Mindestlohn für Mindest-Image

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Ausschnitt aus der Grafik: Schlachtungen nach Fleischkonzernen und Bundesländern, 2014

Schlechter Ruf, öffentlicher Druck und politische Maßnahmen verändern die Fleischbranche – langsam. Doch die Arbeit wird nicht weniger hart, und die Rumänen und Bulgaren werden ihre ausbeuterischen Vermittler nicht los. Ein Kapitel aus dem Fleischatlas Regional.

Die Fleischproduktion war früher ein Handwerk, in dem gute Löhne gezahlt wurden. Doch heute hat die Branche einen derart schlechten Ruf, dass ein Arbeitskräftemangel besteht, der mit deutschen Arbeitnehmern aus dem Umland der Schlachthöfe kaum zu decken ist. Von 9.500 Auszubildenden im Jahr 2000 sank die Zahl im Fleischereigewerbe auf 3.700 im Jahr 2014.

Heute ist die Fleischwirtschaft in Deutschland ein Geschäft, das von schlechten Arbeits- und Lohnverhältnissen bestimmt ist. Unter den 30.000 Beschäftigten, die hier schlachten und zerlegen, sind ein Drittel Südosteuropäer, schätzt die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Der größte Teil stammt aus Rumänien und Bulgarien, viele auch aus Polen, Ungarn, der Slowakei und Tschechien.

Deren Entsendung in Schlachthöfe und Fleischverarbeitungsbetriebe war bis zur Einführung des Mindestlohns für die Vermittler ausgesprochen lukrativ. Löhne zwischen fünf und acht Euro waren normal, aber auch Fälle von Löhnen unter fünf Euro wurden bekannt. Über Subunternehmer wurden sie zur Arbeit nach Deutschland geschickt, waren aber offiziell in ihren Herkunftsländern angestellt. Da die Entsendearbeiter offiziell in Deutschland nicht in einem arbeitsvertraglichen Verhältnis standen, entfielen auch die Sozialabgaben. Sie mussten in den Herkunftsländern durch die Subunternehmer gezahlt werden, doch das unterblieb häufig, oder es passierte nur teilweise.

Die Konzerne der Fleischbranche haben im Oktober 2015 verkündet, bis Mitte 2016 die Entsendung völlig durch sozialversicherungspflichtige Werkverträge zu ersetzen. Der Mindestlohn und öffentlicher Druck haben dazu geführt, dass viele Subunternehmen nun in Deutschland ansässig sind und ihre Arbeiter an deutsche Schlachthöfe vermitteln. Doch viele bereits per Werkvertrag Beschäftigte klagen nun, dass ihnen Lohn vorenthalten wird und die Abrechnungen von Lohnnebenkosten und Sozialabgaben durch die Subunternehmer betrügerisch sind.

In der Fleischverarbeitung, die in der Produktionskette auf das Schlachten und Zerlegen folgt, sind offiziell 80.000 Personen beschäftigt. Nach Angaben der NGG sind es sogar mehr als 140.000. Auch hier kommen viele Arbeitskräfte aus Südost- und Ostmitteleuropa hinzu. Ihre Zahl ist selbst für Brancheninsider nicht zu schätzen. Die Einsatzorte der Arbeiter und Arbeiterinnen – hier sind auch viele Frauen beschäftigt – sind in ganz Deutschland verteilt, denn jeder große Fleischkonzern, aber auch so manch kleiner Betrieb, arbeitet mit den Subunternehmen.

Aufgrund des Lohngefälles zwischen den EU-Staaten lohnt sich die harte Arbeit. Zumindest hoffen das die meisten. In der Regel lassen sie ihre Familien zurück und bleiben selten länger als zwei Jahre in Deutschland, manchmal nur einige Monate. Die Fluktuation ist hoch. Ein Subunternehmer kann sich auf vielen Wegen an ihnen bereichern: indem er sie in überbelegten Mietwohnungen unterbringt, die sich in den ländlichen Gegenden nahe ihrer Arbeitsplätze befinden, sowie durch überhöhte Mieten und Fahrkosten für den Transport zur Arbeit, die direkt vom Lohn abgezogen werden. Und Arbeiter beklagen, dass sie ihre Ausrüstung selbst bezahlen müssen. An solchen Praktiken ändert auch der Mindestlohn wenig.

Schlachtungen nach Fleischkonzernen und Bundesländern, 2014
Die Entsendearbeiter haben kaum Chancen, sich gegen arbeitsrechtliche Verstöße zu wehren. Dies liegt unter anderem an der intransparenten Buchführung der Subunternehmer. Aber auch sonst wird getrickst: Firmennetze werden aufgezogen, aufgelöst und neu gegründet. Hinzu kommen die Sprachbarrieren, verschleppte Zeit und mangelnde Ressourcen der Behörden. Auch eine Klage ist für die Werkvertragsnehmer häufig nicht sinnvoll. Das Risiko, bei verlorenen Prozessen die Kosten des gesamten Verfahrens zu tragen, ist für die meisten Arbeitnehmer nicht akzeptabel. Zudem brauchen selbst kleine Prozesse meist Monate. Viele potenzielle Kläger sind dann längst an einem andern Standort oder in der Heimat. Entsprechend schwer haben es die Gewerkschaften, Verstöße zu melden. Dabei beklagt die NGG, nicht genug Rückhalt aus der Politik zu erhalten. Außerdem müssen Belegschaften organisiert werden, die häufig nur ein bis zwei Jahre oder kürzer in den Betrieben bleiben, also kaum für langfristige Arbeitskämpfe zu motivieren sind. Zudem haben viele Entsendearbeiter aufgrund der starken Abhängigkeit Angst, sich kritisch zu äußern oder gar zu engagieren. Bei dem rentablen Geschäft mit den Entsendearbeitern geht es für die verstrickten Firmen um Millionenbeträge.

Allerdings wandelt sich die Branche. Manche Fleischkonzerne versuchen, den Imageschaden der letzten Jahre zu korrigieren. Doch auch wenn die gravierendsten Mängel beseitigt sind, bleibt die Arbeit in der Fleischbranche eine körperlich wie psychisch herausfordernde Arbeit mit schlechten Arbeitsbedindungen und Löhnen. 

 

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