Untrennbar waren für Heinrich Böll sein Selbstverständnis als Schriftsteller und sein gesellschaftspolitisches Engagement miteinander verbunden. So war er beispielsweise dazu entschlossen, die ihm 1983 zuerkannte Verleihung der Ehrenbürgerrechte der Stadt Köln abzulehnen, als im Vorfeld der Verleihung im Rat der Stadt eine Kontroverse um den Text der Verleihungsurkunde entstanden war. Zwar sollte der "meisterhafte Erzähler und Schriftsteller von internationalem Rang" geehrt, ein Passus über den "kritische(n) und engagierte(n) Beobachter gesellschaftlicher Fehlentwicklung" aber nach dem Willen der CDU aus dem Text getilgt werden. Erst nachdem eine revidierte Fassung entstanden war, nahm Böll die ihm anlässlich seines 65. Geburtstages zugedachte Ehrung an. In seiner Dankesrede formulierte er: "Was ich nicht begriffen habe, was mich deshalb natürlich auch nicht kränken konnte, war der Versuch, den sogenannten Erzähler von dem anderen zu trennen, der da gelegentlich Aufsätze schreibt, Kritiken, den man gelegentlich reden hört, ganz abgesehen davon, dass auch Aufsätze, Kritiken und Reden Literatur sind. Wenn sie schon ärgerlich sind, ist es gerade das Literarische an ihnen, sagen wir meinetwegen das Poetische daran, das Gefährliche, eben weil es aus der routinepolitischen Sprache sich abhebt und eingeht. Davon abgesehen, finde ich, wenn ich in mich gehe, den sogenannten Erzähler, wenn man schon von Ärger und Gefahren spricht, gefährlicher und ärgerlicher als den anderen. Deshalb habe ich diese Trennung nicht verstanden."
Gegenüber verschiedenen Interviewpartnern markierte Böll vor allem zwei Ereignisse als Auslöser für seine – wie er es nannte – "Politisierung". Die Währungsreform 1948 und – entschiedener noch – die Wiederaufrüstung der Bundesrepublik in den 1950er Jahren: "[…] ich habe die Währungsreform schon sehr kritisch beobachtet, die Bedingungen, unter denen sie stattfand. Aber innenpolitische Aktivität habe ich erst entwickelt, als mir klar wurde, daß die Befreier uns im Stich lassen würden, was die Wiederaufrüstung betraf. Das war sehr deutlich zu spüren so 50, 51, daß wir wieder aufgerüstet werden sollten, daß man sehr, sehr gnädig mit alten Nazis und regelrechten Kriegsverbrechern umging, die alle entlassen wurden und so irgendwo versteckt, alte Generäle, auch Politiker."
Parallel zu diesen Entwicklungen begann Böll mit der Veröffentlichung zeitkritischer Essays, artikulierte sein Unbehagen an der gesellschaftlichen Entwicklung in Reden und Diskussionsbeiträgen. Mit kritischen Kommentaren begleitete er in der ersten Zeit vor allem die Entwicklung der CDU. Deren Abkehr von ihrem 1947 formulierten Ahlener Programm, dessen christlich-soziales Profil Böll wertschätzte, enttäuschte ihn und machte ihm die Partei als Trägerin restaurativer Tendenzen verdächtig. Zugleich wandte er sich entschieden gegen die in seinen Augen ein Machtkartell aus 'Glauben' und 'Politik' bildenden Wahlkampfhilfen der katholischen Amtskirche zugunsten der CDU.
Gegenüber der Großen Koalition der Jahre 1966-1969 nahm Böll gleichfalls einen kritisch-distanzierten Standpunkt ein. Mehr und mehr fand er sich auf der Seite der außerparlamentarischen Opposition: "Von Natur gehört jeder Künstler zur außerparlamentarischen Opposition, ohne daß dieser Name immer dafür bereitstünde. Insofern habe ich also nicht nur große Sympathien, sondern verfolge die Tätigkeit der außerparlamentarischen Opposition mit großer Aufmerksamkeit, mische mich auch gelegentlich darin ein."
