Die Überprüfungskonferenz zum Atomwaffensperrvertrag in New York ist zu Ende gegangen. Die EU hat die Chance vertan, die globale Abrüstung weiter voranzutreiben. Jetzt ist es an der Zeit, sich über die nächsten Schritte Gedanken zu machen.

Noch bei der Überprüfungskonferenz des nuklearen Nichtverbreitungsvertrages (NVV) 2010 hatte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, den anwesenden Staatenvertretungen das hehre Ziel in Erinnerung gerufen, einen (erneuten) nuklearen Alptraum abzuwenden und die Welt zu einem sichereren Ort für alle zu machen.
Es wäre wünschenswert, die Vertragsstaaten, allen voran die Nuklearwaffenstaaten (NWS), hätten sich diese Worte mehr zu Herzen genommen. Doch anstatt gemeinsam für Abrüstung und Sicherheit einzustehen, hat sich in den vergangenen fünf Jahren, die seit der letzten Überprüfungskonferenz verstrichen waren, der Graben zwischen Kernwaffenstaaten einerseits und den „nuklearen Habenichtsen“ andererseits weiter vertieft – sowohl auf globaler als auch auf EU-Ebene.
Da jedoch nur ein stabiles Umfeld weitere Abrüstungsmaßnahmen begünstigt, ist die Krise, in der sich das globale Abrüstungs- und Nichtverbreitungsregime derzeit befindet, nicht zu unterschätzen. Zwar gab es einige positive Entwicklungen, wie insbesondere die vielversprechenden Atomverhandlungen der P5 mit dem Iran, doch innere Zersplitterung überwog. So waren bereits im Vorfeld die Erwartungen an die diesjährige NVV-Überprüfungskonferenz gering und die Aussichten auf ein gemeinsames Schlussdokument schienen schlecht. Doch letzteres ist es, das Konsens voraussetzt und weitere Schritte festschreibt. Die EU hätte – insbesondere im Blick auf die Krise – vehementer einen erfolgreichen Abschluss anstreben sollen.
Nun ist die Konferenz vorbei und Frust macht sich breit, da sich die Vorhersage einer zu marginalen Verantwortung der EU bewahrheitet hat. Interne Streitigkeiten zwischen den beiden europäischen NWS, Großbritannien und Frankreich auf der einen und den nuklearen Abrüstungsbefürwortern auf der anderen Seite, hatten bereits im Vorfeld eine gemeinsame europäische Position unmöglich gemacht und dazu geführt, dass lediglich ein trivialer EU-Ratsbeschluss zustande gekommen war.
Fragt man nach der Variablen, die gerade einen so immensen Einfluss auf die Atomwaffenpolitik hat, so fällt häufig folgende Antwort: Die Ukraine-Krise. Es bedarf einen Blick zurück in die 90er Jahre, um zu verstehen, was gemeint ist.
Gefährlicher Selbstverzicht?
Nach ihrer Unabhängigkeit war die Ukraine 1991 – wenn auch nur temporär – zur drittgrößten Atommacht nach den USA und Russland geworden. Doch (ob freiwillig oder nicht sei dahingestellt) entschied sich die Ukraine zur nuklearen Abrüstung. Alle 1.900 „geerbten“ Atomwaffen wurden zur Demontage gegeben und bereits sechs Jahre später war die Ukraine wieder atomwaffenfrei.
Im Gegenzug zum Nuklearwaffenverzicht war der Ukraine durch die USA, Großbritannien und Russland (!) territoriale Integrität sowie politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit zugesichert worden. Doch heute, gerade etwas mehr als zwei Dekaden später, scheint dieser Vertrag durch Russlands eklatante Verletzung wertlos. Man könnte auf den ersten Blick gar meinen, die Ukraine habe mit ihrer nuklearen Selbstentwaffnung einen Fehler begangen. So wurden Stimmen laut, dass Vladimir Putin wohl kaum die Krim annektiert hätte, wenn die Ukraine noch im Besitz von Kernwaffen gewesen wäre. Dass Atomwaffen für asymmetrische Kriegsführung gegen Soldaten ohne hoheitliche Abzeichen grundsätzlich untauglich sind, geht in der Aufregung schnell unter.
