Kohlenstoffblase. Durch entschlossenere Klimapolitik, den weiteren Ausbau und technischen Fortschritt bei den Erneuerbaren Energien und das mögliche weitere Sinken der Weltmarktpreise zeichnet sich ab, dass viele Investitionen in fossile Brennstoffe zu „stranded assets“ werden. Solche „gestrandeten Vermögenswerte“ sind Investitionen, die aufgrund veränderter Rahmenbedingungen ganz oder teilweise an Wert verlieren. Dennoch investieren private und öffentliche Finanzinstitute weiter in entsprechende Firmen und Vorhaben. Platzt diese Blase – da die Kohle klimaschutzbedingt in der Erde bleiben muss – , droht diesen Firmen eine massive Entwertung.

Staatsknete für gestrandete Investitionen

Umso unverständlicher ist es angesichts dieser Kohlenstoffblase, dass das Geschäft mit der Kohle im Inland und Ausland mit Steuergeldern finanziert wird. 2014 hat die Beratungsfirma Ecofys Zahlen für die Europäische Kommission zusammengetragen: Zwischen 1990 und 2007 wurde der Ausbau der Kohle-Infrastruktur von den heutigen 28 EU-Mitgliedsstaaten mit insgesamt 200 Milliarden Euro subventioniert. Hinzu kommen 380 Milliarden Euro an Subventionen zwischen 1970 und 2007, die die EU-Staaten den Kohlekraftbetreibern für die Produktionsseite etwa in Form von Steuernachlässen oder Steuergutschriften gezahlt haben. Deutschland zahlt übrigens die meisten Subventionen in der EU.

Die Industrieländer subventionieren auch den Export von Kohletechnologien großzügig. Von 2007 bis 2013 haben sie mit Versicherungen, Bürgschaften und Krediten Kohleprojekte in Höhe von 36 Milliarden US-Dollar unterstützt. Japan führt als größter Finanzierer von Kohleprojekten die Liste mit 16,8 Milliarden US-Dollar an, gefolgt von den USA und Deutschland (7,2 bzw. 4,8 Milliarden US-Dollar).

Nachhaltige Energie- und Klimapolitik heißt: aus der Kohle aussteigen mit gutem Beispiel ins postfossile Zeitalter schreiten. Aufklärung in Sachen Kohle, Daten und Fakten über den globalen Brennstoff, liefert der Kohleatlas, den die Heinrich-Böll-Stiftung in Kooperation mit dem BUND am 2. Juni 2015 veröffentlicht.