Im Golf von Mexiko, vor dem Delta des Mississippi, hat sich eine 20.000 Quadratkilometer große Todeszone gebildet. Wie in jedem Sommer. Hier lebt kaum noch etwas. Die Ursachen liegen an Land – 2.000 Kilometer stromaufwärts.
Dort, südwestlich der Großen Seen, liegt der Corn Belt, das Hauptanbaugebiet für Soja und Mais. Für den Anbau dieser Nutzpflanzen werden Unmengen von Kunstdünger und Schweinegülle eingesetzt, und hier konzentriert sich auch die US-amerikanische Schweinemast. Die Abfallprodukte dieser extrem intensiven Landwirtschaft, Nitrate und Phosphate, belasten das Grundwasser und fließen in das viertlängste Flusssystem der Erde: den Mississippi-Missouri, der südlich von New Orleans in den Golf von Mexiko mündet. Dort lassen sie das Meer umkippen – riesige sauerstofffreie Gebiete bilden sich, in denen kein Leben mehr möglich ist.
Weltweit gibt es etliche solcher sauerstoffarmen Zonen im Ozean. Einige der größten sind natürlichen Ursprungs. Sie liegen in tropischen Regionen, zum Beispiel vor der Küste von Peru, vor der arabischen Halbinsel oder vor Namibia. Hier leben nur wenige angepasste Arten, wie etwa Bakterien. Die Todeszonen in Flussmündungsgebieten sind allerdings meist menschengemacht – und sie werden immer größer. Hier sollten eigentlich Fische, Muscheln und Krebstiere gedeihen, ebenso wie Seegraswiesen und Seetangwälder. Doch sie alle brauchen Sauerstoff zum Leben – den es hier nun kaum noch gibt.
Todeszone – diesen Namen haben Fischerinnen und Fischer den Sauerstoffminimumzonen gegeben, lange bevor man Sauerstoff überhaupt messen konnte. Sie haben als Erste bemerkt, dass da, wo Leben sein sollte, plötzlich keines mehr war. Die Netze blieben leer. Alle Tiere, die fliehen konnten, wie Fische und Krebstiere, waren verschwunden. Wer nicht fliehen konnte, zum Beispiel Miesmuscheln oder Austernpopulationen, starb – und das schon vor 150 Jahren.
Eine Ursache war das Wachstum der Städte. In der Folge gelangten immer mehr Abwässer in die Flüsse und Buchten. Heute gibt es zwar Kläranlagen, doch dafür setzen wir seit Mitte des letzten Jahrhunderts in der Landwirtschaft so große Mengen an Kunstdünger ein, dass Nutzpflanzen ihn nicht aufnehmen können und dieser dann im Meer landet. Hier erledigt er seinen Job – nur dass er jetzt Algen und Phytoplankton düngt. Sterben diese Pflanzen ab, sinken sie zu Boden, wo Bakterien sie zersetzen und in der Tiefe auch noch das letzte bisschen Sauerstoff aufzehren. Für viele Arten gibt es dann kein Entkommen mehr.
Dieser durch Überdüngung des Meerwassers ausgelöste Effekt – in der Fachsprache als Eutrophierung bezeichnet – lässt sich an vielen Orten der Welt beobachten: In der Pearl-River-Mündung im Südchinesischen Meer oder auch in Indien, an der Ganges-Mündung in der Bucht von Bengalen. Die Ostsee, flächenmäßig eine der größten Todeszonen der Welt, erlebt seit den 1950er- und 1960er-Jahren einen starken Rückgang des Sauerstoffgehalts. Auch hier ist dies eine Folge der Industrialisierung der Landwirtschaft. In der Ostsee kommt erschwerend hinzu, dass es sich um ein flaches Binnenmeer mit wenig Wasseraustausch handelt.
Bis zu den 1980er-Jahren kam es insgesamt zu einer Vervierfachung der Stickstoffeinträge und zu einer Verachtfachung der Phosphateinträge gegenüber dem Beginn des letzten Jahrhunderts. Insbesondere zwischen den 1960er- und 1980er-Jahren ist ein kräftiger Anstieg der Nährstoffkonzentrationen im Ostseewasser gemessen worden. Seitdem verharren die Werte auf diesem hohen Niveau. Im Jahr 2009 hatte die Helsinki-Kommission (HELCOM) erstmals eine einheitliche Klassifizierung der Ostsee vorgenommen und 189 Gebiete klassifiziert. Das erschreckende Ergebnis: Nur elf waren in einem guten ökologischen Zustand.
Immerhin: Es wird etwas getan. Im sogenannten Ostseeaktionsplan, der 2007 von allen Ostseeanliegerstaaten verabschiedet wurde, sind konkrete Ziele zur weiteren Reduktion der Nährstoffeinträge vereinbart. So sollte der Eintrag von Phosphor um 15.250 Tonnen jährlich zurückgehen. Der Stickstoffeintrag sollte um 135.000 Tonnen pro Jahr reduziert werden. Das Ziel ist eine Ostsee frei von Eutrophierung.
Der Plan ist keine unverbindliche Absichtserklärung: Deutschland zum Beispiel musste sich im September 2016 wegen Verstoßes gegen die Ziele dem Europäischen Gerichtshof stellen. Das Land hatte die Grenzwerte für Nitrate im Grundwasser auf etwa einem Drittel der Fläche überschritten – eine Folge von zu viel Gülle im Grundwasser. Bei einer Verurteilung drohen der deutschen Regierung Geldstrafen in sechsstelliger Höhe – pro Tag! Bis die Grenzwerte wieder stimmen. Die Eutrophierung ist ein Problem, das ohne solche Abkommen auf internationaler Ebene nicht gelöst werden kann – nationale Regelungen greifen zu kurz, wenn der Nachbar weiter einleitet. Die Küstengewässer unterliegen der gemeinsamen Verantwortung von Anrainerstaaten. Hier tummeln sich Fische, Muscheln, Shrimps, hier sind die Meere am produktivsten – gleichzeitig sind sie hier auch den größten Belastungen ausgesetzt. Die bittere Ironie: Ausgerechnet von der Land- und Ernährungswirtschaft geht eine Bedrohung für eine Nahrungsressource aus, die wir für die Welternährung dringend brauchen.
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