Sachsen: Boom der Broiler

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(Ausschnitt aus kompletter Grafik unten)

Nirgends sonst in Deutschland sind die Hühnerhaltungen so konzentriert. Einige Betriebe dominieren den Markt, für die kleineren bleiben nur geringe Anteile. Neufeudale Zustände haben sich herausgebildet. Ein Kapitel aus dem Fleischatlas Regional.

Mit 10,8 Millionen Hühnern lag Sachsen im Jahr 2013 in der Geflügelhaltung an vierter Stelle unter allen 16 Bundesländern und an erster unter den ostdeutschen. Ihre Zahl hat sich seit 1996 fast verdoppelt. Mit einem solchen Wachstum übertrifft die Hühnerzucht die Schweinezucht bei Weitem. 2014 gab es in Sachsen 646.000 Schweine, zwölf Prozent mehr als 1995. Der Rinderbestand schrumpfte hingegen seit 1995 um 21 Prozent auf 505.000 Tiere.

1999 gab es in Sachsen 2.200 Betriebe mit 6,1 Millionen Hühnern, im Durchschnitt mit genau 2.766 Hühnern je Betrieb. Seither ist die Zahl der Betriebe um über ein Drittel auf etwa 1.600 zurückgegangen – doch mit im Schnitt 6.771 Tieren. Das sind 2,4-mal mehr als 1999. Dieser drastische Konzentrationsprozess begünstigt agrarindustrielle Strukturen. Im Jahr 2013 wurden in Sachsen-Anhalt und Sachsen 98,8 beziehungsweise 98 Prozent der Geflügelbestände (einschließlich Puten, Enten und Truthühner) in agrarindustriellen Anlagen gehalten. Mit fast 9,7 Millionen Tieren wurden 87 Prozent der insgesamt 11,1 Millionen Geflügeltiere in weniger als 50 Riesenanlagen mit Beständen über 50.000 gehalten. Am anderen Ende teilten sich die etwa 1.400 „kleinen“ Halter (mit bis zu 12.500 Tieren), also 82,4 Prozent aller Betriebe, insgesamt 1,6 Prozent der Geflügelbestände.

Diese Struktur ähnelt derjenigen in der Schweinehaltung und auch der in der Verteilung der landwirtschaftlichen Nutzflächen. Eine relativ große Zahl kleiner Betriebe mit geringen Anteilen an Flächen oder Tieren steht einer sehr kleinen Anzahl übergroßer Betriebe gegenüber, die mehr als zwei Drittel – und im Fall der Geflügelhaltung mehr als 95 Prozent – auf sich vereinen. Solche Verteilungen, die auch auf andere ostdeutsche Bundesländer zutreffen, werden als neufeudal charakterisiert.

Innerhalb Sachsens ist die Verteilung jedoch ungleichmäßig. Dabei weist der Süden Sachsens die größten und der Osten des Landes die niedrigsten Dichten auf. Die Hühnerhaltung hat jedoch im Landkreis Nordsachsen ihr Optimum: Hier leben 6,4 Millionen Tiere oder 59 Prozent des gesamten Landesbestandes. Mit dem Erzgebirgskreis und Meißen gibt es nur noch zwei weitere Kreise mit mehr als einer Million Hühnern. Sechs der zehn Landkreise liegen mit ihren Beständen unter 500.000 Tieren.

Auch das Wachstum der Bestände ist regional ungleich verteilt. Nach der Agrarstrukturerhebung kam der Kreis Mittelsachsen im Jahr 2010 auf etwa 91.000 Hühner. Drei Jahre später, also 2013, wurden 651.300 angegeben – eine Versiebenfachung der Bestände. Der absolute Zuwachs von 560.000 Tieren wurde nur noch von Nordsachsen und dem Erzgebirgskreis übertroffen, allerdings von einem höheren Ausgangsniveau. In diesem Zeitraum ist die Zahl der Betriebe in Nordsachsen nur unwesentlich gestiegen, sodass die Tierzahl pro Betrieb mit 64.200 Hühnern den sächsischen Durchschnittswert von 6.771 Hühnern um ein Vielfaches übertrifft.

Als agrarindustrieller Extremfall gilt in Deutschland der niedersächsische Landkreis Vechta. Doch selbst da kam der durchschnittliche Hühner haltende Betrieb im Jahr 2014 auf „nur“ 18.793 Tiere, also auf knapp ein Drittel des nordsächsischen Werts. Zwar hat der Kreis Vechta mit 13,9 Millionen Hühnern doppelt so viel wie Nordsachsen, doch verteilen sich die Tiere in Vechta auf 740 Betriebe.

Die Zuliefer- und Abnehmerkonzerne für die Hühnerhaltung sind in den beiden Landkreisen fast identisch. Das heißt, dass die agrarindustriellen Strukturen, die in Niedersachsen immer schärferen Kontrollen und politisch organisiertem Widerstand ausgesetzt sind, nach Sachsen ausweichen. Die Betriebsstrukturen, die jetzt in Sachsen aufgebaut werden, sind noch größer und umweltschädlicher als im Landkreis Vechta. Nordsachsen, Erzgebirge und Mittelsachsen importieren damit auch die Probleme des Landkreises Vechta: übermäßige Ammoniakimmissionen in der Luft, übermäßige Nitratimmissionen in Boden und Gewässer, Tierseuchengefahr, überhöhten Antibiotikaeinsatz, Belastung der Umwelt mit deren Rückständen und Verdrängung einer tierangepassten Geflügelhaltung.

Diese Prozesse können dann beherrscht und gesteuert werden, wenn das Monitoring, die Genehmigung, die Neueinrichtung und die Kontrolle von agrarindustriellen Mastviehanlagen einer Bundesbehörde übertragen und regelmäßig von ihr berichtet werden. Auf dieser Basis müssen bundeseinheitliche regionale Belastungsgrenzen festgelegt werden, die für die Genehmigung aller weiteren agrarindustriellen Investitionen zu berücksichtigen sind. Im Rahmen von Raumordnungsverfahren müssen sie für die übrige
Wirtschaft und die Bevölkerung transparent gemacht werden. Dabei müssen alle einschlägigen Faktoren, die das Tierwohl bestimmen, bundesweit einheitlich geregelt, erfasst und offengelegt werden. 

 

Quellen: