Löwe auf tönernen Füßen

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Das syrische Regime diente sich nach 9/11 bereits einmal als Partner im „Kampf gegen den Terror“ an

Assad und ISIS erscheinen als perfekter Gegensatz, dabei sind sie eher komplementär. Was auch immer man sich von einer Kooperation mit Damaskus verspricht, es wird nicht funktionieren.

In der westlichen Ratlosigkeit über Syrien mehren sich die Stimmen, die eine Kooperation mit Bashar al-Assad befürworten. Angesichts der Bedrohung durch ISIS seien die Menschenrechtsverletzungen des syrischen Regimes zweitrangig und müssten hinter dem strategischen Interesse zurückstehen, die islamistischen Extremisten niederzuringen. Eine Zusammenarbeit mit Assad würde jedoch nicht nur die Glaubwürdigkeit des westlichen Wertediskurses gefährden, sondern würde das erwünschte Resultat schlichtweg nicht erreichen.

Mit ISIS ist der Alptraum des Westens wahr geworden, den Assad von Beginn der syrischen Revolution an heraufbeschworen hat. Die Terrormiliz stellt nicht nur die territoriale Einheit Syriens und die Grenzen in der Region in Frage, sondern könnte durch die Rückkehr von Dschihadisten nach Europa oder Amerika auch die westliche Sicherheit gefährden.

Wie einig wären sich der Westen und Assad?

Assad und ISIS erscheinen als perfekter Gegensatz, dabei sind sie eher komplementär. Assad benötigt dringend einen Feind wie ISIS. Einen Feind, der universell für Abscheu sorgt, einen Feind, der genau Assads verzerrte Darstellung der syrischen Realität zu bestätigen scheint. Bekanntlich ist Assad nach eigener Aussage nicht mit einem legitimen Aufbegehren der syrischen Bevölkerung gegen seine Tyrannei konfrontiert, sondern mit vom Ausland gestützten Terroristen. Praktisch ist dabei, dass ISIS gleichzeitig gegen Assads andere Opponenten vorgeht und sie gezielt schwächt. Zugleich hat ISIS bislang keine ersthaften Anstrengungen unternommen, Assad zu stürzen. Die Terrormiliz sucht die Konfrontation mit dem Regime nur an ausgewählten strategischen Punkten wie dem ostsyrischen Deir ez-Zor – und ist daraus bislang weitgehend siegreich hervorgegangen.

Während Assads Erfolge gegen ISIS also ausbleiben, ist es der Freien Syrische Armee im Januar 2014 gelungen, Teile der von ISIS eingenommenen Territorien zurückzuerobern. Es ist eben nicht das syrische Militär, das sich im Kampf gegen ISIS als starker Partner des Westens empfiehlt. Ebenso lassen solche Überlegungen außer Acht, dass eine Allianz mit Assad den Eindruck stärken würde, der Westen erkläre nicht einer Terrormiliz, sondern der Gesamtheit der Sunniten den Krieg.

Zu fragen ist dabei aber auch: Wie einig wären sich der Westen und Assad überhaupt, was die Zielsetzung des Kampfes gegen ISIS angeht? Denn was dem Westen als unerwünschtes Nebenprodukt der syrischen Revolution erscheinen mag, ist Assads Überlebensgarantie. Während dem Westen primär daran gelegen ist, den Konflikt lokal zu begrenzen, weiß Assad, dass sein Regime als Partner für den Westen nur so lange interessant ist, wie westliche Interessen bedroht scheinen. Deswegen ist Assad eben eigentlich daran gelegen, die Bedrohung durch ISIS außerhalb Syriens aufrechtzuerhalten.

Der eigentliche Konflikt

Es ist ein durchgängiges Muster syrischer Außenpolitik zweigleisig zu fahren. Neben den regulären offiziellen Außenbeziehungen unterstützt das Regime traditionell parallel nicht-staatliche bewaffnete Akteure. Das syrische Regime diente sich nach 9/11 bereits einmal als Partner im „Kampf gegen den Terror“ an. Dieses Lippenbekenntnis hinderte es von 2003 bis 2006 aber nicht daran, die Rekrutierung von Dschihadisten in der Region zu organisieren, deren Weg in den Irak durch Syrien führte. Auch andere Gruppen zuvor durften, unter strenger Beobachtung der Geheimdienste, nach Belieben agieren. Einige Voraussetzung: ihre Aktivitäten richteten sich gegen andere Staaten. Die Damaskus-Doktrin lautet: stärke deine eigene Machtposition indem du deinen Nachbarn Probleme bereitest. Zu gerne würde das Regime dabei noch zur Lösung der selbst angefachten Konflikte herangezogen werden: der berühmte Brandstifter, der sich als Feuerwehr in Szene setzt.

