Genome Editing: Gentechnik ohne Kennzeichnungspflicht

Infografik aus dem Konzernatlas 2017: Genom-Editing
Teaser Bild Untertitel
Ausschnitt aus der Grafik "Ran an die DNA": Genom-Editing mit der CRISPR/Cas9-Methode

Schon in wenigen Jahren wollen die Saatgutkonzerne Kulturpflanzen vermarkten, deren Erbgut durch „Genome Editing“ neue Eigenschaften erhalten hat – und die sogar als gentechnikfrei gelten sollen. Ein Kapitel aus dem Konzernatlas.

Wer wirtschaftlich, rechtlich und technisch die Gene von Lebewesen kontrolliert, verfügt beim Wettrennen um den Einfluss auf die globale Landwirtschaft über erhebliche Macht. Unternehmen wie Monsanto, die in der Gentechnik früh erfolgreich waren, konnten das Saatgut so verändern, dass es zu einem eigenen Geschäftsmodell geworden ist. Sie machten den Anbau von Pflanzen auf Millionen Hektar Land vom Kauf ihrer patentgeschützten Chemikalien abhängig.

Die Techniken der ersten „transgenen“ Generation erscheinen simpel, wenn wir sie mit den heutigen Möglichkeiten vergleichen, DNA-Bausteine direkt „editieren“ zu können. Die dominanten Agrarkonzerne positionieren sich, um von den neuen Technologien zu profitieren. Die Kontrolle über die Agrarlandschaft von morgen beginnt mit Big Data. In enormer Geschwindigkeit generieren mehr als 1.000 Forschungszentren die Daten von Genomsequenzen. Bis 2025 werden wir über mehr Genom- als astronomische Daten verfügen. Die resultierenden unvorstellbaren Mengen an Daten liegen häufig in öffentlich zugänglichen Datenbanken bereit. Aber nur Unternehmen mit teuren Kapazitäten in der Bioinformatik können ihr Potenzial anzapfen.

Wer diese Genom-Datenbanken betreibt, kennt den Schatz, der dort zum Vorteil der Industrie angehäuft wird. DivSeek, eine öffentliche Datenbank zur genomischen Vielfalt einzelner landwirtschaftlich genutzter Arten, wurde beispielsweise bei dem Versuch ertappt, den Konzernen Syngenta und DuPont privilegierten Zugang zu Daten zu verkaufen. Das hätte diesen Agrarchemieunternehmen ermöglicht, an der Konkurrenz vorbei modifizierte Gene patentierten zu lassen, die bestimmte, vom Kunden gewünschte Eigenschaften weitervererben.

Klimagene - die Fähigkeit DNA umzuschreiben

Die großen Biotechfirmen suchen aktiv nach sogenannten Klimagenen. Sie möchten die DNA-Sequenzen digitalisieren, die vermutlich die Fähigkeit einer Pflanze steuern, mit Belastungen wie Überschwemmungen und Dürren umzugehen. In einer wärmer werdenden, sich verändernden Welt ist das Eigentum an der Adaptionsfähigkeit einer Pflanze eine weitsichtige Strategie. Wenn eine Kulturpflanze „klimatauglich“ sein muss, um zu überleben, dann kontrollieren die Inhaber von Patenten auf Pflanzen mit den dafür relevanten Eigenschaften die Lebensfähigkeit der industriellen Landwirtschaft. 2010 gab es 262 Patentfamilien mit mehr als 1.600 Patentschriften, die Rechte auf „Klima­gene“ geltend machten. Zwei Drittel davon gehören drei Unternehmen: Monsanto, BASF und DuPont.

Die Agrargiganten hoffen, eines Tages klimaangepasstes Saatgut mit äußerst präzisen Pflanz- und Messsystemen zu verbinden. Diese Vision treibt Fusionen in den Pestizid- und Saatgutsektoren voran. Auch Zusammenschlüsse mit Landmaschinenherstellern stehen bevor. Der Traktorbauer Deere hat sich bereits vertraglich mit Syngenta, Dow und Bayer verbündet, um die Geräte zu entwickeln, die für die digital geprägte Präzisionslandwirtschaft benötigt werden.

