Flüchtlinge wollen wohnen

Transparent  mit der Aufschrift "Leerstand zu Wohnraum"
Teaser Bild Untertitel
Transparent mit der Aufschrift "Leerstand zu Wohnraum", aufgenommen am 14. November 2015 bei einer Kundgebung in Hamburg

Kurz vor Weihnachten gab es in Bremen Entwarnung: Vorerst sollen keine weiteren Turnhallen zu Notunterkünften für Flüchtlinge umgebaut werden – einige sollen sogar wieder zurückgegeben werden.

„In Syrien leben wir zusammen auf der Straße.
Ich kenne alle Menschen in der Straße. Wir sind eine große Gemeinschaft.
Manchmal denke ich, ich kann hier leben, manchmal denke ich, das kann ich nicht.
Die Menschen leben hier sehr isoliert. Das Leben ist sehr organisiert.
Ich kann mir nicht vorstellen, immer in der Wohnung zu sitzen.
Ich will jeden Tag meine Freunde sehen, mit ihnen abhängen.
Wenn wir Fernsehen, machen wir das zusammen.
So wollen wir auch hier leben.
Aber wir wollen uns auch integrieren.
Wir wollen lernen, wie die Deutschen leben, was für eine Kultur sie haben.
Wir möchten verstehen, was anders ist in Deutschland.“ 
(Flüchtling aus Syrien)

Anfang Dezember 2015 lebten fast 2.000 Flüchtlinge in 18 Sporthallen in der Stadt Bremen. Die Stadtgemeinde Bremerhaven musste übrigens nicht zu solchen Maßnahmen greifen – dort gibt es mehr Leerstand. Die betroffenen Vereine fürchten, dass die Sporthallen über Monate wegfallen, sie fürchten Austritte wegen fehlender Trainingsmöglichkeiten. Und sie weisen darauf hin, dass der Sport ein gutes Integrationsangebot machen könnte – nicht einmal besondere Sprachkenntnisse wären erforderlich, um zusammen Tischtennis oder Fußball zu spielen.

Leerstehende staatliche Immobilien sind inzwischen eingerichtet worden, die erste leerstehende Max-Bahr-Halle soll im Frühjahr für Flüchtlinge umgebaut sein, in diversen Gewerbeimmobilien sind Flüchtlinge untergebracht, fünf Containerdörfer sind entstanden. Die Katholische Kirche will ein besonderes Zeichen setzen: Rund 40 Flüchtlinge sollen noch im Jahre Dezember 2015 in die Kirche St. Benedikt in Bremen-Woltmershausen einziehen. Die Unterkunft soll zunächst für ein Jahr bestehen. Die Gottesdienste werden dann in einem kleineren Gemeindesaal stattfinden.

Nach dem Hamburger Vorbild hat Bremen die Rechtsgrundlagen für eine Beschlagnahme von Gewerbeimmobilien geschaffen, angewandt wurde dieses Instrument im Jahre 2015 allerdings nicht. Und da die Verwaltung inzwischen gewisse Routinen entwickelt hat, gleichzeitig die Zahlen der Neuankömmlinge aber zurückgehen, scheint die chaotische Zeit überwunden.

Der leichte Rückgang der Zahlen von Neuankömmlingen hängt auch damit zusammen, dass die Abschreckungspolitik gegenüber den Balkan-Flüchtlingen offenbar „angekommen“ ist: Seit September spielt der Balkan als Herkunftsregion quantitativ praktisch keine Rolle mehr. Der Balkan hatte im ersten Halbjahr 2015 einen Anteil von einem Drittel. Inzwischen machen die Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan zusammen rund 90 Prozent aller Flüchtlinge aus.

Eigentlich ist es das Ziel der Politik des Bremischen Bausenators Joachim Lohse (Die Grünen), die Flüchtlinge über „normale“ Wohnungsbauprogramme unterzubringen. Zwar würde eine konzentrierte gemeinsame Unterbringung von Flüchtlingen aus einem Land oder mit vergleichbarem Fluchtgrund eher zur Entfaltung von Selbsthilfepotentialen ermöglichen, in der kommunalpolitischen Diskussion der Grünen wiegt aber die Sorge vor Ghetto-Bildung schwerer. Die Baubehörde hat eine Expertise über diese Problematik bestellt. Da werden Stadtteile mit  „progessiv-offenen Milieus“ und einer „integrationsfördernden Bildungsinfrastruktur“ benannt. Auf der anderen Seite gibt es Stadtteile, die durch Leerstand und Abwanderung gekennzeichnet sind und in denen der Wohnraum preiswert ist. Diese Expertise kommt zu dem Ergebnis, dass die bisherigen Ziele einer integrierten Stadtgesellschaft in der aktuellen Notsituation nicht mehr zu halten sein dürften. Auch wenn Flüchtlinge eine aktive Rolle in der Stadtgesellschaft spielen sollen, müsse man ihnen eine stärkere Selbstbestimmung zugestehen und das bedeute, die Option des Rückzugs in gewohnte, bekannte kulturelle Räume zu ermöglichen und zu fördern.

Die Zielzahlen der Wohnungsbaupolitik wurden übrigens bis zur Bürgerschaftswahl im Mai 2015 ohne die Berücksichtigung des Flüchtlingsbedarfs vorgenommen – die beiden Koalitionspartner konzentrierten sich auf ihre programmatischen Konflikte zwischen den grünen stadtökologischen Gesichtspunkten und dem Interesse an einer stärkeren Bebauung freier Flächen, von der sich die SPD einen Druck auf die Mietpreise verspricht. Der für die Stadtentwicklung verantwortliche Senator steht nun unter dem Druck, die erforderlichen Wohnungen auch ohne die Inanspruchnahme stadtökologischer grüner Tabu-Flächen zu realisieren.

Weitere Beiträge zur Flüchtlingspolitik in Bremen finden Sie auf der Länderseite unseres Dossiers "Wie schaffen die das? Die Flüchtlingspolitik der Länder" (zur Startseite)