Während Hafez al-Assad die Kurden im eigenen Land unterdrückte, unterstützte das Regime zugleich jahrelang die PKK. Erst die glaubhafte Drohung der Türkei 1998, in Syrien einzumarschieren, brachte Assad zu einem temporären Einlenken. Die darauffolgende deutliche Verbesserung der syrisch-türkischen Beziehungen veranlasste den damals türkischen Premierminister Recep Tayyip Erdogan zu Beginn der syrischen Revolution 2011 zur Annahme, er könne als Vermittler zwischen Opposition und Regime fungieren. Dem erteilte Assad eine klare Absage. Stattdessen belebte er mit Beginn der Revolution seine Kooperation mit der PYD, dem in Syrien beheimateten Arm der PKK, wieder. Das syrische Regime sieht sich durch Kooperation und Unterstützung von außen nicht daran gebunden, Gegenleistungen zu erbringen, nachdem es seine eigenen Ziele erreicht hat.

Selbst für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine Rehabilitation mit Assad gegen ISIS Erfolg hätte, wäre damit noch lange kein Ende des eigentlichen Konfliktes - dem zwischen dem syrischen Regime und der Bevölkerung - in Sicht. Der Westen wäre schlecht beraten, darauf zu vertrauen, dass Assad sich für die Hilfe gegen ISIS danach gewillt wäre, die Macht zu teilen oder gar zu übergeben.

Als Beleg für Assads Stärke wird immer wieder angeführt, dass er auch drei Jahre nach Beginn des Aufstands in Syrien noch nicht gestürzt ist. Doch ist es ein Zeichen der Stärke, obwohl mit der größten Armee der arabischen Welt ausgestattet, weite Landesteile an die schlechtausgerüstete Freie Syrische Armee zu verlieren? Seit 2012 ist die syrische Luftwaffe konstant im Einsatz. Fast die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist auf der Flucht, ganze Stadteile und Ortschaften sind zerstört, so dass an vielen Orten ein geradezu geisterhafter Kampf ausgetragen wird. Und doch kann sich das Regime hier nur mit Mühe behaupten.

Im Windschatten der Luftangriffe

Rückeroberungen, wie in Qalamoun in der Nähe der libanesischen Grenze sind nur durch die vielen ausländischen Kämpfer auf Regimeseite möglich: die libanesische Hisbollah, iranische und irakische Milizen sowie seit einigen Monaten immer mehr von Iran zwangsrekrutierte Afghanen. Die syrische Armee ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Bereits im März 2013 konstatierte das Londoner International Institute for Strategic Studies (IISS), das syrische Militär sei auf die Hälfte seiner ursprünglichen Größe geschrumpft. Der Rest: tot, übergelaufen, nach Hause gegangen. Auch in Regimegegenden greift Assad daher immer stärker auf irreguläre Bewaffnete, zurück, Shabiha, oder „Bürgerwehren“, die die Bevölkerung drangsalieren und ihren Lohn durch Plündern aufbessern.

Während der Westen zu Recht über die kaum überschaubaren Machtverhältnisse in den befreiten Gegenden besorgt ist, übersieht er den Wildwuchs der nichtstaatlichen Gewaltakteure auf Regimeseite. Er verschließt die Augen davor, dass das Regime im Windschatten der Luftangriffe der Koalition auf ISIS umso stärker andere Rebellen bombardiert. Ihre Widerstandsfähigkeit verdirbt Assads Schwarz-Weiß-Malerei einer Auseinandersetzung zwischen seinem säkularen Regime und irrationalen Extremisten. Aus diesem Grund kämpft Assad in aller erster Linie gegen moderate Oppositionskräfte, nicht gegen ISIS.

Die Extremisten mit einer Agenda, die über Syriens Grenzen hinausgeht, bilden den schmalen Argumentationsstreifen, den das syrische Regime in seinem Werben für sich selbst im Westen nutzen kann. Insofern ist Assad der denkbar ungeeignetste Partner gegen ISIS. Was auch immer man sich von einer Kooperation mit dem Regime verspricht: weder ein Ende des Konfliktes noch Sicherheit und Stabilität sind dadurch zu erreichen.

Dieser Text erschien zuerst im "ipg-journal".