Reden wir über Menschenrechte

Hintergrund

Der explizite und politische Bezug auf grundlegende Bürger- und Menschenrechte als Programm und Handlungsgrundlage oppositioneller Gruppierungen in der DDR, setzte sich erst in der ersten Hälfte der achtziger Jahre durch. Ein Grußwort anlässlich „30 Jahre friedliche Revolution und Mauerfall“.

Plakatkleber am Palast der Republik: Plakat - "Demokratie. Jetzt + Hier"

Die Berufung auf universell geltende Menschenrechte und ihre Verankerung in völkerrechtlichen Konventionen, wie in der UN-Menschenrechtscharta, ist Teil der europäischen Nachkriegsgeschichte.

In der frühen DDR wurden deren Einforderung und der Bezug darauf als bürgerliche Manipulationspropaganda abgetan und verurteilt. Erst das Bestreben nach internationaler Aufwertung ließ in den sechziger Jahren ein „positives“ Menschenrechtskonzept der offiziellen DDR zustande kommen. Ein eigenes DDR-Komitee für Menschenrechte wurde begründet. Seine Vertreter sprachen von der Garantie sozialer Rechte im Arbeiter- und Bauernstaat und propagierten einen besonderen Typus sozialistischer Demokratie. Die Einschränkung und Verweigerung politischer Freiheits- und Beteiligungsrechte wurde mit der besonderen Situation der DDR an der Frontlinie des Kalten Krieges und den Härten des internationalen Klassenkampfes begründet.

Ansätze zum Entspannungsprozess in den siebziger Jahren und die ersten Runden des KSZE-Prozesses schufen eine neue Situation. Gegen den Widerstand der Ostblockstaaten, die sich in einer Reihe anderer Punkte durchsetzten, enthielt die im August 1975 verabschiedete Schlussakte von Helsinki den sogenannten Korb III. Darin war die „Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ festgeschrieben.

Menschenrechtler waren härtesten Repressionen ausgesetzt

In der Folge beriefen sich immer wieder einzelne Bürgerinnen und Bürger als auch organisierte Gruppen aus den Staaten des Ostblocks und der Sowjetunion darauf. Im Laufe des Jahres 1976 entstand die Moskauer-Helsinkigruppe, der dann die ukrainische Helsinkigruppe, Gruppen in den baltischen Sowjetrepubliken und in Georgien folgten. Ihre Mitglieder waren härtesten Repressionen ausgesetzt, wurden verhaftet, erhielten Gefängnisstrafen, wurden deportiert oder in die Psychiatrie eingewiesen.

In der DDR formierte sich in Riesa eine Gruppe von mehreren Dutzend Menschen, die im Dezember 1976 in einer „Petition zur vollen Erlangung der Menschenrechte“ Reise- und Übersiedlungsfreiheit in den anderen Teil Deutschlands einforderte. Repressionen und Verhaftungen waren die Folge.

Der explizite und politische Bezug auf grundlegende Bürger- und Menschenrechte als Programm und Handlungsgrundlage oppositioneller Gruppierungen in der DDR, setzte sich erst in der ersten Hälfte der achtziger Jahre durch.

In dem bereits seit einigen Jahren existierenden und mit der Forderung nach „Schwertern zu Pflugscharen“ verbundenen Netzwerk, vor allem kirchlich geprägter, unabhängiger Friedensgruppen, war das Thema Menschenrechte lange Zeit ein heißes Eisen.

Initiative für Frieden und Menschenrechte (IFM) wird gegründet

Im Januar 1986 konnten die Sprecher der gerade begründeten kirchenunabhängigen „Initiative Frieden und Menschenrechte (IFM)“ jedoch konstatieren: „In der Friedensbewegung wächst das Bewusstsein für den engen Zusammenhang von Frieden und Menschenrechten. Viele Erfahrungen der letzten Jahre belegen, dass die Ziele von Friedensarbeit von der Durchsetzung demokratischer Grundrechte und Freiheiten abhängig sind.“

Menschenrechtsverletzungen wurden dokumentiert

Die Konzentration auf die Situation und Entwicklung im eigenen Land, schloss für die IFM die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen und Repressionen im politischen und sozialen Bereich ein. In eigenen Dokumentationen und Publikationen, wie der Zeitschrift „Grenzfall“, wurden Verhaftungen, zahlreiche Fälle von Berufsverboten und die Verweigerung von Bildungsmöglichkeiten dokumentiert. Auch standen in der DDR soziale Leistungen nur auf Abruf bereit und konnten bei Unbotmäßigkeit jederzeit entzogen werden.