Die große Neuheit in der Genetik ist nicht so sehr die Fähigkeit, Genome zu lesen, sondern die Fähigkeit, DNA zu schreiben und umzuschreiben. Die Zahl gentechnischer Verfahren, die auf schnellem, flexiblem Editieren von Genen und auf der Synthese von DNA basieren, steigt stetig. Das bedeutet, dass die DNA-Codes von Kulturpflanzen, Tieren und Mikroben jetzt leicht mit digitalen und Laborinstrumenten umgestaltet werden können. Die DNA-Synthese, das heißt, die Fähigkeit, neue Stränge künstlicher DNA zu „drucken“, ist bereits ein Massengeschäft. Im Jahr 2016 haben wenige Unternehmen, unter anderem Life Technologies, Twist Bioscience, Gen9, IT-DNA und GenScript, geschätzt etwa eine Milliarde Basenpaare synthetischer DNA hergestellt. Softwaregiganten könnten Power Player in diesem Bereich werden. Microsoft und Intel investieren ebenfalls in diese „synthetische Biologie“.

Für die Fachzeitschrift MIT Technology Review ist das Genome Editing bereits „die wichtigste biotechnologische Entdeckung des Jahrhunderts

Erbittert ist der Kampf um das Eigentum an den neuen gentechnologischen „Instrumenten“. Zinkfingernukleasen (ZFN), ein früher molekularer Werkzeugsatz, um Gene zu verändern, wurde von einer Firma – Sangamo BioSciences aus dem US-Bundesstaat Kalifornien – patentiert und die Lizenz ausschließlich an den Konzern Dow Chemical für die Nutzung an Kulturpflanzen vergeben. Ein Instrument namens TALEN (Transcription Activator-like Effector Nucleases) wurde zu großen Teilen von der französischen Cellectis patentiert und an Bayer und Syngenta lizenziert.

Die am stärksten beachtete Technik ist jedoch CRISPR (Clustered Regularly Interspaced Short Palindromic Repeats). Zwei rivalisierende Erfinderinnen- und Erfinderteams kämpfen gerade um Patente, Milliarden Dollar hängen von dem Ergebnis des Kräftemessens ab. Zum einen haben die in Schweden und Deutschland tätige Französin Emmanuelle Charpentier und die US-Amerikanerin Jennifer Doudna mit ihrer Firma Caribou Biosciences den Einsatz von CRISPR in Kulturpflanzen an DuPont lizenziert. Zum anderen vergab Feng Zhang vom Broad Institute in Cambridge, Massachusetts, eine CRISPR-Lizenz an Monsanto. In der Zwischenzeit behauptet Cellectis, dass seine Patente zum Editieren von Genen beiden Seiten zuvorgekommen sein könnten – was seinen Partner Bayer in eine Schlüsselstellung bringen könnte.

Um praktisch alle Patente und Lizenzen streiten in den USA die Anwälte und Anwältinnen. Bei der Nutzung spielen bereits alle neuen Konzernverbünde mit

Beide, Monsanto und DuPont, beabsichtigen, bis 2021 mit CRISPR editierte Kulturpflanzen auf den Markt zu bringen. US-Regulierungsbehörden haben bereits bestätigt, dass zwei frühe CRISPR-Kulturpflanzen, nämlich eine Pilz- und eine Maissorte, noch nicht einmal ihrer gentechnischen Aufsicht unterliegen. Dies gibt CRISPR einen Schub: Manche Regierungen haben sich von den Anwälten und Anwältinnen der Biotechnologie-Firmen überzeugen lassen, den Einsatz genetisch veränderter Organismen nicht einzuschränken und sogar auf eine Kennzeichnungspflicht zu verzichten. Eine genetisch veränderte herbizidtolerante Rapssorte, die vom kalifornischen Biotechunternehmen Cibus entwickelt wurde, wird bereits auf US-Farmen angebaut und in die globale Lieferkette eingebracht. Sie wird als „nicht transgen“ und sogar als „gentechnikfrei“ gekennzeichnet, weil keine artfremden Gene eingesetzt werden.

Gentechnisch veränderte Pflanzen müssen nicht mehr gekennzeichnet werden

Ein Traumszenario für Biotechfirmen: Sie haben die Möglichkeit, neue, gentechnisch veränderte, unregulierte und ungekennzeichnete Kulturpflanzen auf den Markt zu bringen, während sie Patentschutz genießen und sogar höhere Preise wegen der vorgeblichen Gentechnikfreiheit erzielen. Zeitraubende Versuche, um etwaige Gefahren zu entdecken und ihre Bedeutung zu diskutieren, werden von den Behörden nicht mehr verlangt. Mit anderen Worten: Biotechunternehmen können nicht nur das Genom editieren, sondern auch das Vorsorgeprinzip und alle Widerspruchsmöglichkeiten aus der Politik herausredigieren.  

An der Börse wird nur wenigen Gen-Editing-Firmen zugetraut, Produkte zu entwickeln, die großmaßstäblich verwertbar sind. Aktienkäufe gelten als riskant

» Den gesamten Konzernatlas können Sie hier herunterladen.