So etwa setzte er sich dafür ein, die Anliegen der Studentenbewegung nach gesellschaftlichen Reformen ernst zu nehmen, und widmete diesem Thema zentrale Passagen seiner Dankrede zur Verleihung des Georg-Bücher-Preises 1967. Böll kommt in der Rede auf den Tod des bei einer Demonstration gegen den Staatsbesuch des persischen Schahs Reza Pahlawi am 2. Juni 1967 in Berlin von einem Polizisten erschossenen Studenten Benno Ohnesorg zu sprechen, den er als "Mord durch die Staatsgewalt" verurteilt, während er die studentischen Demonstrationen verteidigt: "Wer will sich da wundern, wenn Studenten, denen ein neues Bewußtsein zuwächst, diesem Protokoll auf die einzig mögliche Weise zuwiderhandeln: durch Unruhe und eindeutig formulierte Ablehnung. Wie sollen sie zu einer Höflichkeit verpflichtet sein, die dieses mysteriöse Protokoll ihnen durch Polizeigewalt aufzwingen möchte? … Wie anders als durch Unruhen, eindeutig formulierten Widerspruch, in Kleidung und Haarwuchs sollten sie sich Ausdruck verschaffen, da ihnen das Wählerkreuzchen, mit dem Verantwortung delegiert wird und das keine andere Wahl mehr läßt, nicht genügen kann."
Kennzeichnend für Bölls politisches Engagement war ein personenbezogener Akzent, wie er insbesondere im Verhältnis zur SPD zum Zuge kam. So wollte Böll, wie er selbst bekannte, seine Wahlunterstützung 1972 als eine für Willy Brandt, nicht aber für die SPD verstanden wissen. Nachdem sich jedoch nach der Wahl Brandts der proklamierte "ständige" Dialog zwischen den Intellektuellen und der Regierung nicht einstellte, dem politischen "Alltag" gewichen war, nahm Böll – spätestens seit dem Rücktritt Brandts am 6. Mai 1974 – eine andere Haltung ein. Wahlkampf-Einsätze wie die für Willy Brandt blieben aus. Erst im März 1979, als sich die neue "politische Vereinigung – Die Grünen" gründete, um als "Partei" an den ersten Wahlen für das Europäische Parlament teilnehmen zu können, fand Böll wiederum zur Möglichkeit einer aktiven Unterstützung zurück. Nicht zuletzt deshalb, weil sich für ihn der Zusammenschluss aus den verschiedensten Umwelt-, Menschenrechts- und Pazifistengruppen entscheidend von den "Alt"-Parteien absetzte: "Die 'Grünen', die offenbar kommen, drücken alles aus, was die großen Parteien versäumt haben. Da ist der konservative Teil der 'Grünen'. Ich empfinde Umweltschützer als konservative, also bewahrende Menschen. Die Konservativen, die sich selbst so nennen, sind die eigentlichen Zerstörer durch ihre blinde Progressivität, Wachstum und dergleichen. Der konservative Teil der 'Grünen' also hat das übernommen, was die Konservativen versäumt haben. Der linke Flügel der 'Grünen' hat das übernommen, was die linke SPD versäumt oder nicht durchgesetzt hat. Das gilt auch für die FDP. […] Die 'Grünen' werden sich noch zurechtschütteln müssen, um eine wirkliche Partei zu werden, auch Verantwortung annehmen und übernehmen müssen. Die drei Parteien im Bundestag täuschen sich immer noch über diese Bewegung, die noch keine Partei ist."
Bölls Verbindungen zu den Grünen ergaben sich unter andrem über die verlegerischen Aktivitäten seines Sohnes René, dessen Verlagsprogramm auf die Themenfelder Menschenrechte, Frauenbewegung, Lateinamerika und Antiatomkraftbewegung konzentriert war. Über diesen Kontakt waren nicht nur Bölls Auftritte auf den großen Friedensdemonstrationen in Bonn 1981 und 1983 zustande gekommen, sondern auch der Kontakt zu den Protagonistinnen und Protagonisten der Grünen. So etwa steuerte Böll ein Vorwort zu dem 1983 im Lamuv Verlag erschienenen Titel von Petra Kelly Um Hoffnung kämpfen bei.