Zur Aufdeckung und Dokumentation dieser verschiedensten Repressionen bildete sich ein DDR-weites Netzwerk.

Den Weg der IFM begleitete eine kleine Gruppe der Westgrünen um Petra Kelly, Milan Horacek, Lukas Beckmann und Ulli Fischer, zu denen seit 1983 enge Kontakte existierten. Ihre Mitglieder halfen entscheidend bei der Zusammenarbeit mit Friedens- und Menschenrechtsaktivisten in Osteuropa, Westeuropa und den USA.

Die zum Teil langjährigen Kontakte einzelner IfM-Mitglieder nach Mittelosteuropa wurden dadurch erschwert, dass nahezu alle Mitglieder- und Anhänger der Gruppe unter Reiseverbot standen.

Im Ansatz einer „Politik von Unten“, der Schaffung einer internationalen Gegenöffentlichkeit und gegen alle offiziellen Abschottungstendenzen, sahen sich die Mitglieder der IFM und andere -  ihr nahestehenden Gruppen - in einer Kontinuitätslinie zu den osteuropäischen Menschenrechts- und Oppositionsgruppen. Dazu gehörte die tschechische Menschenrechtsgruppe „Charta 77“ und dass aus der Solidarnosc-Bewegung herauserwachsende Netzwerk von Ökologie-, Friedens- und Menschenrechtsgruppen „Freiheit und Frieden“. Zu dieser Gruppierung entstanden enge Arbeitskontakte.

Nicht eine radikale politische Programmatik und Utopien, sondern das Beharren auf Rechtsstaat und Demokratie, ließen die IFM und ihre Mitglieder zum gefährlichen „Staatsfeind Nr. 1“ werden.

Am 10. Dezember 1987, am Tag der Menschenrechte, konnte sie ihre Grundsätze und Ziele in der Berliner Gethsemanekirche vorstellen.

Im Januar 1988 versuchten die DDR-Offiziellen mit der Verhaftung und Zwangsausweisung einer Reihe von IFM-Mitgliedern die Arbeit der Gruppe dauerhaft zu lähmen. Diese Strategie ging nicht auf. Bis zum Herbst 1989 entstanden zahlreiche neue Gruppen und Initiativen, wie „Demokratie Jetzt“, die die Arbeit der IFM fortsetzen.
In Leipzig verbündeten sich Oppositionsgruppen mit denen zum Verlassen der DDR Entschlossenen. Hier trafen die beiden Forderungen zusammen. Die Kraft des „Wir bleiben hier“ mit der Forderung „Wir wollen raus“.

Die Proteste und Aktionen gegen die massive Fälschung der DDR-Kommunalwahlen im Frühjahr 1989 und die Gründung des „Neuen Forum“ im September, markieren eine neue Stufe.

Die schnelle Neugründung von Parteien und politischen Gruppierungen in der Endphase der DDR, ihre Präsenz an den Runden Tischen ist mit der erkämpften Realität von Freiheitsrechten und Demokratie verbunden.

Der Philosoph und Publizist Wolfgang Templin war Mitbegründer der DDR-Menschenrechtsgruppe "Initiative Frieden und Menschenrechte", die Protestaktionen gegen Menschenrechtsverletzungen in der DDR durchführte. Jahrelang wurde er von der Staatssicherheit überwacht, schließlich 1988 inhaftiert und zur Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland gezwungen. Im Zuge der friedlichen Revolution des Herbstes 1989 kehrte er in die DDR zurück und nahm für die "Initiative für Menschenrechte" am Runden Tisch teil. 1991 gehörte er zu den Gründern der Partei Bündnis 90, verließ die Partei jedoch 1993 nach deren Vereinigung mit den Grünen wieder. Von 2010 bis 2013 leitete Wolfgang Templin das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Warschau.