Der Ukraine-Krieg ist somit ein herber Rückschlag, den unter anderem auch die nukleare Nichtverbreitung hinnehmen musste. Die Atomwaffenstaaten sowie Nordkorea und weitere Staaten in nuklearer Latenz, die auf dem besten Weg zur Bombe sind, fühlen sich durch die Ukraine-Krise bestätigt. Bestätigt in ihrem Drang nach der absoluten Waffe und gestärkt in ihrer Auffassung, Atomwaffen seien Sicherheitsgaranten, Garanten für Unantastbarkeit und Einfluss, während der Verzicht einen Staat in den Krieg um die Existenz stürzen kann.
Die Grundlagen der europäischen Sicherheitsarchitektur werden durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim durch Russland in Frage gestellt. Die Gefahr eines atomaren Comebacks, die (erneute) Betrachtung von der Atomwaffen als Insignium der Macht, die Betonung ihrer abschreckenden Wirkung sowie die immensen Ausgaben für die Modernisierung vorhandener Nuklear-Arsenale verdeutlichen den Ernst der Lage.
Drei Minuten bis zum Weltuntergang
Die zugespitzten Spannungen zwischen den Atommächten USA und Russland sind ernst zu nehmen. Auch die Mitglieder des Bulletin of the Atomic Scientists hatten auf diese weltpolitische Entwicklung reagiert und die „Doomsday Clock” im Januar auf drei Minuten vor Mitternacht vorgestellt. Länger als drei Dekaden war die Welt nicht mehr so nah an einer atomaren Krise wie jetzt. Es wird etwas dauern, bis sich das Nichtverbreitungsregime davon erholen wird und alle Akteure verstanden haben, dass der ukrainische Selbstverzicht gänzlich richtig war. Um diesen Prozess zu beschleunigen, ist Handeln angesagt!
Die EU hat auf der diesjährigen Überprüfungskonferenz bereits ihre Chance vertan, die globale Abrüstungsmaschinerie zu stärken und wieder in Gang zu setzen. Nun ist es an der Zeit sich über die nächsten Schritte Gedanken zu machen. Immerhin hatte sich die EU doch 2003 in ihrer Strategie gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zur Stärkung der multilateralen Abrüstungs- und Nichtverbreitungsverträge und -übereinkommen bekannt und sich verpflichtet, an einer kohärenten EU-Strategie gegen die Bedrohung durch die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu arbeiten.
Um auf internationaler Ebene glaubwürdig für Abrüstung einzutreten, sollte sie daher mit der Abrüstung auf eigenem Boden beginnen und der „nuklearen Geschichte“ Europas ein Ende setzen. Diese geht bereits in die 50er Jahre zurück als die USA atomare Fliegerbomben in die BRD brachte. Es kam zu einer Aufrüstungswelle, auf deren Höhepunkt sich mehr als 7.000 Atomwaffen in Europa befanden. Zwar wurden diese schrittweise reduziert, doch noch immer befinden sich neben den Arsenalen der beiden europäischen Kernwaffenstaaten England und Frankreich, im Rahmen der nuklearen Teilhabe taktische amerikanische Kernwaffen in diversen Stützpunkten auf europäischem Boden. Wie viele Kernwaffen genau in Belgien, Deutschland, Italien, den Niederlanden und der Türkei stationiert sind, bleibt ein Geheimnis. Schätzungen zufolge sind es 150 bis 200.
Obwohl es in einigen EU-Mitgliedsstaaten auch gegenwärtig noch Kernwaffen gibt, fungierte die EU in der Vergangenheit immer wieder als Motor der nuklearen Abrüstung, Nichtverbreitung und Vertrauensbildung. In Zeiten der Krise sind verstärkte Anstrengungen nötig, um eine neue Dynamik nuklearer Aufrüstung sowie eine Weiterverbreitung von Atomwaffen zu verhindern. Auch zukünftig muss die EU daher wieder stärker für nukleare Abrüstung einstehen.
Die Ukraine-Krise und die veränderten außenpolitischen Rahmenbedingungen dürfen nicht länger als Rechtfertigung für ein Festhalten an nuklearer Abschreckung vorgebracht werden, sondern sollten vielmehr als Katalysatoren genutzt werden, um die globale atomare Rüstungskontrolle und Nichtverbreitung von Atomwaffen erneut voranzutreiben. Europa sollte, wenn schon nicht auf der Überprüfungskonferenz so zumindest zukünftig, wieder geschlossen und entschlossen für nukleare Abrüstung auftreten.
Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, dass die EU in ihrem Statement auf der diesjährigen NVV-Überprüfungskonferenz für das Abhalten weiterer P5-Konferenzen eintrat, dass Frankreich und Großbritannien in Bezug auf ihr nukleares Arsenal (etwas) mehr Transparenz anbieten und dass die Zusammenarbeit zwischen der EU einerseits und der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) andererseits in den vergangenen Jahren ausgebaut worden war, doch ausreichend ist es nicht.
Warum mehr europäischer Einsatz angebracht wäre
Während nukleare Abschreckung in Europa, insbesondere in der NATO, thematisiert wird, befassen sich europäische Gremien im Wesentlichen mit der zivilen Nutzung der Atomenergie. Abrüstung wird dabei unter den Tisch gekehrt. Es wird Zeit, das Thema endlich wieder zurück auf den Verhandlungstisch zu holen. Hierfür ist mehr europäischer Einsatz notwendig. Der Atomwaffensperrvertrag darf nicht in eine noch tiefere Krise geraten, der Stillstand beziehungsweise die Rückschritte, die in Bezug auf die nukleare Abrüstungsagenda „erreicht“ wurden, dürfen nicht weiterhin anhalten und die Bemühungen, die Rolle von Kernwaffen zu verringern, dürfen seitens der EU nicht torpediert, sondern müssen vielmehr angetrieben werden.
Es ist an der Zeit, dass die EU in puncto nukleare Abrüstung nicht mehr durch Passivität, sondern durch Aktivität glänzt und wieder einen bedeutenden Beitrag zur nuklearen Rüstungskontrolle leistet. Die Union sollte daher nun alle notwendigen und möglichen Anstrengungen unternehmen, um das NVV-Regime zu stärken und zur Abrüstung und nicht nur zur Nichtverbreitung beizutragen.
Denn der wirkliche Fortschritt findet außerhalb und trotz der EU statt, etwa in der Tatsache, dass 160 Staaten bereits der humanitären Initiative beigetreten sind, deren Ziel es ist, Atomwaffen die Legitimationsbasis zu entziehen und sie völkerrechtlich zu verbieten. Ein trauriges Zeugnis ist jedoch, dass sich unter diesen lediglich sieben der 28 EU Mitgliedsstaaten befinden, während die EU es nicht einmal über sich brachte, das Wort "humanitär" zu verwenden – mithin Konsenssprache des NVV-Abschlussdokuments von 2010.
Wie gesagt, gehört die Frage der nuklearen Teilhabe erneut diskutiert, die Kernwaffen auf europäischem Boden endlich abgezogen und Nuklearwaffen in der (europäischen) Sicherheitsstrategie heruntergestuft – oder noch besser gleich verbannt. Und das ist möglich. Kanada und Griechenland haben in der Vergangenheit bereits bewiesen, dass politischer Wille und nicht ein formeller NATO-Beschluss entscheidend für eine Beendigung der nuklearen Teilhabe ist. Auch Großbritannien und Frankreich können ihre Rolle in der Welt eher stärken, in dem sie als moralische Größe beweisen und abrüsten, und nicht in dem sie an anachronistischen Waffensystemen festhalten.
Zudem sollte die EU wieder mehr für ihre einstige Forderung nach einem Vertrag, der die Produktion von Spaltmaterial für Nuklearwaffen stoppt (FMCT), eintreten, sich für das baldige Inkrafttreten des Atomteststopp-Vertrages (CTBT) stark machen. Südafrika, Kasachstan und die Ukraine haben richtig gehandelt. Ihre Entscheidung, atomwaffenfrei zu werden, muss als Vorbild dienen. Sieben Dekaden nach den Atombombenwürfen über Hiroshima und Nagasaki und 45 Jahre nach Inkrafttreten des NVV ist es Zeit, ein Zeichen zu setzen. Ein Zeichen für eine kernwaffenfreie Welt. 101 Staaten haben die Humanitarian Pledge unterzeichnet und werden über kurz oder lang Verhandlungen zu einem Verbotsvertrag beginnen – mit oder ohne die EU.