Bei der Buchpräsentation im Bonner Hotel Tulpenfeld am 10. Februar 1983 nahm Böll die Gelegenheit wahr, seine Wahlkampfunterstützung für die Grünen anlässlich der Bundestagswahl am 6. März 1983 zu platzieren: In einem unter der Überschrift "Böll kämpft für die Grünen – Schriftsteller: Bundesrepublik wird mit ihnen regierbarer" erschienenen Bericht der Bremer Nachrichten vom 11.2.1983 heißt es beispielsweise dazu: "Der Schriftsteller und Nobelpreisträger Heinrich Böll will sich im Bundestagswahlkampf für die Grünen einsetzen. Böll sagte am Donnerstag in Bonn, 'ich tue alles, um die Grünen in den Bundestag zu hieven'. Er habe schon immer Sympathie für die Grünen empfunden und sei vor zwei bis drei Monaten zu der Überzeugung gekommen, dass er sie unterstützen müsse, weil er – auch im wirtschaftlichen Bereich – nirgendwo etwas sehe, was auch nur annähernd so einleuchtend sei wie das Programm der Ökologenpartei. Die Bundesrepublik werde mit den Grünen regierbarer als ohne sie. Wie die etablierten Parteien mit den Umweltschützern umgingen, sei für ihn und sehr viele andere skandalös. "
Böll dokumentierte seine Unterstützung für die Politik der Grünen zudem durch die Unterzeichnung einer am 25.2.1983 u.a. in der Süddeutschen Zeitung veröffentlichten Erklärung des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Starnberg. Der Text der u.a. von Alfred Mechtersheimer, Helmut Gollwitzer, Oskar Negt, Luise Rinser, Horst Eberhard Richter u. Peter O. Chotjewitz unterzeichneten Erklärung lautete: "Die Unterzeichner dieser Erklärung gehörten nicht der Partei 'Die Grünen' an, befürworten aber deren Wahl am 6.3.1983. – Die Blindheit der bisher im Bundestag vertretenen Parteien für viele heute und morgen uns bedrängende Probleme wird durch die Stichworte 'Schneller Brüter', 'Startbahn-West' und 'Nachrüstung' hinreichend deutlich. Unter Berufung auf angebliche Sachzwänge setzten sie bisher nur eine Politik fort, die uns in die heutigen Sackgassen, gekennzeichnet durch Welthunger, Massenarbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und zunehmende Kriegsgefahr geführt hat. Niemand soll sich von der Dreistigkeit beeindrucken lassen, mit der Politiker, die mitverantwortlich sind für den Weg in diese Sackgassen, andere 'Chaoten' nennen und ein 'rot-grünes Chaos' an die Wand malen.
Was diese Parteien – auch die SPD – heute in ihren Wahlprogrammen über Abrüstung und Umweltschutz vorbringen, ist von den Gruppen der ökologischen und der Friedens-Bewegung schon seit Jahren vollständiger und klarer gesagt, von den Bundesparteien aber mit Nichtachtung und Spott beantwortet worden. Damit solche Versprechungen nach der Wahl nicht wieder vergessen, sondern verwirklicht werden, haben diese Parteien es nötig, dass ihnen eine Fraktion der 'Grünen' im Nacken sitzt, die ohne Scheuklappen gegenüber der wahren Lage und ohne den Druck der Lobbyisten in aller Schärfe die wahren Probleme zur Sprache bringt und an ihnen das Handeln der Regierenden misst. SPD und Grüne fordern wir auf, sich nicht in Feindbilder hineinzusteigern, sondern Bündnisfähigkeit zu beweisen."
Heinrich Böll: »Eine deutsche Erinnerung«
- "Schreiben wollte ich immer…" – Briefe aus dem Krieg
- Das Romanwerk 1951-1959 – "Billard um halb zehn"
- "Ansichten eines Clowns" (1963) – "Gruppenbild mit Dame" (1971)
- "Soviel Liebe auf einmal. Will Ulrike Meinhof Gnade oder freies Geleit?" (1972)
- "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (1974)
- "Widerstand muß heute darin bestehen, von seiner Freiheit Gebrauch zu machen"
Stipendiaten der Heinrich-Böll-Stiftung über Heinrich Böll
- "Chronik der Vergesslichkeit" von Amir Valle
- "Zigaretten als Leitmotiv in Heinrich Bölls Kurzprosa" von Toni Kan Onwordi
- "Lieber Heinrich …" von Mohamed Magani